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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band.

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nehmen und fand auch leichter eine gute Unterkunft, als der beurlaubte Sol-
dat einer andern Truppe, welcher alljährlich zur Exercirzcit, oft aber noch
früher nach der bloßen Laune seines Hauptmannes einberufen wurde.

Die Mannschaft der Artillerieregimenter war ausschließlich zur Bedienung
der Geschütze und zur Verrichtung artilleristischer Arbeiten bestimmt, hatte aber
mit der Bespannung nichts zu thun. Eine eigentliche reitende Artillerie existirte
in Oestreich niemals, und die Feldbattcrien wurden im Bedarfsfalle von dem
einen abgesonderten Körper bildenden Militärfuhrwesen bespannt.

Indeß waren die Ansprüche, welche an die Geschicklichkeit der Artilleristen
gestellt wurden, bedeutend höher, als bei jenen Armeen, bei welchen das so¬
genannte Batteriesystem eingeführt war. Der Kanonier mußte für alle Zweige
des Artilleriedienstcs gleich verwendbar sein. Da nun die Compagnien sehr
stark waren, die Batterien aber nur aus sechs Geschützen bestanden, welche über¬
dies) eine sehr schwache Bemannung erforderten, so war es ein leicht möglicher
Fall, daß eine einzige Compagnie eine sogenannte Cavalleriebatterie und eine zwölf-
pfündige Batterie besetzen mußte, der Rest aber in eine Festung commandirt
und heute in einem Laboratorium und bei dem Baue einer Schanze, morgen
aber zur Bedienung einer Mörserbatterie oder bei einem Ausfalle zur Zerstörung
der feindlichen Arbeiten verwendet wurde. Dazu kam noch, daß die Zahl der
Chargen sehr gering war. So wurde eine Feldbatterie von einem Lieutenant
befehligt, und in Festungen stand oft die Artillerie eines großen, mit vielen Ge¬
schützen armirten Werkes nur unter der Leitung eines Feuerwerkers oder Cor-
porais. Der Artillerist mußte also sehr vielseitig ausgebildet sein und große
Erfahrung und Selbständigkeit besitzen, um allen an ihn gestellten Anforderungen
zu entsprechen. Daß dieses aber im Allgemeinen auch wirtlich geschah, war
eben nur bei der langen Dienstzeit der Mannschaft, bei der damaligen Ein¬
richtung des Dienstes und bei der fast übertriebenen Strenge, mit welcher der
Unterricht betrieben wurde, möglich.

Noch unter dem Generalissimus Erzherzog Karl war die Dienstzeit in dem
östreichischen Heere auf vierzehn Jahre festgesetzt worden. Doch war der Sol¬
dat nach Beendigung dieser Dienstzeit noch bis zu seinem 38. Jahre zum Ein-
tritte in die Landwehr verpflichtet. Da es keine Landwehrartillerie gab, so
mußte der Artillerist bei einem Jnfanteriebataillo" eintreten und zwar obendrein
als Gemeiner, wenn er auch selbst den Grad eines Feuerwerkers bekleidet hatte!
Daher zogen die Meisten, selbst wenn sie keine Aussicht auf Beförderung hatten,
es vor, bis zum Aufhören der Landwehrpflichtigkcit bei der Artillerie zu ver¬
bleiben oder gleich nach Beendigung ihrer Liniendienstzeit sich als Stellvertre¬
ter auf weitere vierzehn Jahre anwerben zu lassen. Zudem aber existirte in
der Artillerie noch eine lebenslängliche Kapitulation. Gegen ein Handgeld von
45 Gulden opferte so mancher Leichtsinnige seine Zukunft und verpflichtete


nehmen und fand auch leichter eine gute Unterkunft, als der beurlaubte Sol-
dat einer andern Truppe, welcher alljährlich zur Exercirzcit, oft aber noch
früher nach der bloßen Laune seines Hauptmannes einberufen wurde.

Die Mannschaft der Artillerieregimenter war ausschließlich zur Bedienung
der Geschütze und zur Verrichtung artilleristischer Arbeiten bestimmt, hatte aber
mit der Bespannung nichts zu thun. Eine eigentliche reitende Artillerie existirte
in Oestreich niemals, und die Feldbattcrien wurden im Bedarfsfalle von dem
einen abgesonderten Körper bildenden Militärfuhrwesen bespannt.

Indeß waren die Ansprüche, welche an die Geschicklichkeit der Artilleristen
gestellt wurden, bedeutend höher, als bei jenen Armeen, bei welchen das so¬
genannte Batteriesystem eingeführt war. Der Kanonier mußte für alle Zweige
des Artilleriedienstcs gleich verwendbar sein. Da nun die Compagnien sehr
stark waren, die Batterien aber nur aus sechs Geschützen bestanden, welche über¬
dies) eine sehr schwache Bemannung erforderten, so war es ein leicht möglicher
Fall, daß eine einzige Compagnie eine sogenannte Cavalleriebatterie und eine zwölf-
pfündige Batterie besetzen mußte, der Rest aber in eine Festung commandirt
und heute in einem Laboratorium und bei dem Baue einer Schanze, morgen
aber zur Bedienung einer Mörserbatterie oder bei einem Ausfalle zur Zerstörung
der feindlichen Arbeiten verwendet wurde. Dazu kam noch, daß die Zahl der
Chargen sehr gering war. So wurde eine Feldbatterie von einem Lieutenant
befehligt, und in Festungen stand oft die Artillerie eines großen, mit vielen Ge¬
schützen armirten Werkes nur unter der Leitung eines Feuerwerkers oder Cor-
porais. Der Artillerist mußte also sehr vielseitig ausgebildet sein und große
Erfahrung und Selbständigkeit besitzen, um allen an ihn gestellten Anforderungen
zu entsprechen. Daß dieses aber im Allgemeinen auch wirtlich geschah, war
eben nur bei der langen Dienstzeit der Mannschaft, bei der damaligen Ein¬
richtung des Dienstes und bei der fast übertriebenen Strenge, mit welcher der
Unterricht betrieben wurde, möglich.

Noch unter dem Generalissimus Erzherzog Karl war die Dienstzeit in dem
östreichischen Heere auf vierzehn Jahre festgesetzt worden. Doch war der Sol¬
dat nach Beendigung dieser Dienstzeit noch bis zu seinem 38. Jahre zum Ein-
tritte in die Landwehr verpflichtet. Da es keine Landwehrartillerie gab, so
mußte der Artillerist bei einem Jnfanteriebataillo» eintreten und zwar obendrein
als Gemeiner, wenn er auch selbst den Grad eines Feuerwerkers bekleidet hatte!
Daher zogen die Meisten, selbst wenn sie keine Aussicht auf Beförderung hatten,
es vor, bis zum Aufhören der Landwehrpflichtigkcit bei der Artillerie zu ver¬
bleiben oder gleich nach Beendigung ihrer Liniendienstzeit sich als Stellvertre¬
ter auf weitere vierzehn Jahre anwerben zu lassen. Zudem aber existirte in
der Artillerie noch eine lebenslängliche Kapitulation. Gegen ein Handgeld von
45 Gulden opferte so mancher Leichtsinnige seine Zukunft und verpflichtete


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_187493/112>, abgerufen am 26.11.2024.