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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band.

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Es handelt sich ferner darum, eine tief mit der Nation verwachsene Ver¬
fassung, die ihre Lebenskraft aufs Glänzendste dadurch bewährt hat, daß sie
eine der gewaltigsten Umwandelungen erfahren hat, ohne auch nur einen Mo¬
ment die Nechtscontinuität zu unterbrechen, gegen eine Verfassung umzutauschen,
die auch der wohlwollendste Beurtheiler bis jetzt doch eben nur als ein geniales
Experiment ansehen kann. Legt man aber darauf ein Gewicht, daß Ungarn
ja gar nicht mehr im Besitze seiner Verfassung sich befindet, daß es also, wenn
es sich dem Februarpatent unterwirft, aus einem verfassungslosen Zustand in
einen verfassungsmäßigen übergehen werde, so haben auf diese Argumentation
die Ungarn in den Schlußworten der zweiten Adresse von 1861") die voll¬
wichtigste Antwort ertheilt. "Sie (die Nation) wird dulden ohne Entmuthi-
gung, so wie ihre Ahnen geduldet und gelitten haben, um die Rechte des Lan¬
des vertheidigen zu können, denn was Kraft und Gewalt wegnehmen, das kön¬
nen Zeit und günstige Umstände wieder zurückbringen, aber worauf die Nation
aus Furcht vor Leiden selbst verzichtet, dessen Wiedergewinn ist immer schwer
und zweifelhaft. Die Nation wird dulden, eine schönere Zukunft hoffend und
auf die Gerechtigkeit ihrer Sache vertrauend." Sollte der jugendliche wiener
Liberalismus dies Manneswort für eine Phrase halten? Ich denke, die Ge¬
schichte Ungarns beweist, daß es vielmehr der kräftige Ausdruck eines festen,
wohlerwogenen und unerschütterlichen Entschlusses ist.

Eine genaue Betrachtung des Conflictes in seinen Hauptphasen wird es
außer Zweifel stellen, sowohl, daß das Verfahren der Ungarn ein verfassungs¬
mäßig berechtigtes und der Lage der Dinge entsprechendes ist, als daß die bis¬
her von Oestreich in Anwendung gebrachten Mittel unmöglich zu einer Pacifi-
cirung des Landes führen können, daß vielmehr die Lösung des Conflictes nur
durch einen nicht scheinbaren, sondern wirklichen und ehrlichen Cvmpromiß er¬
folgen kann. Eine weitere Frage von der allergrößten Bedeutung ist es so¬
dann, ob mit den neuesten Evolutionen der östreichischen Staatskunst nicht nur
eine Fortsetzung des Verfahrens gegen Ungarn, sondern überhaupt ein weite¬
res Verfolgen der Gesammtstaatsidee vereinbar ist. auf deren Durchführung,
mögen auch ihre Schwierigkeiten so groß sein, daß man sich gern gelegentlich
von ihr in politischen Abenteuern erholt, doch die Zukunft der Monarchie beruht.

Die Verkündigung des Octoberdiploms hatte in ganz Ungarn eine über¬
aus lebhafte, leider vielfach die Grenzen der Mäßigung überschreitende Auf¬
regung zur Folge. Mit der Wiederherstellung der Comitate gab man der Na¬
tion eine Waffe in die Hände, deren Schärfe das Cabinet schon mehr als
einmal hatte kennen lernen, und auch jetzt von Neuem kennen lernen sollte.



Vollständig abgedruckt in der Beilage zum Märzhcft des Staatsarchivs 18U2, in dem
alle wichtigen den Conflict betreffenden Documente zusammengestellt sind.

Es handelt sich ferner darum, eine tief mit der Nation verwachsene Ver¬
fassung, die ihre Lebenskraft aufs Glänzendste dadurch bewährt hat, daß sie
eine der gewaltigsten Umwandelungen erfahren hat, ohne auch nur einen Mo¬
ment die Nechtscontinuität zu unterbrechen, gegen eine Verfassung umzutauschen,
die auch der wohlwollendste Beurtheiler bis jetzt doch eben nur als ein geniales
Experiment ansehen kann. Legt man aber darauf ein Gewicht, daß Ungarn
ja gar nicht mehr im Besitze seiner Verfassung sich befindet, daß es also, wenn
es sich dem Februarpatent unterwirft, aus einem verfassungslosen Zustand in
einen verfassungsmäßigen übergehen werde, so haben auf diese Argumentation
die Ungarn in den Schlußworten der zweiten Adresse von 1861") die voll¬
wichtigste Antwort ertheilt. „Sie (die Nation) wird dulden ohne Entmuthi-
gung, so wie ihre Ahnen geduldet und gelitten haben, um die Rechte des Lan¬
des vertheidigen zu können, denn was Kraft und Gewalt wegnehmen, das kön¬
nen Zeit und günstige Umstände wieder zurückbringen, aber worauf die Nation
aus Furcht vor Leiden selbst verzichtet, dessen Wiedergewinn ist immer schwer
und zweifelhaft. Die Nation wird dulden, eine schönere Zukunft hoffend und
auf die Gerechtigkeit ihrer Sache vertrauend." Sollte der jugendliche wiener
Liberalismus dies Manneswort für eine Phrase halten? Ich denke, die Ge¬
schichte Ungarns beweist, daß es vielmehr der kräftige Ausdruck eines festen,
wohlerwogenen und unerschütterlichen Entschlusses ist.

Eine genaue Betrachtung des Conflictes in seinen Hauptphasen wird es
außer Zweifel stellen, sowohl, daß das Verfahren der Ungarn ein verfassungs¬
mäßig berechtigtes und der Lage der Dinge entsprechendes ist, als daß die bis¬
her von Oestreich in Anwendung gebrachten Mittel unmöglich zu einer Pacifi-
cirung des Landes führen können, daß vielmehr die Lösung des Conflictes nur
durch einen nicht scheinbaren, sondern wirklichen und ehrlichen Cvmpromiß er¬
folgen kann. Eine weitere Frage von der allergrößten Bedeutung ist es so¬
dann, ob mit den neuesten Evolutionen der östreichischen Staatskunst nicht nur
eine Fortsetzung des Verfahrens gegen Ungarn, sondern überhaupt ein weite¬
res Verfolgen der Gesammtstaatsidee vereinbar ist. auf deren Durchführung,
mögen auch ihre Schwierigkeiten so groß sein, daß man sich gern gelegentlich
von ihr in politischen Abenteuern erholt, doch die Zukunft der Monarchie beruht.

Die Verkündigung des Octoberdiploms hatte in ganz Ungarn eine über¬
aus lebhafte, leider vielfach die Grenzen der Mäßigung überschreitende Auf¬
regung zur Folge. Mit der Wiederherstellung der Comitate gab man der Na¬
tion eine Waffe in die Hände, deren Schärfe das Cabinet schon mehr als
einmal hatte kennen lernen, und auch jetzt von Neuem kennen lernen sollte.



Vollständig abgedruckt in der Beilage zum Märzhcft des Staatsarchivs 18U2, in dem
alle wichtigen den Conflict betreffenden Documente zusammengestellt sind.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115927/68>, abgerufen am 15.01.2025.