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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band.

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zösischer Diplomaten in Wien erschien, brachte er außer der Maske uneigen¬
nütziger Großmuth in seinem Koffer ein Princip mit. nach dem künftig alle
Angelegenheiten Europas bemessen werden sollten, und das sich gerade in dem
Munde Talleyrands. dieses langjährigen Dieners der Revolution, sehr seltsam
ausnehmen sollte. Es war das sogenannte Princip der Legitimität, hervor¬
gegangen aus der Weltanschauung der bourbonischen Fürsten. Das eigentliche
Wesen dieser Theorie, welche zunächst gegen Murat und für den König von
Sachsen spielen sollte, lag darin, daß sie die öffentlichen Angelegenheiten nicht
in staatsrechtlicher, sondern lediglich in privatrechtlicher Weise auffaßte, dieselben
als Interessen der fürstlichen Familien ansah und nicht nur das Dasein der
Völker, als moralischer Personen, sondern selbst das der Staaten mit einer bis
dahin unerhörten Schroffheit läugnete. Es gab nach dieser Lehre überhaupt
keine Staaten, sondern nur Länder, welche gewissen fürstlichen Personen etwa
so wie ein Rittergut einer Privatperson gehörten -- sehr erfreulich für so
manchen Dynasten, dem der Zerfall des deutschen Reiches und Napoleons Macht¬
spruch zur Souveränetät verholfen, dessen Besitzthum aber nicht geeignet war.
dem Zweck eines staatlich selbständigen Daseins zu entsprechen.

Trotzdem war die gesellschaftliche Stellung des französischen Botschafters
zunächst eine sehr peinliche und wenig Erfolg versprechende. Er sah sich gemieden,
und nur die Engländer näherten sich ihm bisweilen. Aber der Virtuos in
allen diplomatischen Künsten war der Mann nicht, vor solchen Schwierigkeiten
die Segel zu streichen. Bald war es ihm gelungen, durch dreistes Auftreten
Einzelne zu verblüffen. Andern zu impomren, bereits für abgethan Geltendes
in Frage zu stellen und Alles mehr oder minder in Verwirrung zu bringen,
und noch war keine Woche vergangen, so sah er sich im Besitz alles dessen,
was er bedürfte, um den Gang des Congresses nach Frankreichs Interesse zu
bestimmen. Siegreich hatte er seine Stellung als vollberechtigtes Mitglied des
Congresses. als Vertreter der Legitimität und des geschichtlichen Rechtes, als
Schirmvogt der Mächte zweiten und dritten Ranges und aller Bedrohten that¬
sächlich eingenommen. Die Befugniß in Sachen Sachsens und Polens mit¬
zusprechen, wurde ihm selbst von Kaiser Alexander nicht mehr bestritten. Hatte
er bis zur Eröffnung des Congresses in den demselben vorhergehenden Con-
ferenzen sowie in Einzelgesprächen') mit verschiedenen Fürsten und Diplomaten
nur in formeller Beziehung viel erreicht, so sollte ihm bald der ausbrechende



an seinem Krönungstage edlen Jüngling" den Ritterschlag ertheilt, nach altem Herkommen
gefügt: ist ein Dalberg da? -- Fortan werde der Henker diese Frage zu thun haben, wenn
Landesverräther hinzurichten wären.
"
) Vgl. S. 32 und das höchst bezeichnende Gespräch Talleyrands mit Alexander S. 36
und 36.
Grenzboten IV. 1863. 12

zösischer Diplomaten in Wien erschien, brachte er außer der Maske uneigen¬
nütziger Großmuth in seinem Koffer ein Princip mit. nach dem künftig alle
Angelegenheiten Europas bemessen werden sollten, und das sich gerade in dem
Munde Talleyrands. dieses langjährigen Dieners der Revolution, sehr seltsam
ausnehmen sollte. Es war das sogenannte Princip der Legitimität, hervor¬
gegangen aus der Weltanschauung der bourbonischen Fürsten. Das eigentliche
Wesen dieser Theorie, welche zunächst gegen Murat und für den König von
Sachsen spielen sollte, lag darin, daß sie die öffentlichen Angelegenheiten nicht
in staatsrechtlicher, sondern lediglich in privatrechtlicher Weise auffaßte, dieselben
als Interessen der fürstlichen Familien ansah und nicht nur das Dasein der
Völker, als moralischer Personen, sondern selbst das der Staaten mit einer bis
dahin unerhörten Schroffheit läugnete. Es gab nach dieser Lehre überhaupt
keine Staaten, sondern nur Länder, welche gewissen fürstlichen Personen etwa
so wie ein Rittergut einer Privatperson gehörten — sehr erfreulich für so
manchen Dynasten, dem der Zerfall des deutschen Reiches und Napoleons Macht¬
spruch zur Souveränetät verholfen, dessen Besitzthum aber nicht geeignet war.
dem Zweck eines staatlich selbständigen Daseins zu entsprechen.

Trotzdem war die gesellschaftliche Stellung des französischen Botschafters
zunächst eine sehr peinliche und wenig Erfolg versprechende. Er sah sich gemieden,
und nur die Engländer näherten sich ihm bisweilen. Aber der Virtuos in
allen diplomatischen Künsten war der Mann nicht, vor solchen Schwierigkeiten
die Segel zu streichen. Bald war es ihm gelungen, durch dreistes Auftreten
Einzelne zu verblüffen. Andern zu impomren, bereits für abgethan Geltendes
in Frage zu stellen und Alles mehr oder minder in Verwirrung zu bringen,
und noch war keine Woche vergangen, so sah er sich im Besitz alles dessen,
was er bedürfte, um den Gang des Congresses nach Frankreichs Interesse zu
bestimmen. Siegreich hatte er seine Stellung als vollberechtigtes Mitglied des
Congresses. als Vertreter der Legitimität und des geschichtlichen Rechtes, als
Schirmvogt der Mächte zweiten und dritten Ranges und aller Bedrohten that¬
sächlich eingenommen. Die Befugniß in Sachen Sachsens und Polens mit¬
zusprechen, wurde ihm selbst von Kaiser Alexander nicht mehr bestritten. Hatte
er bis zur Eröffnung des Congresses in den demselben vorhergehenden Con-
ferenzen sowie in Einzelgesprächen') mit verschiedenen Fürsten und Diplomaten
nur in formeller Beziehung viel erreicht, so sollte ihm bald der ausbrechende



an seinem Krönungstage edlen Jüngling» den Ritterschlag ertheilt, nach altem Herkommen
gefügt: ist ein Dalberg da? — Fortan werde der Henker diese Frage zu thun haben, wenn
Landesverräther hinzurichten wären.
"
) Vgl. S. 32 und das höchst bezeichnende Gespräch Talleyrands mit Alexander S. 36
und 36.
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[0097] zösischer Diplomaten in Wien erschien, brachte er außer der Maske uneigen¬ nütziger Großmuth in seinem Koffer ein Princip mit. nach dem künftig alle Angelegenheiten Europas bemessen werden sollten, und das sich gerade in dem Munde Talleyrands. dieses langjährigen Dieners der Revolution, sehr seltsam ausnehmen sollte. Es war das sogenannte Princip der Legitimität, hervor¬ gegangen aus der Weltanschauung der bourbonischen Fürsten. Das eigentliche Wesen dieser Theorie, welche zunächst gegen Murat und für den König von Sachsen spielen sollte, lag darin, daß sie die öffentlichen Angelegenheiten nicht in staatsrechtlicher, sondern lediglich in privatrechtlicher Weise auffaßte, dieselben als Interessen der fürstlichen Familien ansah und nicht nur das Dasein der Völker, als moralischer Personen, sondern selbst das der Staaten mit einer bis dahin unerhörten Schroffheit läugnete. Es gab nach dieser Lehre überhaupt keine Staaten, sondern nur Länder, welche gewissen fürstlichen Personen etwa so wie ein Rittergut einer Privatperson gehörten — sehr erfreulich für so manchen Dynasten, dem der Zerfall des deutschen Reiches und Napoleons Macht¬ spruch zur Souveränetät verholfen, dessen Besitzthum aber nicht geeignet war. dem Zweck eines staatlich selbständigen Daseins zu entsprechen. Trotzdem war die gesellschaftliche Stellung des französischen Botschafters zunächst eine sehr peinliche und wenig Erfolg versprechende. Er sah sich gemieden, und nur die Engländer näherten sich ihm bisweilen. Aber der Virtuos in allen diplomatischen Künsten war der Mann nicht, vor solchen Schwierigkeiten die Segel zu streichen. Bald war es ihm gelungen, durch dreistes Auftreten Einzelne zu verblüffen. Andern zu impomren, bereits für abgethan Geltendes in Frage zu stellen und Alles mehr oder minder in Verwirrung zu bringen, und noch war keine Woche vergangen, so sah er sich im Besitz alles dessen, was er bedürfte, um den Gang des Congresses nach Frankreichs Interesse zu bestimmen. Siegreich hatte er seine Stellung als vollberechtigtes Mitglied des Congresses. als Vertreter der Legitimität und des geschichtlichen Rechtes, als Schirmvogt der Mächte zweiten und dritten Ranges und aller Bedrohten that¬ sächlich eingenommen. Die Befugniß in Sachen Sachsens und Polens mit¬ zusprechen, wurde ihm selbst von Kaiser Alexander nicht mehr bestritten. Hatte er bis zur Eröffnung des Congresses in den demselben vorhergehenden Con- ferenzen sowie in Einzelgesprächen') mit verschiedenen Fürsten und Diplomaten nur in formeller Beziehung viel erreicht, so sollte ihm bald der ausbrechende an seinem Krönungstage edlen Jüngling» den Ritterschlag ertheilt, nach altem Herkommen gefügt: ist ein Dalberg da? — Fortan werde der Henker diese Frage zu thun haben, wenn Landesverräther hinzurichten wären. " ) Vgl. S. 32 und das höchst bezeichnende Gespräch Talleyrands mit Alexander S. 36 und 36. Grenzboten IV. 1863. 12

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115927/97>, abgerufen am 15.01.2025.