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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band.

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Alexander hatte bei seinem letzten Aufenthalt in Petersburg (Sommer
1814) das Bedenkliche dieser Stimmung erkannt. Sein Plan ging, als er
nach Wien kam. nur noch auf ein parlamentarisch regiertes Königreich Polen,
welches aus dem Herzogthum Warschau gebildet werden sollte. Aber auch in
dieser Gestalt fand derselbe bei allen seinen Rathen mit Ausnahme Adam Czar-
toryskis, der sich in Wien ohne Auftrag und Vollmacht als Vertreter der pol¬
nischen Nation gerirte. entschiedensten Widerspruch. Zuerst von Allen wies
Stein in einer Denkschrift nach, daß die Grenze, die der Kaiser in Polen ver¬
lange, Preußen wie Oestreich gefährde, ein Umstand, der keinen dauernden
Frieden verspreche. Er erinnerte daran, daß zwischen einem absolutistisch regier¬
ten Rußland und einem damit verbundenen verfassungsfreien Polen bleibende
Einigkeit nicht zu erwarten. Das Kaiserreich, eifersüchtig gemacht, werde die
Vereinigung in Einverleibung zu verwandeln streben, Polen dagegen stets in
Unruhe um die Erhaltung seiner Vorrechte sein, und diese Unruhe werde den
"gesetzlosen und umwälzcrischen" Charakter des polnischen Volkes annehmen,
die Vereinigung werde nothwendig zur Unterjochung Polens oder zur Trennung
führen, aber zu dem Einen wie zu dem Andern nur infolge neuer Erschütte¬
rungen. Um frühere Gewaltthaten gegen die Polen wieder gut zu machen und
zu ihren Gunsten aus die Grundsätze der Gerechtigkeit zurückzukommen, dürfe
man nicht in andern "nicht minder wichtigen Rücksichten der Staatskunst und
Sittlichkeit" sich von diesen Grundsätzen entfernen. Die Einrichtung von Pro-
vinzialständen werde für die Polen genügen. Buche ihnen eine Gesammt-
verfassung versagt, so müßten sie es als selbstverschuldet tragen. Uebrigens.
so fügte Stein mündlich hinzu, fehle in Polen der dritte Stand, der "in allen
gesitteten Ländern der Aufbewahrer der Einsichten, der Eitlem, der Reich¬
thümer des Volkes" sei, und so könne aus den Plänen Alexanders nur Unheil
hervorgehen.

In ähnlichem Sinn äußerten sich Rasumowsty, Capodistrias und vor Allen
Pozzo ti Borg". Dagegen wirkte die polnische Umgebung des Kaisers, deren
Absichten hinter der Vergötterung, die sie ^ihm darbrachte, von einem weniger
Eilein leicht erkannt worden wären, mit entschiedenem Erfolg für Bestärkung
Alexanders in seinem Vorsatz, zumal da sie einerseits ihn an sein verpfändetes
Wort erinnern, andrerseits auf eine Eigenschaft bauen konnte, nach welcher
er nicht gern von Licblingsplänen und namentlich nicht von solchen ließ, die
ihm persönlich eine glänzende Rolle versprachen.

Alexander würde es ganz natürlich gefunden haben, wenn seine gro߬
gedachten und freisinnigen Pläne bei allen mit ihm verbündeten Mächten freu¬
diger Zustimmung begegnet wären. In der That aber bereiteten sich alle bei
der Sache betheiligten Cabinete, ihm widersprechend entgegenzutreten. In
Berlin zwar wußte man, daß Preußens Zukunft und Größe nicht in der Wie-


Alexander hatte bei seinem letzten Aufenthalt in Petersburg (Sommer
1814) das Bedenkliche dieser Stimmung erkannt. Sein Plan ging, als er
nach Wien kam. nur noch auf ein parlamentarisch regiertes Königreich Polen,
welches aus dem Herzogthum Warschau gebildet werden sollte. Aber auch in
dieser Gestalt fand derselbe bei allen seinen Rathen mit Ausnahme Adam Czar-
toryskis, der sich in Wien ohne Auftrag und Vollmacht als Vertreter der pol¬
nischen Nation gerirte. entschiedensten Widerspruch. Zuerst von Allen wies
Stein in einer Denkschrift nach, daß die Grenze, die der Kaiser in Polen ver¬
lange, Preußen wie Oestreich gefährde, ein Umstand, der keinen dauernden
Frieden verspreche. Er erinnerte daran, daß zwischen einem absolutistisch regier¬
ten Rußland und einem damit verbundenen verfassungsfreien Polen bleibende
Einigkeit nicht zu erwarten. Das Kaiserreich, eifersüchtig gemacht, werde die
Vereinigung in Einverleibung zu verwandeln streben, Polen dagegen stets in
Unruhe um die Erhaltung seiner Vorrechte sein, und diese Unruhe werde den
„gesetzlosen und umwälzcrischen" Charakter des polnischen Volkes annehmen,
die Vereinigung werde nothwendig zur Unterjochung Polens oder zur Trennung
führen, aber zu dem Einen wie zu dem Andern nur infolge neuer Erschütte¬
rungen. Um frühere Gewaltthaten gegen die Polen wieder gut zu machen und
zu ihren Gunsten aus die Grundsätze der Gerechtigkeit zurückzukommen, dürfe
man nicht in andern „nicht minder wichtigen Rücksichten der Staatskunst und
Sittlichkeit" sich von diesen Grundsätzen entfernen. Die Einrichtung von Pro-
vinzialständen werde für die Polen genügen. Buche ihnen eine Gesammt-
verfassung versagt, so müßten sie es als selbstverschuldet tragen. Uebrigens.
so fügte Stein mündlich hinzu, fehle in Polen der dritte Stand, der „in allen
gesitteten Ländern der Aufbewahrer der Einsichten, der Eitlem, der Reich¬
thümer des Volkes" sei, und so könne aus den Plänen Alexanders nur Unheil
hervorgehen.

In ähnlichem Sinn äußerten sich Rasumowsty, Capodistrias und vor Allen
Pozzo ti Borg». Dagegen wirkte die polnische Umgebung des Kaisers, deren
Absichten hinter der Vergötterung, die sie ^ihm darbrachte, von einem weniger
Eilein leicht erkannt worden wären, mit entschiedenem Erfolg für Bestärkung
Alexanders in seinem Vorsatz, zumal da sie einerseits ihn an sein verpfändetes
Wort erinnern, andrerseits auf eine Eigenschaft bauen konnte, nach welcher
er nicht gern von Licblingsplänen und namentlich nicht von solchen ließ, die
ihm persönlich eine glänzende Rolle versprachen.

Alexander würde es ganz natürlich gefunden haben, wenn seine gro߬
gedachten und freisinnigen Pläne bei allen mit ihm verbündeten Mächten freu¬
diger Zustimmung begegnet wären. In der That aber bereiteten sich alle bei
der Sache betheiligten Cabinete, ihm widersprechend entgegenzutreten. In
Berlin zwar wußte man, daß Preußens Zukunft und Größe nicht in der Wie-


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[0092] Alexander hatte bei seinem letzten Aufenthalt in Petersburg (Sommer 1814) das Bedenkliche dieser Stimmung erkannt. Sein Plan ging, als er nach Wien kam. nur noch auf ein parlamentarisch regiertes Königreich Polen, welches aus dem Herzogthum Warschau gebildet werden sollte. Aber auch in dieser Gestalt fand derselbe bei allen seinen Rathen mit Ausnahme Adam Czar- toryskis, der sich in Wien ohne Auftrag und Vollmacht als Vertreter der pol¬ nischen Nation gerirte. entschiedensten Widerspruch. Zuerst von Allen wies Stein in einer Denkschrift nach, daß die Grenze, die der Kaiser in Polen ver¬ lange, Preußen wie Oestreich gefährde, ein Umstand, der keinen dauernden Frieden verspreche. Er erinnerte daran, daß zwischen einem absolutistisch regier¬ ten Rußland und einem damit verbundenen verfassungsfreien Polen bleibende Einigkeit nicht zu erwarten. Das Kaiserreich, eifersüchtig gemacht, werde die Vereinigung in Einverleibung zu verwandeln streben, Polen dagegen stets in Unruhe um die Erhaltung seiner Vorrechte sein, und diese Unruhe werde den „gesetzlosen und umwälzcrischen" Charakter des polnischen Volkes annehmen, die Vereinigung werde nothwendig zur Unterjochung Polens oder zur Trennung führen, aber zu dem Einen wie zu dem Andern nur infolge neuer Erschütte¬ rungen. Um frühere Gewaltthaten gegen die Polen wieder gut zu machen und zu ihren Gunsten aus die Grundsätze der Gerechtigkeit zurückzukommen, dürfe man nicht in andern „nicht minder wichtigen Rücksichten der Staatskunst und Sittlichkeit" sich von diesen Grundsätzen entfernen. Die Einrichtung von Pro- vinzialständen werde für die Polen genügen. Buche ihnen eine Gesammt- verfassung versagt, so müßten sie es als selbstverschuldet tragen. Uebrigens. so fügte Stein mündlich hinzu, fehle in Polen der dritte Stand, der „in allen gesitteten Ländern der Aufbewahrer der Einsichten, der Eitlem, der Reich¬ thümer des Volkes" sei, und so könne aus den Plänen Alexanders nur Unheil hervorgehen. In ähnlichem Sinn äußerten sich Rasumowsty, Capodistrias und vor Allen Pozzo ti Borg». Dagegen wirkte die polnische Umgebung des Kaisers, deren Absichten hinter der Vergötterung, die sie ^ihm darbrachte, von einem weniger Eilein leicht erkannt worden wären, mit entschiedenem Erfolg für Bestärkung Alexanders in seinem Vorsatz, zumal da sie einerseits ihn an sein verpfändetes Wort erinnern, andrerseits auf eine Eigenschaft bauen konnte, nach welcher er nicht gern von Licblingsplänen und namentlich nicht von solchen ließ, die ihm persönlich eine glänzende Rolle versprachen. Alexander würde es ganz natürlich gefunden haben, wenn seine gro߬ gedachten und freisinnigen Pläne bei allen mit ihm verbündeten Mächten freu¬ diger Zustimmung begegnet wären. In der That aber bereiteten sich alle bei der Sache betheiligten Cabinete, ihm widersprechend entgegenzutreten. In Berlin zwar wußte man, daß Preußens Zukunft und Größe nicht in der Wie-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115927/92>, abgerufen am 15.01.2025.