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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band.

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sich für sein ganzes Leben dem Soldatendienste! Auch wurde den Unteroffizieren
und selbst den Kanonieren die Heirathsbewilligung ziemlich häusig ertheilt, jedoch
nur gegen die Verpflichtung einer freiwilligen Verlängerung der Dienstzeit.
Die bei der damals fast in der ganzen Monarchie herrschenden Wohlfeilheit
sehr ansehnliche Löhnung, der im Ganzen wenig anstrengende Dienst, die
Hoffnung auf Beförderung oder auf ein sorgenfreies Greisenalter (durch Ver¬
setzung zu der später zu erwähnenden Garnisonsartillerie). der ganz vorzügliche
-- wenn auch etwas pedantische Corpsgeist und bei Vielen wohl auch die Ueber¬
zeugung, nach einer so langen Militärdicnstzeit zu keinem andern Berufe mehr
tauglich zu sein, vermehrten noch die Zahl der ihre Dienstzeit Verlängernden,
und so gab es bei keiner Truppe so viele Veteranen, als bei der Artillerie.
Korporale und Kanoniere, welche dreißig Jahre und darüber dienten, waren
bei jeder Compagnie zu finden, und die höheren Unteroffiziere und die meisten
Offiziere mußten schon des überaus langsamen Avancements wegen eine nam¬
hafte Dienstzeit durchgemacht haben.

Gab eine so lange Dienstzeit hinlängliche Gelegenheit, die verschiedenen
Zweige des Artillericdienstes praktisch kennen zu lernen, so war man doch auch
bemüht, selbst die gemeine Mannschaft durch unausgesetzten Unterricht theo¬
retisch auszubilden, und der Artillerist war während seiner ganzen Dienstzeit
mehr Schüler und Lehrer, als wirklicher Soldat.

Fünf Monate jedes Jahres wurden von dem Exerciren, den Schießübungen
und den Schanzarbeiten in Anspruch genommen. Die Mannschaft wurde hierbei
nach dem Grade der bereits erlangten Fertigkeit in drei Classen, "Vorzügliche,
ältere Mannschaft und Rekruten" eingetheilt. Erst nach einer dreijährigen Dienst¬
zeit wurde der Mann, selbst wenn er bereits zum Kanonier vorgerückt war,
nicht mehr zu den Rekruten gezählt. Zu den "Vorzüglichen" aber gehörten
nur wenige Glückliche. Dadurch wurde allerdings ein reger Eifer, aber auch
Eigendünkel und Kastengeist erzeugt. Sowie in der ganzen Artillerie überhaupt
das alte Zunftwesen der Büchsenmeister noch üppig fortblühte, so fand man
auch hier in der untersten Sphäre Meister, Gesellen und Lehrjungen.

Weitaus den größten Theil des Jahres aber brachten die Artilleristen in
den Schulen zu. Der Hauptgegenstand, welcher in den Compagnieschulen ge¬
lehrt wurde, war der sogenannte Artillerieunterricht. Derselbe enthielt die
Kenntniß des Geschützes, die Anleitung zum Bau von Batterien, die Ele¬
mentartaktik der Artillerie, sowie die Anfangsgründe der Geometrie und zerfiel
in vier oder sechs Classen. Erst nach abgelegter befriedigender Prüfung wurde das
Vorrücken in eine höhere Classe gestattet und das Aufrücken vom Unterkanvnier
zum Kanonier hing von dem Fortschritte in den Schulen ab. Tapferkeit und
anderweitige Verdienste wurden nicht durch Beförderung, sondern durch Medaillen
und Geldgeschenke belohnt. Uevrigens hatte der Grundsatz: "Nur derjenige


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sich für sein ganzes Leben dem Soldatendienste! Auch wurde den Unteroffizieren
und selbst den Kanonieren die Heirathsbewilligung ziemlich häusig ertheilt, jedoch
nur gegen die Verpflichtung einer freiwilligen Verlängerung der Dienstzeit.
Die bei der damals fast in der ganzen Monarchie herrschenden Wohlfeilheit
sehr ansehnliche Löhnung, der im Ganzen wenig anstrengende Dienst, die
Hoffnung auf Beförderung oder auf ein sorgenfreies Greisenalter (durch Ver¬
setzung zu der später zu erwähnenden Garnisonsartillerie). der ganz vorzügliche
— wenn auch etwas pedantische Corpsgeist und bei Vielen wohl auch die Ueber¬
zeugung, nach einer so langen Militärdicnstzeit zu keinem andern Berufe mehr
tauglich zu sein, vermehrten noch die Zahl der ihre Dienstzeit Verlängernden,
und so gab es bei keiner Truppe so viele Veteranen, als bei der Artillerie.
Korporale und Kanoniere, welche dreißig Jahre und darüber dienten, waren
bei jeder Compagnie zu finden, und die höheren Unteroffiziere und die meisten
Offiziere mußten schon des überaus langsamen Avancements wegen eine nam¬
hafte Dienstzeit durchgemacht haben.

Gab eine so lange Dienstzeit hinlängliche Gelegenheit, die verschiedenen
Zweige des Artillericdienstes praktisch kennen zu lernen, so war man doch auch
bemüht, selbst die gemeine Mannschaft durch unausgesetzten Unterricht theo¬
retisch auszubilden, und der Artillerist war während seiner ganzen Dienstzeit
mehr Schüler und Lehrer, als wirklicher Soldat.

Fünf Monate jedes Jahres wurden von dem Exerciren, den Schießübungen
und den Schanzarbeiten in Anspruch genommen. Die Mannschaft wurde hierbei
nach dem Grade der bereits erlangten Fertigkeit in drei Classen, „Vorzügliche,
ältere Mannschaft und Rekruten" eingetheilt. Erst nach einer dreijährigen Dienst¬
zeit wurde der Mann, selbst wenn er bereits zum Kanonier vorgerückt war,
nicht mehr zu den Rekruten gezählt. Zu den „Vorzüglichen" aber gehörten
nur wenige Glückliche. Dadurch wurde allerdings ein reger Eifer, aber auch
Eigendünkel und Kastengeist erzeugt. Sowie in der ganzen Artillerie überhaupt
das alte Zunftwesen der Büchsenmeister noch üppig fortblühte, so fand man
auch hier in der untersten Sphäre Meister, Gesellen und Lehrjungen.

Weitaus den größten Theil des Jahres aber brachten die Artilleristen in
den Schulen zu. Der Hauptgegenstand, welcher in den Compagnieschulen ge¬
lehrt wurde, war der sogenannte Artillerieunterricht. Derselbe enthielt die
Kenntniß des Geschützes, die Anleitung zum Bau von Batterien, die Ele¬
mentartaktik der Artillerie, sowie die Anfangsgründe der Geometrie und zerfiel
in vier oder sechs Classen. Erst nach abgelegter befriedigender Prüfung wurde das
Vorrücken in eine höhere Classe gestattet und das Aufrücken vom Unterkanvnier
zum Kanonier hing von dem Fortschritte in den Schulen ab. Tapferkeit und
anderweitige Verdienste wurden nicht durch Beförderung, sondern durch Medaillen
und Geldgeschenke belohnt. Uevrigens hatte der Grundsatz: „Nur derjenige


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[0113] sich für sein ganzes Leben dem Soldatendienste! Auch wurde den Unteroffizieren und selbst den Kanonieren die Heirathsbewilligung ziemlich häusig ertheilt, jedoch nur gegen die Verpflichtung einer freiwilligen Verlängerung der Dienstzeit. Die bei der damals fast in der ganzen Monarchie herrschenden Wohlfeilheit sehr ansehnliche Löhnung, der im Ganzen wenig anstrengende Dienst, die Hoffnung auf Beförderung oder auf ein sorgenfreies Greisenalter (durch Ver¬ setzung zu der später zu erwähnenden Garnisonsartillerie). der ganz vorzügliche — wenn auch etwas pedantische Corpsgeist und bei Vielen wohl auch die Ueber¬ zeugung, nach einer so langen Militärdicnstzeit zu keinem andern Berufe mehr tauglich zu sein, vermehrten noch die Zahl der ihre Dienstzeit Verlängernden, und so gab es bei keiner Truppe so viele Veteranen, als bei der Artillerie. Korporale und Kanoniere, welche dreißig Jahre und darüber dienten, waren bei jeder Compagnie zu finden, und die höheren Unteroffiziere und die meisten Offiziere mußten schon des überaus langsamen Avancements wegen eine nam¬ hafte Dienstzeit durchgemacht haben. Gab eine so lange Dienstzeit hinlängliche Gelegenheit, die verschiedenen Zweige des Artillericdienstes praktisch kennen zu lernen, so war man doch auch bemüht, selbst die gemeine Mannschaft durch unausgesetzten Unterricht theo¬ retisch auszubilden, und der Artillerist war während seiner ganzen Dienstzeit mehr Schüler und Lehrer, als wirklicher Soldat. Fünf Monate jedes Jahres wurden von dem Exerciren, den Schießübungen und den Schanzarbeiten in Anspruch genommen. Die Mannschaft wurde hierbei nach dem Grade der bereits erlangten Fertigkeit in drei Classen, „Vorzügliche, ältere Mannschaft und Rekruten" eingetheilt. Erst nach einer dreijährigen Dienst¬ zeit wurde der Mann, selbst wenn er bereits zum Kanonier vorgerückt war, nicht mehr zu den Rekruten gezählt. Zu den „Vorzüglichen" aber gehörten nur wenige Glückliche. Dadurch wurde allerdings ein reger Eifer, aber auch Eigendünkel und Kastengeist erzeugt. Sowie in der ganzen Artillerie überhaupt das alte Zunftwesen der Büchsenmeister noch üppig fortblühte, so fand man auch hier in der untersten Sphäre Meister, Gesellen und Lehrjungen. Weitaus den größten Theil des Jahres aber brachten die Artilleristen in den Schulen zu. Der Hauptgegenstand, welcher in den Compagnieschulen ge¬ lehrt wurde, war der sogenannte Artillerieunterricht. Derselbe enthielt die Kenntniß des Geschützes, die Anleitung zum Bau von Batterien, die Ele¬ mentartaktik der Artillerie, sowie die Anfangsgründe der Geometrie und zerfiel in vier oder sechs Classen. Erst nach abgelegter befriedigender Prüfung wurde das Vorrücken in eine höhere Classe gestattet und das Aufrücken vom Unterkanvnier zum Kanonier hing von dem Fortschritte in den Schulen ab. Tapferkeit und anderweitige Verdienste wurden nicht durch Beförderung, sondern durch Medaillen und Geldgeschenke belohnt. Uevrigens hatte der Grundsatz: „Nur derjenige Grenzboten I. 1LL3. 14

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_187493/113>, abgerufen am 26.11.2024.