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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band.

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war, trat die heilsame Wendung ein. Die Alternative war jetzt nicht mehr-.
Annahme oder Ablehnung des Vertrags, sondern Erhaltung oder Auflösung
des Zollverbandes. Eine Gefahr, die Alle unmittelbar berührte, lag jetzt
offen vor Augen. Es kam nicht mehr darauf an, zu untersuchen, ob diese oder
jene Bestimmungen bedenklich seien, sondern es fragte sich, ob die einzelnen
Punkte, die man anders gewünscht hätte, einen Entschluß rechtfertigen konnten,
der eine segensreiche Verbindung vernichten und die materiellen Interessen des
Landes einer unberechenbaren Krisis aussetzen mußte. Jetzt erst war der Boden
für eine Agitation vorhanden, deren Kern Allen verständlich war. So sehr
hatte sich die Sachlage geändert, daß man sagen kann, alle jene Gutachten, die
damals von den Handelsvereincn und gewerblichen Korporationen eingeholt
worden, seien jetzt zum guten Theile antiquirt; denn sie hatten sich eben nur
die Prüfung des Vertrags als solchen zum Zweck gesetzt. Sie hatten dabei
zwar einstimmig sich für die Erhaltung des Zollvereins ausgesprochen, aber
dieser Gesichtspunkt erschien damals noch nicht als der dominirende, die Gefahr
war noch nicht eine brennende. Es ist keine Frage, daß manche dieser Gut¬
achten heute die Nothwendigkeit für Würtemberg, am Zollverein um jeden
Preis festzuhalten, ganz anders betonen würden.

Von hier aus ward nun auch der Umstand, daß die Regierung ohne Zu¬
stimmung der Stände vorangegangen war, ganz anders beurtheilt als zuvor.
Man hatte früher -- und mit Recht -- der Regierung ihre einseitige Entschei¬
dung zum Vorwurf gemacht. Formell war sie allerdings berechtigt, dem Ver¬
trag ihre Zustimmung zu versagen. Allein schwerlich handelte sie im constitu-
tionellen Geiste. Denn die Folge der definitiven Verwerfung des Vertrags ist
nicht die einfache Fortdauer des gegenwärtigen Zustandes, sondern die Noth¬
wendigkeit, nach Sprengung des Zollvereins sich nach neuen Zollverbindungen
umzusehen, und hierzu ist die Regierung verfassungsmäßig an die Einwilligung
der Stände gebunden. Diese neue Zvllvcrbindung ist aber, sobald jener Fall
eintritt, mit Nothwendigkeit gegeben, und das Zustimmungsrecht der Stände
deswegen rein illusorisch gemacht, wenn ihnen blos die Möglichkeit eingeräumt
wird, die Folge zu acceptiren, nicht auch, sie abzuwenden.

Dennoch muß es jetzt als ein besonders günstiger Umstand erscheinen, daß
damals die Kammer noch nicht gehört wurde. Unter dem Druck der damaligen
Stimmung hätte sie in ihrer weit überwiegenden Mehrheit der Politik der
Regierung zugestimmt. Schon die Wahl der volkswirthschaftlichen Commission
bewies dies. Nun aber hat sich die Kammer noch durch kein Votum gebunden.
Jetzt würde auch sie vor Allem die Eventualität eines Bruchs des Zollvereins
ins Auge zu fassen haben, und so darf ihr Votum wenigstens immerhin als
zweifelhaft betrachtet werden. Die Hauptsache ist, daß die Schuld für die
gegenwärtige Lage allein aus der Regierung liegt.


war, trat die heilsame Wendung ein. Die Alternative war jetzt nicht mehr-.
Annahme oder Ablehnung des Vertrags, sondern Erhaltung oder Auflösung
des Zollverbandes. Eine Gefahr, die Alle unmittelbar berührte, lag jetzt
offen vor Augen. Es kam nicht mehr darauf an, zu untersuchen, ob diese oder
jene Bestimmungen bedenklich seien, sondern es fragte sich, ob die einzelnen
Punkte, die man anders gewünscht hätte, einen Entschluß rechtfertigen konnten,
der eine segensreiche Verbindung vernichten und die materiellen Interessen des
Landes einer unberechenbaren Krisis aussetzen mußte. Jetzt erst war der Boden
für eine Agitation vorhanden, deren Kern Allen verständlich war. So sehr
hatte sich die Sachlage geändert, daß man sagen kann, alle jene Gutachten, die
damals von den Handelsvereincn und gewerblichen Korporationen eingeholt
worden, seien jetzt zum guten Theile antiquirt; denn sie hatten sich eben nur
die Prüfung des Vertrags als solchen zum Zweck gesetzt. Sie hatten dabei
zwar einstimmig sich für die Erhaltung des Zollvereins ausgesprochen, aber
dieser Gesichtspunkt erschien damals noch nicht als der dominirende, die Gefahr
war noch nicht eine brennende. Es ist keine Frage, daß manche dieser Gut¬
achten heute die Nothwendigkeit für Würtemberg, am Zollverein um jeden
Preis festzuhalten, ganz anders betonen würden.

Von hier aus ward nun auch der Umstand, daß die Regierung ohne Zu¬
stimmung der Stände vorangegangen war, ganz anders beurtheilt als zuvor.
Man hatte früher — und mit Recht — der Regierung ihre einseitige Entschei¬
dung zum Vorwurf gemacht. Formell war sie allerdings berechtigt, dem Ver¬
trag ihre Zustimmung zu versagen. Allein schwerlich handelte sie im constitu-
tionellen Geiste. Denn die Folge der definitiven Verwerfung des Vertrags ist
nicht die einfache Fortdauer des gegenwärtigen Zustandes, sondern die Noth¬
wendigkeit, nach Sprengung des Zollvereins sich nach neuen Zollverbindungen
umzusehen, und hierzu ist die Regierung verfassungsmäßig an die Einwilligung
der Stände gebunden. Diese neue Zvllvcrbindung ist aber, sobald jener Fall
eintritt, mit Nothwendigkeit gegeben, und das Zustimmungsrecht der Stände
deswegen rein illusorisch gemacht, wenn ihnen blos die Möglichkeit eingeräumt
wird, die Folge zu acceptiren, nicht auch, sie abzuwenden.

Dennoch muß es jetzt als ein besonders günstiger Umstand erscheinen, daß
damals die Kammer noch nicht gehört wurde. Unter dem Druck der damaligen
Stimmung hätte sie in ihrer weit überwiegenden Mehrheit der Politik der
Regierung zugestimmt. Schon die Wahl der volkswirthschaftlichen Commission
bewies dies. Nun aber hat sich die Kammer noch durch kein Votum gebunden.
Jetzt würde auch sie vor Allem die Eventualität eines Bruchs des Zollvereins
ins Auge zu fassen haben, und so darf ihr Votum wenigstens immerhin als
zweifelhaft betrachtet werden. Die Hauptsache ist, daß die Schuld für die
gegenwärtige Lage allein aus der Regierung liegt.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_187493/102>, abgerufen am 25.11.2024.