Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band.erzwungenen Cölivat zu bleiben, stellt sich in Mecklenburg der Oberkirchenrath Diese Angelegenheit stand noch mit einer andern in enger Verbindung. erzwungenen Cölivat zu bleiben, stellt sich in Mecklenburg der Oberkirchenrath Diese Angelegenheit stand noch mit einer andern in enger Verbindung. <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0148" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/187642"/> <p xml:id="ID_574" prev="#ID_573"> erzwungenen Cölivat zu bleiben, stellt sich in Mecklenburg der Oberkirchenrath<lb/> entgegen, und das Allerhöchste Rescript billigt und rechtfertigt seinen Widerstand,<lb/> Machen wir uns die Consequenzen klar: Der Oberkirchenrath beansprucht für<lb/> sich in allen nicht ausdrücklich von ihm ausgeschlossenen Fällen die höchste Cogni-<lb/> tion in Ehesachen, die ihm nimmermehr zusteht. Ohne Gehör der Parteien,<lb/> ohne hinreichende Kenntniß der Acten will er seine Entscheidungen, seine Jnhibi-<lb/> torien erlassen, und die Normen seiner Entscheidungen sind nicht die Landes¬<lb/> gesetze, sondern seine Schriftauslegung. Er hält sich für berechtigt zu verbieten,<lb/> was die Gerichte, ja was unter Umständen der Großherzog selbst erlaubt hat,<lb/> er untergräbt damit das Ansehen der Gerichte, damit zugleich der Obrigkeiten,<lb/> und verkehrt das Princip der im Staate geordneten Gewalten. Er thut dies<lb/> angeblich, weil er sich an den von ihm behaupteten Ueberschreitungen der Ge¬<lb/> richte nicht betheiligen will. Diese Ueberschreitungen kann er aber ohne voll¬<lb/> ständige Kenntniß der Acten nicht beweisen, er vermuthet sie nur; und wenn<lb/> dennoch in dieser Materie das Ansehen der Gerichte dem des Oberkirchenraths<lb/> untergeordnet würde, so ist nicht abzusehen, wo die Grenze solcher kirchlichen<lb/> Uebergriffe sein möchte. Der Kirche selbst wird dadurch der größte Schaden<lb/> zugefügt. Nicht das bringt ihr Schaden, daß der einzelne Geistliche eine<lb/> Trauung vollzieht, für welche das Gericht 'die Verantwortung trägt, wenn es<lb/> dieselbe erlaubt hat, sondern daß sie die Schuld trägt an allen Folgen des<lb/> unnatürlichen Zwanges zum ehelosen Leben, daß sie die Schuld trägt, wenn<lb/> derjenige aus seinem Vaterland, aus seiner Kirche scheidet, dem die letztere<lb/> unberechtigt ihre Segnungen versagt und den das erstere dagegen nicht zu schützen<lb/> vermag." Schließlich empfiehlt die Commission: „die Wiederaufhebung der<lb/> Circularverordnung des Oberkirchenraths zur Beseitigung eines Conflictes wieder¬<lb/> holt zu verlangen, dessen Folgen die lebhafteste Sorge und Bedenken der Stände<lb/> wachgerufen."</p><lb/> <p xml:id="ID_575" next="#ID_576"> Diese Angelegenheit stand noch mit einer andern in enger Verbindung.<lb/> Auf dem Landtag von 1860 ward ein Gesetzentwurf wegen der Trauungen<lb/> im Auslande vorgelegt, den die Stände unter der Bedingung annahmen, daß die<lb/> Circularverordnung des Oberkirchenraths wegen Wicdcrtrauung geschiedener Ehe¬<lb/> leute zurückgezogen würde. Dieser Bedingung ward noch die Bitte hinzugefügt:<lb/> der Großherzog wolle den Predigern die Weisung zugehen lassen, daß sie in<lb/> Fällen der beantragten Trauung geschiedener Personen nur die gesetzlichen Be¬<lb/> dingungen zu berücksichtigen und bei der Frage über die Zulässigkeit lediglich<lb/> das bezügliche Ehescheidungserkenntniß zu Grunde zu legen hätten. Das Ge¬<lb/> setz ward nach einigen weiteren Verhandlungen in beiden Großherzogthümern<lb/> publicirt, ohne daß die für Schwerin gestellte Bedingung erfüllt worden wäre<lb/> und die hinzugefügte Bitte Berücksichtigung gefunden hätte. Die Landtags¬<lb/> commission äußert sich auch über diesen Differenzpunkt in sehr scharfer Weise.</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0148]
erzwungenen Cölivat zu bleiben, stellt sich in Mecklenburg der Oberkirchenrath
entgegen, und das Allerhöchste Rescript billigt und rechtfertigt seinen Widerstand,
Machen wir uns die Consequenzen klar: Der Oberkirchenrath beansprucht für
sich in allen nicht ausdrücklich von ihm ausgeschlossenen Fällen die höchste Cogni-
tion in Ehesachen, die ihm nimmermehr zusteht. Ohne Gehör der Parteien,
ohne hinreichende Kenntniß der Acten will er seine Entscheidungen, seine Jnhibi-
torien erlassen, und die Normen seiner Entscheidungen sind nicht die Landes¬
gesetze, sondern seine Schriftauslegung. Er hält sich für berechtigt zu verbieten,
was die Gerichte, ja was unter Umständen der Großherzog selbst erlaubt hat,
er untergräbt damit das Ansehen der Gerichte, damit zugleich der Obrigkeiten,
und verkehrt das Princip der im Staate geordneten Gewalten. Er thut dies
angeblich, weil er sich an den von ihm behaupteten Ueberschreitungen der Ge¬
richte nicht betheiligen will. Diese Ueberschreitungen kann er aber ohne voll¬
ständige Kenntniß der Acten nicht beweisen, er vermuthet sie nur; und wenn
dennoch in dieser Materie das Ansehen der Gerichte dem des Oberkirchenraths
untergeordnet würde, so ist nicht abzusehen, wo die Grenze solcher kirchlichen
Uebergriffe sein möchte. Der Kirche selbst wird dadurch der größte Schaden
zugefügt. Nicht das bringt ihr Schaden, daß der einzelne Geistliche eine
Trauung vollzieht, für welche das Gericht 'die Verantwortung trägt, wenn es
dieselbe erlaubt hat, sondern daß sie die Schuld trägt an allen Folgen des
unnatürlichen Zwanges zum ehelosen Leben, daß sie die Schuld trägt, wenn
derjenige aus seinem Vaterland, aus seiner Kirche scheidet, dem die letztere
unberechtigt ihre Segnungen versagt und den das erstere dagegen nicht zu schützen
vermag." Schließlich empfiehlt die Commission: „die Wiederaufhebung der
Circularverordnung des Oberkirchenraths zur Beseitigung eines Conflictes wieder¬
holt zu verlangen, dessen Folgen die lebhafteste Sorge und Bedenken der Stände
wachgerufen."
Diese Angelegenheit stand noch mit einer andern in enger Verbindung.
Auf dem Landtag von 1860 ward ein Gesetzentwurf wegen der Trauungen
im Auslande vorgelegt, den die Stände unter der Bedingung annahmen, daß die
Circularverordnung des Oberkirchenraths wegen Wicdcrtrauung geschiedener Ehe¬
leute zurückgezogen würde. Dieser Bedingung ward noch die Bitte hinzugefügt:
der Großherzog wolle den Predigern die Weisung zugehen lassen, daß sie in
Fällen der beantragten Trauung geschiedener Personen nur die gesetzlichen Be¬
dingungen zu berücksichtigen und bei der Frage über die Zulässigkeit lediglich
das bezügliche Ehescheidungserkenntniß zu Grunde zu legen hätten. Das Ge¬
setz ward nach einigen weiteren Verhandlungen in beiden Großherzogthümern
publicirt, ohne daß die für Schwerin gestellte Bedingung erfüllt worden wäre
und die hinzugefügte Bitte Berücksichtigung gefunden hätte. Die Landtags¬
commission äußert sich auch über diesen Differenzpunkt in sehr scharfer Weise.
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