Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

genommen zu werden. Offiziere wurden auch wohl moralischer Gebrechen
wegen zur Garnisonsartillerie versetzt. Dieselben bezogen zwar eine etwas
geringere Gage, hatten aber dafür die Gewißheit, bis an ihr Lebensende in
einer ziemlich behaglichen Stellung verbleiben zu können. Daher waren Leute
mit mehr als fünfzigjähriger Dienstzeit und siebzig- bis achtzigjährige Greise
eine ganz gewöhnliche Erscheinung. So starb vor mehren Jahren in Ollmütz
ein Corporal, welcher 72 Jahre gedient hatte, und in einer kleinen dalmatini¬
schen Stadt befand sich einst ein aus dreizehn Individuen bestehendes Detasche-
ment Garnisonsartillerie, zwei Offiziere, vier Unteroffiziere und sieben Kano¬
niere, welche zusammen gerade 800 Jahre alt waren!

Was man von den physischen Leistungen solcher Greise und Krüppel
erwarten konnte, läßt sich leicht vorstellen. Indessen haben sie hin und wieder,
besonders während des letzten ungarischen Krieges sich über Erwarten wacker
gehalten.

Betrachtete man diesen Theil der Artillerietruppen nur als ein Invaliden-
corps, in welchem verdiente Krieger den Rest ihrer Tage verbringen konnten,
ohne sich von der Gesellschaft ihrer Kameraden und der gewohnten Ausübung ihrer
Berufsgeschäfte gänzlich trennen zu müssen, so war die Garnisonsartillerie
gewiß ein ebenso wohlthätiges als zweckmäßig eingerichtetes Institut. Sie ge¬
währte den Artillerieveteranen eine bessere Existenz, als ihnen ein Invaliden-
Haus bieten konnte, ohne daß dadurch der Staatsschatz um ein Bedeutendes
höher belastet wurde. Und zudem leisteten die Offiziere und Soldaten dieser
Truppe -- wenn auch wenig -- so doch immerhin etwas.

Aber man hatte der Garnisonsartillerie die Verwaltung und theilweise
Erzeugung des Artilleriematerials übertragen, und sie übte dieses Geschäft aus,
ohne unter einer genügenden Controle, oder selbst nur einer entsprechenden
höheren Leitung zu stehen. Dadurch wurden dem Unterschleife, der Bestechlich¬
keit und der Nachlässigkeit alle Pfade geebnet. Die Höheren übten entweder
den Betrug in der größten Ausdehnung aus, oder waren zu schwach, der Pflicht¬
verletzung ihrer Untergebenen hindernd und strafend entgegenzutreten, und die
Niedern benutzten jede Gelegenheit, wo sie auf Kosten des ihnen anvertrauten
Gutes ihren Bortheil befördern konnten. Der beständige Aufenthalt in dem¬
selben Orte, die Anwesenheit einer übergroßen Anzahl von Weibern und Kin¬
dern (da besonders die Verheiratheten nach der Versetzung in "das Zeughaus"
strebten) und die geringe Beachtung, welche die höheren Vorgesetzten dem
Dienstbetriebe bei der Garnisonsartillerie schenkten, trugen vereint dazu bei,
in dieser Truppe einen ächt spießbürgerlichen Geist zu erzeugen. Daher waren
Klatschsucht, Neigung zum Trunke. gemeines Betragen, Geiz und Servilismus
noch die geringsten Fehler eines großen Theiles der Garnisonsartilleristen aller
Grade. Man erkannte dies selbst in der übrigen Artillerie so gut, daß


genommen zu werden. Offiziere wurden auch wohl moralischer Gebrechen
wegen zur Garnisonsartillerie versetzt. Dieselben bezogen zwar eine etwas
geringere Gage, hatten aber dafür die Gewißheit, bis an ihr Lebensende in
einer ziemlich behaglichen Stellung verbleiben zu können. Daher waren Leute
mit mehr als fünfzigjähriger Dienstzeit und siebzig- bis achtzigjährige Greise
eine ganz gewöhnliche Erscheinung. So starb vor mehren Jahren in Ollmütz
ein Corporal, welcher 72 Jahre gedient hatte, und in einer kleinen dalmatini¬
schen Stadt befand sich einst ein aus dreizehn Individuen bestehendes Detasche-
ment Garnisonsartillerie, zwei Offiziere, vier Unteroffiziere und sieben Kano¬
niere, welche zusammen gerade 800 Jahre alt waren!

Was man von den physischen Leistungen solcher Greise und Krüppel
erwarten konnte, läßt sich leicht vorstellen. Indessen haben sie hin und wieder,
besonders während des letzten ungarischen Krieges sich über Erwarten wacker
gehalten.

Betrachtete man diesen Theil der Artillerietruppen nur als ein Invaliden-
corps, in welchem verdiente Krieger den Rest ihrer Tage verbringen konnten,
ohne sich von der Gesellschaft ihrer Kameraden und der gewohnten Ausübung ihrer
Berufsgeschäfte gänzlich trennen zu müssen, so war die Garnisonsartillerie
gewiß ein ebenso wohlthätiges als zweckmäßig eingerichtetes Institut. Sie ge¬
währte den Artillerieveteranen eine bessere Existenz, als ihnen ein Invaliden-
Haus bieten konnte, ohne daß dadurch der Staatsschatz um ein Bedeutendes
höher belastet wurde. Und zudem leisteten die Offiziere und Soldaten dieser
Truppe — wenn auch wenig — so doch immerhin etwas.

Aber man hatte der Garnisonsartillerie die Verwaltung und theilweise
Erzeugung des Artilleriematerials übertragen, und sie übte dieses Geschäft aus,
ohne unter einer genügenden Controle, oder selbst nur einer entsprechenden
höheren Leitung zu stehen. Dadurch wurden dem Unterschleife, der Bestechlich¬
keit und der Nachlässigkeit alle Pfade geebnet. Die Höheren übten entweder
den Betrug in der größten Ausdehnung aus, oder waren zu schwach, der Pflicht¬
verletzung ihrer Untergebenen hindernd und strafend entgegenzutreten, und die
Niedern benutzten jede Gelegenheit, wo sie auf Kosten des ihnen anvertrauten
Gutes ihren Bortheil befördern konnten. Der beständige Aufenthalt in dem¬
selben Orte, die Anwesenheit einer übergroßen Anzahl von Weibern und Kin¬
dern (da besonders die Verheiratheten nach der Versetzung in „das Zeughaus"
strebten) und die geringe Beachtung, welche die höheren Vorgesetzten dem
Dienstbetriebe bei der Garnisonsartillerie schenkten, trugen vereint dazu bei,
in dieser Truppe einen ächt spießbürgerlichen Geist zu erzeugen. Daher waren
Klatschsucht, Neigung zum Trunke. gemeines Betragen, Geiz und Servilismus
noch die geringsten Fehler eines großen Theiles der Garnisonsartilleristen aller
Grade. Man erkannte dies selbst in der übrigen Artillerie so gut, daß


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0119" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/187613"/>
            <p xml:id="ID_456" prev="#ID_455"> genommen zu werden. Offiziere wurden auch wohl moralischer Gebrechen<lb/>
wegen zur Garnisonsartillerie versetzt. Dieselben bezogen zwar eine etwas<lb/>
geringere Gage, hatten aber dafür die Gewißheit, bis an ihr Lebensende in<lb/>
einer ziemlich behaglichen Stellung verbleiben zu können. Daher waren Leute<lb/>
mit mehr als fünfzigjähriger Dienstzeit und siebzig- bis achtzigjährige Greise<lb/>
eine ganz gewöhnliche Erscheinung. So starb vor mehren Jahren in Ollmütz<lb/>
ein Corporal, welcher 72 Jahre gedient hatte, und in einer kleinen dalmatini¬<lb/>
schen Stadt befand sich einst ein aus dreizehn Individuen bestehendes Detasche-<lb/>
ment Garnisonsartillerie, zwei Offiziere, vier Unteroffiziere und sieben Kano¬<lb/>
niere, welche zusammen gerade 800 Jahre alt waren!</p><lb/>
            <p xml:id="ID_457"> Was man von den physischen Leistungen solcher Greise und Krüppel<lb/>
erwarten konnte, läßt sich leicht vorstellen. Indessen haben sie hin und wieder,<lb/>
besonders während des letzten ungarischen Krieges sich über Erwarten wacker<lb/>
gehalten.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_458"> Betrachtete man diesen Theil der Artillerietruppen nur als ein Invaliden-<lb/>
corps, in welchem verdiente Krieger den Rest ihrer Tage verbringen konnten,<lb/>
ohne sich von der Gesellschaft ihrer Kameraden und der gewohnten Ausübung ihrer<lb/>
Berufsgeschäfte gänzlich trennen zu müssen, so war die Garnisonsartillerie<lb/>
gewiß ein ebenso wohlthätiges als zweckmäßig eingerichtetes Institut. Sie ge¬<lb/>
währte den Artillerieveteranen eine bessere Existenz, als ihnen ein Invaliden-<lb/>
Haus bieten konnte, ohne daß dadurch der Staatsschatz um ein Bedeutendes<lb/>
höher belastet wurde. Und zudem leisteten die Offiziere und Soldaten dieser<lb/>
Truppe &#x2014; wenn auch wenig &#x2014; so doch immerhin etwas.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_459" next="#ID_460"> Aber man hatte der Garnisonsartillerie die Verwaltung und theilweise<lb/>
Erzeugung des Artilleriematerials übertragen, und sie übte dieses Geschäft aus,<lb/>
ohne unter einer genügenden Controle, oder selbst nur einer entsprechenden<lb/>
höheren Leitung zu stehen. Dadurch wurden dem Unterschleife, der Bestechlich¬<lb/>
keit und der Nachlässigkeit alle Pfade geebnet. Die Höheren übten entweder<lb/>
den Betrug in der größten Ausdehnung aus, oder waren zu schwach, der Pflicht¬<lb/>
verletzung ihrer Untergebenen hindernd und strafend entgegenzutreten, und die<lb/>
Niedern benutzten jede Gelegenheit, wo sie auf Kosten des ihnen anvertrauten<lb/>
Gutes ihren Bortheil befördern konnten. Der beständige Aufenthalt in dem¬<lb/>
selben Orte, die Anwesenheit einer übergroßen Anzahl von Weibern und Kin¬<lb/>
dern (da besonders die Verheiratheten nach der Versetzung in &#x201E;das Zeughaus"<lb/>
strebten) und die geringe Beachtung, welche die höheren Vorgesetzten dem<lb/>
Dienstbetriebe bei der Garnisonsartillerie schenkten, trugen vereint dazu bei,<lb/>
in dieser Truppe einen ächt spießbürgerlichen Geist zu erzeugen. Daher waren<lb/>
Klatschsucht, Neigung zum Trunke. gemeines Betragen, Geiz und Servilismus<lb/>
noch die geringsten Fehler eines großen Theiles der Garnisonsartilleristen aller<lb/>
Grade.  Man erkannte dies selbst in der übrigen Artillerie so gut, daß</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0119] genommen zu werden. Offiziere wurden auch wohl moralischer Gebrechen wegen zur Garnisonsartillerie versetzt. Dieselben bezogen zwar eine etwas geringere Gage, hatten aber dafür die Gewißheit, bis an ihr Lebensende in einer ziemlich behaglichen Stellung verbleiben zu können. Daher waren Leute mit mehr als fünfzigjähriger Dienstzeit und siebzig- bis achtzigjährige Greise eine ganz gewöhnliche Erscheinung. So starb vor mehren Jahren in Ollmütz ein Corporal, welcher 72 Jahre gedient hatte, und in einer kleinen dalmatini¬ schen Stadt befand sich einst ein aus dreizehn Individuen bestehendes Detasche- ment Garnisonsartillerie, zwei Offiziere, vier Unteroffiziere und sieben Kano¬ niere, welche zusammen gerade 800 Jahre alt waren! Was man von den physischen Leistungen solcher Greise und Krüppel erwarten konnte, läßt sich leicht vorstellen. Indessen haben sie hin und wieder, besonders während des letzten ungarischen Krieges sich über Erwarten wacker gehalten. Betrachtete man diesen Theil der Artillerietruppen nur als ein Invaliden- corps, in welchem verdiente Krieger den Rest ihrer Tage verbringen konnten, ohne sich von der Gesellschaft ihrer Kameraden und der gewohnten Ausübung ihrer Berufsgeschäfte gänzlich trennen zu müssen, so war die Garnisonsartillerie gewiß ein ebenso wohlthätiges als zweckmäßig eingerichtetes Institut. Sie ge¬ währte den Artillerieveteranen eine bessere Existenz, als ihnen ein Invaliden- Haus bieten konnte, ohne daß dadurch der Staatsschatz um ein Bedeutendes höher belastet wurde. Und zudem leisteten die Offiziere und Soldaten dieser Truppe — wenn auch wenig — so doch immerhin etwas. Aber man hatte der Garnisonsartillerie die Verwaltung und theilweise Erzeugung des Artilleriematerials übertragen, und sie übte dieses Geschäft aus, ohne unter einer genügenden Controle, oder selbst nur einer entsprechenden höheren Leitung zu stehen. Dadurch wurden dem Unterschleife, der Bestechlich¬ keit und der Nachlässigkeit alle Pfade geebnet. Die Höheren übten entweder den Betrug in der größten Ausdehnung aus, oder waren zu schwach, der Pflicht¬ verletzung ihrer Untergebenen hindernd und strafend entgegenzutreten, und die Niedern benutzten jede Gelegenheit, wo sie auf Kosten des ihnen anvertrauten Gutes ihren Bortheil befördern konnten. Der beständige Aufenthalt in dem¬ selben Orte, die Anwesenheit einer übergroßen Anzahl von Weibern und Kin¬ dern (da besonders die Verheiratheten nach der Versetzung in „das Zeughaus" strebten) und die geringe Beachtung, welche die höheren Vorgesetzten dem Dienstbetriebe bei der Garnisonsartillerie schenkten, trugen vereint dazu bei, in dieser Truppe einen ächt spießbürgerlichen Geist zu erzeugen. Daher waren Klatschsucht, Neigung zum Trunke. gemeines Betragen, Geiz und Servilismus noch die geringsten Fehler eines großen Theiles der Garnisonsartilleristen aller Grade. Man erkannte dies selbst in der übrigen Artillerie so gut, daß

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_187493
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_187493/119
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_187493/119>, abgerufen am 27.11.2024.