Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band.Zeilen: "Sähe ich Mayland jetzt im Herwege und käme aus den Gebirgen in Darauf folgt das nachstehende auffällige Urtheil über den Mailänder Dom: Zum Schluß noch eine uns aus Weimar mitgetheilte Notiz, die sich auf Wir sehen, Goethe war auch in den letzten Jahren keineswegs vollkomm- Zeilen: „Sähe ich Mayland jetzt im Herwege und käme aus den Gebirgen in Darauf folgt das nachstehende auffällige Urtheil über den Mailänder Dom: Zum Schluß noch eine uns aus Weimar mitgetheilte Notiz, die sich auf Wir sehen, Goethe war auch in den letzten Jahren keineswegs vollkomm- <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0064" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/115992"/> <p xml:id="ID_208" prev="#ID_207"> Zeilen: „Sähe ich Mayland jetzt im Herwege und käme aus den Gebirgen in<lb/> diese weite Gegend, diese frei gelegene Stadt, zögen sich die fernen Apenninen<lb/> ahndungsvoll am Horizont hin: was würde ich für Hymnen singen und für Freude<lb/> unter diesem schönen Himmel, am Obste u. s. w. haben! Nun ist mir ver¬<lb/> wöhnten Römer nichts recht, und ich bin doch sonst eine genügsame Seele."</p><lb/> <p xml:id="ID_209"> Darauf folgt das nachstehende auffällige Urtheil über den Mailänder Dom:<lb/> „Gestern war ich auf dem Dom, welchen zu erbauen man ein ganzes Marmor-<lb/> gebirg in die abgeschmacktesten Formen gezwungen hat. Die armen Steine<lb/> werden noch täglich gequält, denn der Unsinn oder vielmehr der Armsinn ist<lb/> noch lange nicht zu Stande." —</p><lb/> <p xml:id="ID_210"> Zum Schluß noch eine uns aus Weimar mitgetheilte Notiz, die sich auf<lb/> die Briefe bezieht, welche die Anerkennung betreffen, die der Großherzog den<lb/> Verdiensten Goethes bei Gelegenheit von dessen Dienstjubiläum zu Theil werden<lb/> ließ. Karl August hatte zu diesem Zweck eine Medaille mit dem Bilde seines<lb/> Freundes prägen lassen, die er diesem in goldenen und silbernen Exemplaren<lb/> sammt dem Prägstcmpel zusandte. Goethe warf einen Blick auf dieselbe und<lb/> rief sofort im höchsten Verdruß: „Da seh' ich ja wie ein Stier aus!" Aerger-<lb/> lich nahm er Papier, siegelte den Stempel ein und schickte ihn so zur Auf¬<lb/> bewahrung auf die Bibliothek. Karl August erfuhr davon und befahl eine<lb/> andere Münze zu prägen, die dann mehr zu Goethes Zufriedenheit ausgefallen<lb/> zu sein scheint. Nach dem Ableben des letzteren öffnete man, wenn wir recht<lb/> berichtet sind, die Siegel jenes unglücklichen Stempels, und es wurden da¬<lb/> mit einige neue Medaillen gemacht, die jetzt zu den Seltenheiten gehören.</p><lb/> <p xml:id="ID_211"> Wir sehen, Goethe war auch in den letzten Jahren keineswegs vollkomm-<lb/> ner Hofmann. Er konnte auch in dieser Zeit noch selbst die Rücksichten gegen<lb/> Serenissimus hintansetzen, wo es dem guten Geschmack sein Recht zu wahren<lb/> galt. Noch mehr ehrt ihn sein Rücktritt vor dem Theaterpudel und noch weit<lb/> mehr die schöne Vornehmheit, mit der er das Unrecht trug, das ihm bei dieser<lb/><note type="byline"> M. B,</note> Gelegenheit widerfuhr. </p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0064]
Zeilen: „Sähe ich Mayland jetzt im Herwege und käme aus den Gebirgen in
diese weite Gegend, diese frei gelegene Stadt, zögen sich die fernen Apenninen
ahndungsvoll am Horizont hin: was würde ich für Hymnen singen und für Freude
unter diesem schönen Himmel, am Obste u. s. w. haben! Nun ist mir ver¬
wöhnten Römer nichts recht, und ich bin doch sonst eine genügsame Seele."
Darauf folgt das nachstehende auffällige Urtheil über den Mailänder Dom:
„Gestern war ich auf dem Dom, welchen zu erbauen man ein ganzes Marmor-
gebirg in die abgeschmacktesten Formen gezwungen hat. Die armen Steine
werden noch täglich gequält, denn der Unsinn oder vielmehr der Armsinn ist
noch lange nicht zu Stande." —
Zum Schluß noch eine uns aus Weimar mitgetheilte Notiz, die sich auf
die Briefe bezieht, welche die Anerkennung betreffen, die der Großherzog den
Verdiensten Goethes bei Gelegenheit von dessen Dienstjubiläum zu Theil werden
ließ. Karl August hatte zu diesem Zweck eine Medaille mit dem Bilde seines
Freundes prägen lassen, die er diesem in goldenen und silbernen Exemplaren
sammt dem Prägstcmpel zusandte. Goethe warf einen Blick auf dieselbe und
rief sofort im höchsten Verdruß: „Da seh' ich ja wie ein Stier aus!" Aerger-
lich nahm er Papier, siegelte den Stempel ein und schickte ihn so zur Auf¬
bewahrung auf die Bibliothek. Karl August erfuhr davon und befahl eine
andere Münze zu prägen, die dann mehr zu Goethes Zufriedenheit ausgefallen
zu sein scheint. Nach dem Ableben des letzteren öffnete man, wenn wir recht
berichtet sind, die Siegel jenes unglücklichen Stempels, und es wurden da¬
mit einige neue Medaillen gemacht, die jetzt zu den Seltenheiten gehören.
Wir sehen, Goethe war auch in den letzten Jahren keineswegs vollkomm-
ner Hofmann. Er konnte auch in dieser Zeit noch selbst die Rücksichten gegen
Serenissimus hintansetzen, wo es dem guten Geschmack sein Recht zu wahren
galt. Noch mehr ehrt ihn sein Rücktritt vor dem Theaterpudel und noch weit
mehr die schöne Vornehmheit, mit der er das Unrecht trug, das ihm bei dieser
M. B, Gelegenheit widerfuhr.
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