Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band.Oestreich und Preußen in eine gewisse Abhängigkeit von Rußland gerathen Aus andern Gründen, aber nicht minder eifrig rüstete man sich in Frankreich Zunächst handelte es sich um die Frage, in welchen Bündnissen Frank¬ Oestreich und Preußen in eine gewisse Abhängigkeit von Rußland gerathen Aus andern Gründen, aber nicht minder eifrig rüstete man sich in Frankreich Zunächst handelte es sich um die Frage, in welchen Bündnissen Frank¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0094" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/116022"/> <p xml:id="ID_338" prev="#ID_337"> Oestreich und Preußen in eine gewisse Abhängigkeit von Rußland gerathen<lb/> könnten. Und erhielt Polen vollends unter russischem Schutz eine freisinnige<lb/> Verfassung, so war das in den Augen dieser Staatsmänner noch ein neues<lb/> Element des Unfriedens und revolutionärer Störung in Europa; das Uebel<lb/> wurde dadurch nur noch ärger. So war denn das Cabinet von Se. James<lb/> entschlossen, heben Gedanken an eine solche Wiederherstellung Polens auf das<lb/> Bestimmteste zu verwerfen und aus dem Congreß die Vertheilung des Gebiets,<lb/> welches bisher das Herzogthum Warschau gebildet, unter die drei angrenzenden<lb/> Mächte zu verlangen.</p><lb/> <p xml:id="ID_339"> Aus andern Gründen, aber nicht minder eifrig rüstete man sich in Frankreich<lb/> zum Widerstande gegen Alexanders Pläne in Betreff Polens. Frankreich war nicht<lb/> blos gedemüthigt, sondern auch völlig isolirt. Es hatte in einem geheimen Artikel<lb/> des pariser Friedens auf jede Theilnahme an der Neugestaltung Europas, an der<lb/> Vertheilung der ihm oder seinen früheren Verbündeten abgenommenen und zunächst<lb/> herrenlos gewordenen Gebiete in Deutschland, Polen und Italien ausdrücklich ver¬<lb/> zichten müssen, und war, dadurch in seiner Thätigkeit nach außen rechtlich vollkom¬<lb/> men beschränkt, ohne alle Verbindungen und Freunde. Solche Verbindungen mu߬<lb/> ten wieder gewonnen werden. Das verlangte schon der ungeheure bourbonische<lb/> Hochmuth Ludwigs des Achtzehnter, des Erben der Merowinger und Karo¬<lb/> linger, des Nachfolgers Ludwigs des „Großen", und sofort ging man ans Werk.</p><lb/> <p xml:id="ID_340" next="#ID_341"> Zunächst handelte es sich um die Frage, in welchen Bündnissen Frank¬<lb/> reich fortan eine Stütze suchen, welche Mittel es suchen sollte, zu neuer Gel¬<lb/> tung zu gelangen. Hier hatte man zunächst die Wahl, sich entweder an Nu߬<lb/> land anzuschließen oder sich unter den kleinern deutschen Fürsten Freunde zu<lb/> gewinnen und etwa noch ein Bündniß mit England zu erstreben. Entschloß<lb/> man sich zu dem Ersten, so mußte man auf die Pläne Alexanders eingehen, d. h.<lb/> sowohl die Errichtung eines neuen Polenrcichs unter russischem Schutz als die<lb/> Vereinigung Sachsens mit Preußen zu fördern bestrebt sein. Indeß war dieses<lb/> Bündniß nicht leicht zu haben. Dem Kaiser Alexander waren die Bourbonen<lb/> immer zuwider gewesen und nach einer kurz dauernden Annäherung waren sie ihm<lb/> durch die Art, wie der König die Forderung des Kaisers nach einer Verfassung<lb/> für Frankreich ausnahm, nur noch widerwärtiger geworden. Sie erschienen<lb/> ihm mit Recht als ein durchaus verkommenes, engherziges und unverbesserliches<lb/> Geschlecht, von dem durchaus nichts zu hoffen sei, eine Ansicht, die er gegen die<lb/> Häupter der Liberalen in Paris höchst unumwunden aussprach, und die ihn<lb/> veranlaßte, gar Manches den Bourbonen zum Verdruß zu thun. In übler<lb/> Stimmung darüber und in der Ueberzeugung, daß Alexander sich kaum ge¬<lb/> winnen lassen werde, entschloß man sich für den ander» Weg, der im Wider¬<lb/> stand einerseits gegen die Vergrößerung Rußlands durch das Herzogthum<lb/> Warschau, andererseits gegen die Einverleibung Sachsens in Preußen bestand.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0094]
Oestreich und Preußen in eine gewisse Abhängigkeit von Rußland gerathen
könnten. Und erhielt Polen vollends unter russischem Schutz eine freisinnige
Verfassung, so war das in den Augen dieser Staatsmänner noch ein neues
Element des Unfriedens und revolutionärer Störung in Europa; das Uebel
wurde dadurch nur noch ärger. So war denn das Cabinet von Se. James
entschlossen, heben Gedanken an eine solche Wiederherstellung Polens auf das
Bestimmteste zu verwerfen und aus dem Congreß die Vertheilung des Gebiets,
welches bisher das Herzogthum Warschau gebildet, unter die drei angrenzenden
Mächte zu verlangen.
Aus andern Gründen, aber nicht minder eifrig rüstete man sich in Frankreich
zum Widerstande gegen Alexanders Pläne in Betreff Polens. Frankreich war nicht
blos gedemüthigt, sondern auch völlig isolirt. Es hatte in einem geheimen Artikel
des pariser Friedens auf jede Theilnahme an der Neugestaltung Europas, an der
Vertheilung der ihm oder seinen früheren Verbündeten abgenommenen und zunächst
herrenlos gewordenen Gebiete in Deutschland, Polen und Italien ausdrücklich ver¬
zichten müssen, und war, dadurch in seiner Thätigkeit nach außen rechtlich vollkom¬
men beschränkt, ohne alle Verbindungen und Freunde. Solche Verbindungen mu߬
ten wieder gewonnen werden. Das verlangte schon der ungeheure bourbonische
Hochmuth Ludwigs des Achtzehnter, des Erben der Merowinger und Karo¬
linger, des Nachfolgers Ludwigs des „Großen", und sofort ging man ans Werk.
Zunächst handelte es sich um die Frage, in welchen Bündnissen Frank¬
reich fortan eine Stütze suchen, welche Mittel es suchen sollte, zu neuer Gel¬
tung zu gelangen. Hier hatte man zunächst die Wahl, sich entweder an Nu߬
land anzuschließen oder sich unter den kleinern deutschen Fürsten Freunde zu
gewinnen und etwa noch ein Bündniß mit England zu erstreben. Entschloß
man sich zu dem Ersten, so mußte man auf die Pläne Alexanders eingehen, d. h.
sowohl die Errichtung eines neuen Polenrcichs unter russischem Schutz als die
Vereinigung Sachsens mit Preußen zu fördern bestrebt sein. Indeß war dieses
Bündniß nicht leicht zu haben. Dem Kaiser Alexander waren die Bourbonen
immer zuwider gewesen und nach einer kurz dauernden Annäherung waren sie ihm
durch die Art, wie der König die Forderung des Kaisers nach einer Verfassung
für Frankreich ausnahm, nur noch widerwärtiger geworden. Sie erschienen
ihm mit Recht als ein durchaus verkommenes, engherziges und unverbesserliches
Geschlecht, von dem durchaus nichts zu hoffen sei, eine Ansicht, die er gegen die
Häupter der Liberalen in Paris höchst unumwunden aussprach, und die ihn
veranlaßte, gar Manches den Bourbonen zum Verdruß zu thun. In übler
Stimmung darüber und in der Ueberzeugung, daß Alexander sich kaum ge¬
winnen lassen werde, entschloß man sich für den ander» Weg, der im Wider¬
stand einerseits gegen die Vergrößerung Rußlands durch das Herzogthum
Warschau, andererseits gegen die Einverleibung Sachsens in Preußen bestand.
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