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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band.

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treiben und ein wenig mit Farben zu spielen. So kam der September heran,
ich ging nach Fvascati, von da nach Castello und zeichnete nach der Natur und
konnte nun leicht bemerken, was mir fehlte. Gegen Ende Octobers kam ich
wieder in die Stadt und da ging eine neue Epoche an. Die Menschengestalt
zog nunmehr meine Blicke aus sich und wie ich vorher, gleichsam wie von dem
Glanz der Sonne, meine Augen von ihr weggewendet, so konnte ich nun mit
Entzücken sie betrachten und auf ihr verweilen. Ich begab mich in die Schule,
lernte den Kopf mit seinen Theilen zeichnen und nun fing ich erst an die Antiken
zu verstehen. Damit brachte ich November und December hin und schrieb in¬
dessen Erwin und Elmiren, auch die Hälfte von Claudium. Mit dem ' ersten
Januar stieg ich vom Angesicht aufs Schlüsselbein, verbreitete mich auf die
Brust und so weiter, Alles von innen heraus; den Knochenbau, die Muskeln
wohl studirt und überlegt, dann die antiken Formen betrachtet, mit der Natur
verglichen und charakteristische sich wohl eingeprägt. Meine sorgfältigen ehemaligen
Studien der Osteologie und des Körpers überhaupt sind mir sehr zu Statten ge¬
kommen und ich habe gestern die Hand, als den letzten Theil der mir übrig
blieb, absolvirt. Die nächste Woche werden nun die vorzüglichsten Statuen
und Gemälde Roms mit srischgewaschenen Augen besehen."

Der Brief kommt hierauf nochmals auf die Reise der Herzogin-Mutter
nach Rom, und Goethe gibt an. wie er sich von jetzt an einzurichten vorhat,
um sich "zu dem Posten eines Reisemarschalls zu qualificiren". Weiterhin ge¬
denkt er der Verhältnisse in Weimar, charakterisier verschiedene dortige Beamte
und fährt dann fort! "Gar Manches macht mir den Rückweg nach Hause
reitzend. Ohne Ihren Umgang, den Umgang geprüfter Freunde länger zu
leben, ist denn doch so eine Sache. Das Herz wird in einem fremden Lande
merk ich, leicht kalt und frech, weil Liebe und Zutrauen selten angewandt ist.
Ich habe nun soviel in Kunst und Naturkenntniß profitirt, daß ein weiteres
Studium durch die Nähe unsrer Akademie Jena sehr erleichtert werden würde.
Hier ist man gar zu sehr von Hülfsmitteln entblößt. Dann hoffte ich auch
meine Schriften mit mehr Muße und Ruhe zu endigen, als in einem Lande,
wo Alles Einen außer sich ruft. Besonders wenn es mir nun Pflicht wird
der Welt zu leben.

Bestätigen Sie mir Ihren Willen, daß ich Ostern hier bleiben soll; so sehe
mich als einen Diener der Herzogin an und subordinire meine übrige Existenz
dieser Pflicht. Es wird mir Anfangs wunderbar vorkommen und doch für die
Zukunft heilsam sein, da ich genöthigt werde, wieder unter allerlei Menschen
zu leben."

Der Herzog scheint mit richtigem Blick in diesem Brief zwischen den Zeilen
gelesen zu haben. daß Goethe nicht besonders lebhaft für ein längeres Bleiben
in Rom und für den Neisemarschallsposten eingenommen war. Er rief den


treiben und ein wenig mit Farben zu spielen. So kam der September heran,
ich ging nach Fvascati, von da nach Castello und zeichnete nach der Natur und
konnte nun leicht bemerken, was mir fehlte. Gegen Ende Octobers kam ich
wieder in die Stadt und da ging eine neue Epoche an. Die Menschengestalt
zog nunmehr meine Blicke aus sich und wie ich vorher, gleichsam wie von dem
Glanz der Sonne, meine Augen von ihr weggewendet, so konnte ich nun mit
Entzücken sie betrachten und auf ihr verweilen. Ich begab mich in die Schule,
lernte den Kopf mit seinen Theilen zeichnen und nun fing ich erst an die Antiken
zu verstehen. Damit brachte ich November und December hin und schrieb in¬
dessen Erwin und Elmiren, auch die Hälfte von Claudium. Mit dem ' ersten
Januar stieg ich vom Angesicht aufs Schlüsselbein, verbreitete mich auf die
Brust und so weiter, Alles von innen heraus; den Knochenbau, die Muskeln
wohl studirt und überlegt, dann die antiken Formen betrachtet, mit der Natur
verglichen und charakteristische sich wohl eingeprägt. Meine sorgfältigen ehemaligen
Studien der Osteologie und des Körpers überhaupt sind mir sehr zu Statten ge¬
kommen und ich habe gestern die Hand, als den letzten Theil der mir übrig
blieb, absolvirt. Die nächste Woche werden nun die vorzüglichsten Statuen
und Gemälde Roms mit srischgewaschenen Augen besehen."

Der Brief kommt hierauf nochmals auf die Reise der Herzogin-Mutter
nach Rom, und Goethe gibt an. wie er sich von jetzt an einzurichten vorhat,
um sich „zu dem Posten eines Reisemarschalls zu qualificiren". Weiterhin ge¬
denkt er der Verhältnisse in Weimar, charakterisier verschiedene dortige Beamte
und fährt dann fort! „Gar Manches macht mir den Rückweg nach Hause
reitzend. Ohne Ihren Umgang, den Umgang geprüfter Freunde länger zu
leben, ist denn doch so eine Sache. Das Herz wird in einem fremden Lande
merk ich, leicht kalt und frech, weil Liebe und Zutrauen selten angewandt ist.
Ich habe nun soviel in Kunst und Naturkenntniß profitirt, daß ein weiteres
Studium durch die Nähe unsrer Akademie Jena sehr erleichtert werden würde.
Hier ist man gar zu sehr von Hülfsmitteln entblößt. Dann hoffte ich auch
meine Schriften mit mehr Muße und Ruhe zu endigen, als in einem Lande,
wo Alles Einen außer sich ruft. Besonders wenn es mir nun Pflicht wird
der Welt zu leben.

Bestätigen Sie mir Ihren Willen, daß ich Ostern hier bleiben soll; so sehe
mich als einen Diener der Herzogin an und subordinire meine übrige Existenz
dieser Pflicht. Es wird mir Anfangs wunderbar vorkommen und doch für die
Zukunft heilsam sein, da ich genöthigt werde, wieder unter allerlei Menschen
zu leben."

Der Herzog scheint mit richtigem Blick in diesem Brief zwischen den Zeilen
gelesen zu haben. daß Goethe nicht besonders lebhaft für ein längeres Bleiben
in Rom und für den Neisemarschallsposten eingenommen war. Er rief den


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115927/62>, abgerufen am 15.01.2025.