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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band.

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die poetische Förmelchens bilden, deren Niederschreibung auf Pulverhörner gar
nicht unpassend gewesen wäre. Verschiedenes dergleichen habe ich extraHirt, ich
werde es Dir gelegentlich einmal mündlich vorlegen. Etwas sehr Auffallendes
wird dem Publikum nicht entgehen: die eigentlichen Hauptpersonen des Stückes
sind Stockkatholiken, das Chor aber Heiden; letztere sprechen von allen Göt¬
tern des Alterthums, erstere von der Mutter Gottes, den Heiligen u. f. w.
Da nun das Cl,or eigentlich ein Corps unter den Waffen darstellt, so kann man
die Personen desselben für nichts, als für bewaffnete Poeten ansprechen: eine neue
Maske für die Bühne; dann die meistens ganz unnütze bilderreiche Schwülstig-
keit, in der dieses Corps den Zuschauer von einer Scene zur andern führt,
und noch dazu sehr langsam, kann unmöglich für Kriegsknechte passen, da die
Prinzen, zu denen jene Leute gehören, sich viel natürlicher ausdrücken. Um
die lästigen Confidents zu verbannen, ist, dünkt mir, ein viel lästigeres Ver¬
bannungsmittel eingetreten. Indessen hüte ich mich Wohl, etwas der Aus¬
führung dieses Stücks entgegenzusetzen. Die Praktik wird das beste Gegen¬
mittel sein. Das Zugleichreden der Koryphäen oder der Wachtmeister des Corps
habe ich schon gesucht, Schillern auszureden, weil man sich platterdings nichts
Unharmonisches erlauben muß. Mündlich ein Mehreres."

Ueber das beersche Stück heißt es in Br. 347 (vom 23. März 1824):
"Den Paria habe ich gelesen; es ist wirklich ein schönes Machwerk, und das
Stück soll noch in diesem Frühling gegeben werden, wenngleich große Schwierig¬
keiten damit verknüpft sind. Eine der größten dabei ist, daß in tergo des
Komödienzettels ein Programm erscheinen muß, welches den °/i->kein des Pu-
blicums. welche nicht die geringsten Spuren von Ostindischen Sitten je ver¬
nommen haben, auch nicht ein Wort vom ganzen Gegenstande begreifen wer¬
den, das Stück erkläre."

"Dem neuen Paria möchte wohl vorzuwerfen sein, woher der Held des
Stücks, von dem man nichts Anderes weiß, als daß er zur Klasse der Indi¬
schen Lumpen gehöre, die ausgezeichnete Bildung, die er überall aus sich blitzen
läßt, her bekommen habe? Indessen über all zu ernte Wahrheit muß man sich
wegsetzen, wenn man nicht alle Poesie von der Bühne verbannen will und
nicht die ganz geschmacklose Ostadische gewissenhafte Plattheit wieder auf die
Breter zu rufen gedenkt, auf welchen, zu unsern größten Jammer, das so¬
genannte Alles-ins-Leben-treten-lassen uns schon so lange gequält
hat. Der Französische Paria möchte in seiner Auswahl des sujets den Vor¬
theil haben, daß dorten der geborne Lump zum Helden, der sein Vaterland ge¬
rettet hat. sich durch Tapferkeit und Talent erhob, aber dem ohngeachtet, zu
Folge der Ostindischen Sitten und Gebräuche, ohne Rettungsmittel wieder fal¬
len und untergehen mußte." --

Und nun einige Auszüge aus den älteren goethcschen Briefen, und zwar


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die poetische Förmelchens bilden, deren Niederschreibung auf Pulverhörner gar
nicht unpassend gewesen wäre. Verschiedenes dergleichen habe ich extraHirt, ich
werde es Dir gelegentlich einmal mündlich vorlegen. Etwas sehr Auffallendes
wird dem Publikum nicht entgehen: die eigentlichen Hauptpersonen des Stückes
sind Stockkatholiken, das Chor aber Heiden; letztere sprechen von allen Göt¬
tern des Alterthums, erstere von der Mutter Gottes, den Heiligen u. f. w.
Da nun das Cl,or eigentlich ein Corps unter den Waffen darstellt, so kann man
die Personen desselben für nichts, als für bewaffnete Poeten ansprechen: eine neue
Maske für die Bühne; dann die meistens ganz unnütze bilderreiche Schwülstig-
keit, in der dieses Corps den Zuschauer von einer Scene zur andern führt,
und noch dazu sehr langsam, kann unmöglich für Kriegsknechte passen, da die
Prinzen, zu denen jene Leute gehören, sich viel natürlicher ausdrücken. Um
die lästigen Confidents zu verbannen, ist, dünkt mir, ein viel lästigeres Ver¬
bannungsmittel eingetreten. Indessen hüte ich mich Wohl, etwas der Aus¬
führung dieses Stücks entgegenzusetzen. Die Praktik wird das beste Gegen¬
mittel sein. Das Zugleichreden der Koryphäen oder der Wachtmeister des Corps
habe ich schon gesucht, Schillern auszureden, weil man sich platterdings nichts
Unharmonisches erlauben muß. Mündlich ein Mehreres."

Ueber das beersche Stück heißt es in Br. 347 (vom 23. März 1824):
„Den Paria habe ich gelesen; es ist wirklich ein schönes Machwerk, und das
Stück soll noch in diesem Frühling gegeben werden, wenngleich große Schwierig¬
keiten damit verknüpft sind. Eine der größten dabei ist, daß in tergo des
Komödienzettels ein Programm erscheinen muß, welches den °/i->kein des Pu-
blicums. welche nicht die geringsten Spuren von Ostindischen Sitten je ver¬
nommen haben, auch nicht ein Wort vom ganzen Gegenstande begreifen wer¬
den, das Stück erkläre."

„Dem neuen Paria möchte wohl vorzuwerfen sein, woher der Held des
Stücks, von dem man nichts Anderes weiß, als daß er zur Klasse der Indi¬
schen Lumpen gehöre, die ausgezeichnete Bildung, die er überall aus sich blitzen
läßt, her bekommen habe? Indessen über all zu ernte Wahrheit muß man sich
wegsetzen, wenn man nicht alle Poesie von der Bühne verbannen will und
nicht die ganz geschmacklose Ostadische gewissenhafte Plattheit wieder auf die
Breter zu rufen gedenkt, auf welchen, zu unsern größten Jammer, das so¬
genannte Alles-ins-Leben-treten-lassen uns schon so lange gequält
hat. Der Französische Paria möchte in seiner Auswahl des sujets den Vor¬
theil haben, daß dorten der geborne Lump zum Helden, der sein Vaterland ge¬
rettet hat. sich durch Tapferkeit und Talent erhob, aber dem ohngeachtet, zu
Folge der Ostindischen Sitten und Gebräuche, ohne Rettungsmittel wieder fal¬
len und untergehen mußte." —

Und nun einige Auszüge aus den älteren goethcschen Briefen, und zwar


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115927/59>, abgerufen am 15.01.2025.