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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band.

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zunächst aus Br. 40 (Rom, den 17. November 1787) wo wir Goethe auf
dem Gebiet der großen Politik kennen lernen, wenn er schreibt: "Und
nun noch ein politisch Wort, ob ich gleich nur das Allgemeinste der Welthandel
sehen kann. Ich lese fleißig die Zeitungen und da neuerlich sich Alles bald
aufdeckt und entwickelt, so Vieles öffentlich verhandelt wird, was sonst ver¬
borgen traktirt wurde, so kann man mit einer freien Vorstellungsart die Lage
der Sache ziemlich genau übersehen. Mir scheint es für Freund und Feind
bedenklich, daß Frankreich soweit herunter ist. Wenn auf der einen Seite die
Preußisch-Englisch-Oranischen Absichten leichter auszuführen sind; so haben auf
der andern Seite Catharine und Joseph auch freies Spiel und können sich
vielleicht in einem Augenblicke süd- und ostwärts ein ungeheures Uebergewicht
verschaffen, indem der Nord und West (wozu ich Frankreich mitrechne) mit ein¬
ander nicht einig sind. Aus diesen Gegenden kann ich sagen: daß man sich im
Stillen und Einzelnen vor Nußland und dem Kaiser fürchtet und glaubt, daß
unter keiner Bedingung der Kaiser jene großen Aus- und Absichten Catharinas
auf Konstaninopel begünstigen könne, wenn nicht auch einem Nachgeborenen
seines Hauses der Besitz von Italien versichert sei.

Soviel ist gewiß, daß der Kirchenstaat und beide Sicilien ohne Schwert¬
streich, wie Holland, wegzunehmen wären. Man legte sich mit ein Paar Li¬
nienschiffen in den Golf von Neapel und bäte sich zwei Thore von Rom aus;
so wäre die Sache gethan. Aus verschiedenen Bewegungen glaube ich, daß der
päpstliche und Neapolitanische Hof auf einer solchen Spur sind, obgleich das
allgemeine Publikum sich nichts davon träumen läßt. Das Volk ist mißver¬
gnügt, die Geistlichkeit besonders; die Mönche sind kaiserlich gesinnt. Noch
gestern sagte ein siebzigjähriger Mönch: wenn ich nur noch in meinen alten
Tagen erleben sollte, daß der Kaiser käme und uns alle aus den Klöstern jagte,
selbst die Religion würde dabei gewinnen. Wenn die Russischen Schiffe ins
Mittelländische und Adriatische Meer kommen, wird man bald mehr sehen."

Ein noch werthvolleres Document ist Brief 44 (datirt Rom. den 25. Ja¬
nuar 1788), in welchem Goethes damaliges Verhältniß zum Herzog mit beson¬
derer Lebendigkeit .hervortritt und andrerseits das sehr interessante Resultat
einer Selbstprüfung in Betreff der italienischen Reise vorliegt. Der Herzog hat
Goethe geschrieben, daß die Herzogin-Mutter nach Rom kommen werde, und
daß es sein Wunsch, Goethe möge seinen dortigen Aufenthalt verlängern, um
jener das Einleben in die italienische Welt zu erleichtern. Goethe antwortet
darauf unter Anderm:

"Welche Freude und Zufriedenheit mir Ihr Brief an einem schönen Tage
gebracht, kann ich Ihnen nicht ausdrücken und hätte die Sorge für Ihre Ge¬
sundheit mich nicht wieder herabgestimmt; so könnte ich den gestrigen Tag als
den fröhlichsten ansehen, den ich in Rom erlebt habe. Ich lief gleich nach er-


zunächst aus Br. 40 (Rom, den 17. November 1787) wo wir Goethe auf
dem Gebiet der großen Politik kennen lernen, wenn er schreibt: „Und
nun noch ein politisch Wort, ob ich gleich nur das Allgemeinste der Welthandel
sehen kann. Ich lese fleißig die Zeitungen und da neuerlich sich Alles bald
aufdeckt und entwickelt, so Vieles öffentlich verhandelt wird, was sonst ver¬
borgen traktirt wurde, so kann man mit einer freien Vorstellungsart die Lage
der Sache ziemlich genau übersehen. Mir scheint es für Freund und Feind
bedenklich, daß Frankreich soweit herunter ist. Wenn auf der einen Seite die
Preußisch-Englisch-Oranischen Absichten leichter auszuführen sind; so haben auf
der andern Seite Catharine und Joseph auch freies Spiel und können sich
vielleicht in einem Augenblicke süd- und ostwärts ein ungeheures Uebergewicht
verschaffen, indem der Nord und West (wozu ich Frankreich mitrechne) mit ein¬
ander nicht einig sind. Aus diesen Gegenden kann ich sagen: daß man sich im
Stillen und Einzelnen vor Nußland und dem Kaiser fürchtet und glaubt, daß
unter keiner Bedingung der Kaiser jene großen Aus- und Absichten Catharinas
auf Konstaninopel begünstigen könne, wenn nicht auch einem Nachgeborenen
seines Hauses der Besitz von Italien versichert sei.

Soviel ist gewiß, daß der Kirchenstaat und beide Sicilien ohne Schwert¬
streich, wie Holland, wegzunehmen wären. Man legte sich mit ein Paar Li¬
nienschiffen in den Golf von Neapel und bäte sich zwei Thore von Rom aus;
so wäre die Sache gethan. Aus verschiedenen Bewegungen glaube ich, daß der
päpstliche und Neapolitanische Hof auf einer solchen Spur sind, obgleich das
allgemeine Publikum sich nichts davon träumen läßt. Das Volk ist mißver¬
gnügt, die Geistlichkeit besonders; die Mönche sind kaiserlich gesinnt. Noch
gestern sagte ein siebzigjähriger Mönch: wenn ich nur noch in meinen alten
Tagen erleben sollte, daß der Kaiser käme und uns alle aus den Klöstern jagte,
selbst die Religion würde dabei gewinnen. Wenn die Russischen Schiffe ins
Mittelländische und Adriatische Meer kommen, wird man bald mehr sehen."

Ein noch werthvolleres Document ist Brief 44 (datirt Rom. den 25. Ja¬
nuar 1788), in welchem Goethes damaliges Verhältniß zum Herzog mit beson¬
derer Lebendigkeit .hervortritt und andrerseits das sehr interessante Resultat
einer Selbstprüfung in Betreff der italienischen Reise vorliegt. Der Herzog hat
Goethe geschrieben, daß die Herzogin-Mutter nach Rom kommen werde, und
daß es sein Wunsch, Goethe möge seinen dortigen Aufenthalt verlängern, um
jener das Einleben in die italienische Welt zu erleichtern. Goethe antwortet
darauf unter Anderm:

„Welche Freude und Zufriedenheit mir Ihr Brief an einem schönen Tage
gebracht, kann ich Ihnen nicht ausdrücken und hätte die Sorge für Ihre Ge¬
sundheit mich nicht wieder herabgestimmt; so könnte ich den gestrigen Tag als
den fröhlichsten ansehen, den ich in Rom erlebt habe. Ich lief gleich nach er-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115927/60>, abgerufen am 15.01.2025.