Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band.der Wahrscheinlichkeit. Gerade der Punkt der Gesetze von 1848, der den wie¬ Nehmen wir aber, um hier einer oft wiederholten Ansicht zu begegnen, der Wahrscheinlichkeit. Gerade der Punkt der Gesetze von 1848, der den wie¬ Nehmen wir aber, um hier einer oft wiederholten Ansicht zu begegnen, <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0072" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/116000"/> <p xml:id="ID_226" prev="#ID_225"> der Wahrscheinlichkeit. Gerade der Punkt der Gesetze von 1848, der den wie¬<lb/> ner Staatsmännern am wenigsten anstößig ist, die Erweiterung des Wahl¬<lb/> rechtes, gerade dieser Punkt ist natürlich in den Augen der Konservativen ein<lb/> Hauptmakcl jener Gesetze.</p><lb/> <p xml:id="ID_227" next="#ID_228"> Nehmen wir aber, um hier einer oft wiederholten Ansicht zu begegnen,<lb/> einen Augenblick an, daß die der vollständigen Durchführung des constitutionellen<lb/> Systems entgegentretenden Schwierigkeiten die kaiserliche Regierung zu einem<lb/> Zurückgreifen auf das Octoberdivlvm veranlaßte, nehmen wir an, daß es ihr<lb/> dadurch gelänge, einen Theil der Magnaten auf ihre Seite zu ziehen; die<lb/> ungarische Nation würde sie damit keineswegs gewinnen; sie würde nur ihre<lb/> Schwäche enthüllen und die Ungarn ermuthigen, alle Kräfte aufzubieten, um<lb/> die Gesammtstaatsidee aus ihrem letzten Zufluchtsorte mit einem raschen An¬<lb/> lauf herauszuschlagen. Wer in der Rückkehr zu dem Octvberdiplom die Ret¬<lb/> tung Oestreichs sieht, gründet seine Hoffnung auf die durchaus irrige An¬<lb/> schauung, als ob die ungarische Nationalpartei zu dem Diplom in einem minder<lb/> feindlichen Verhältniß stände als zu dem Patente. Die Ansicht wird aber<lb/> dadurch widerlegt, daß der Conflict gerade infolge der Verkündigung des<lb/> Diploms entstanden ist und bereits zu seiner ganzen Schärfe sich entwickelt<lb/> hatte, als das Februarpatent erschien. Die auf die staatsrechtlichen Verhält¬<lb/> nisse Ungarns bezüglichen Erlasse, gegen welche die Opposition sich richtete,<lb/> erschienen unmittelbar im Gefolge des Octobcrdiploms. Es wäre in der That<lb/> doch thöricht zu glauben, daß die Ungarn über die Schmälerung ihrer staat¬<lb/> lichen Selbständigkeit sich leichter beruhigen würden, wenn die ihnen entzogenen<lb/> Rechte nicht einem wirtlichen Parlamente, sondern einer Körperschaft von<lb/> so schwankenden Befugnissen und zweifelhaftem Ansehen, wie dem Reichsrath<lb/> des Octobcrdiploms übertragen würden. Wohl würden sie, daran ist nicht zu<lb/> zweifeln, einen solchen Schritt mit Freuden begrüßen, aber doch nur eben des¬<lb/> halb, weil sie darin den Beweis der Schwäche des Gegners sehen und mit<lb/> neu gestärkter Hoffnung sich zum vollständigen Sturz desselben rüsten würden,<lb/> für diesen Fall unterstützt von der hoffnungslosen Verzweiflung des ganzen<lb/> liberalen Oestreichs. Daß aber principiell die Ungarn gegen die Octobererlasse<lb/> eine mindere Abneigung, als gegen das Februarpatcnt haben sollten, ist weder<lb/> durch thatsächliche Beweise zu erhärten, noch würde es der Natur der Dinge<lb/> entsprechen, da der verstärkte halb büreaukratische Reichsrath den Ungarn<lb/> durchaus keine stärkern nationalen Garantien bieten würde, als die gegenwär¬<lb/> tige Neichsvcrtretung. Wollte Oestreich Ungarn durch Aufopferung seiner Ge-<lb/> sammtvertretung versöhnen, so wäre das ebenso, als wenn ein Staat während<lb/> des Krieges entwaffnen wollte, um den Gegner dadurch zum Frieden geneigt<lb/> zu machen. Denn ohne Zweifel ist das wiener Parlament, so unvollständig<lb/> es auch dasteht, die stärkste Waffe, die Oestreich in seinen innern Kämpfen be-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0072]
der Wahrscheinlichkeit. Gerade der Punkt der Gesetze von 1848, der den wie¬
ner Staatsmännern am wenigsten anstößig ist, die Erweiterung des Wahl¬
rechtes, gerade dieser Punkt ist natürlich in den Augen der Konservativen ein
Hauptmakcl jener Gesetze.
Nehmen wir aber, um hier einer oft wiederholten Ansicht zu begegnen,
einen Augenblick an, daß die der vollständigen Durchführung des constitutionellen
Systems entgegentretenden Schwierigkeiten die kaiserliche Regierung zu einem
Zurückgreifen auf das Octoberdivlvm veranlaßte, nehmen wir an, daß es ihr
dadurch gelänge, einen Theil der Magnaten auf ihre Seite zu ziehen; die
ungarische Nation würde sie damit keineswegs gewinnen; sie würde nur ihre
Schwäche enthüllen und die Ungarn ermuthigen, alle Kräfte aufzubieten, um
die Gesammtstaatsidee aus ihrem letzten Zufluchtsorte mit einem raschen An¬
lauf herauszuschlagen. Wer in der Rückkehr zu dem Octvberdiplom die Ret¬
tung Oestreichs sieht, gründet seine Hoffnung auf die durchaus irrige An¬
schauung, als ob die ungarische Nationalpartei zu dem Diplom in einem minder
feindlichen Verhältniß stände als zu dem Patente. Die Ansicht wird aber
dadurch widerlegt, daß der Conflict gerade infolge der Verkündigung des
Diploms entstanden ist und bereits zu seiner ganzen Schärfe sich entwickelt
hatte, als das Februarpatent erschien. Die auf die staatsrechtlichen Verhält¬
nisse Ungarns bezüglichen Erlasse, gegen welche die Opposition sich richtete,
erschienen unmittelbar im Gefolge des Octobcrdiploms. Es wäre in der That
doch thöricht zu glauben, daß die Ungarn über die Schmälerung ihrer staat¬
lichen Selbständigkeit sich leichter beruhigen würden, wenn die ihnen entzogenen
Rechte nicht einem wirtlichen Parlamente, sondern einer Körperschaft von
so schwankenden Befugnissen und zweifelhaftem Ansehen, wie dem Reichsrath
des Octobcrdiploms übertragen würden. Wohl würden sie, daran ist nicht zu
zweifeln, einen solchen Schritt mit Freuden begrüßen, aber doch nur eben des¬
halb, weil sie darin den Beweis der Schwäche des Gegners sehen und mit
neu gestärkter Hoffnung sich zum vollständigen Sturz desselben rüsten würden,
für diesen Fall unterstützt von der hoffnungslosen Verzweiflung des ganzen
liberalen Oestreichs. Daß aber principiell die Ungarn gegen die Octobererlasse
eine mindere Abneigung, als gegen das Februarpatcnt haben sollten, ist weder
durch thatsächliche Beweise zu erhärten, noch würde es der Natur der Dinge
entsprechen, da der verstärkte halb büreaukratische Reichsrath den Ungarn
durchaus keine stärkern nationalen Garantien bieten würde, als die gegenwär¬
tige Neichsvcrtretung. Wollte Oestreich Ungarn durch Aufopferung seiner Ge-
sammtvertretung versöhnen, so wäre das ebenso, als wenn ein Staat während
des Krieges entwaffnen wollte, um den Gegner dadurch zum Frieden geneigt
zu machen. Denn ohne Zweifel ist das wiener Parlament, so unvollständig
es auch dasteht, die stärkste Waffe, die Oestreich in seinen innern Kämpfen be-
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