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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band.

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zeihlich, wenn in Süddeutschland, wo die Träume der Trias nicht vergessen
waren, unter dem Eindruck der Haltung der deutschen Großmächte die öffent¬
liche Bceinung sich einstimmig und nachdrücklich für das Vorangehen der Mittel-
staatcn aussprach. Durch die ganze süddeutsche Presse ging der Ruf: Bayern
solle der Retter Deutschlands sein. Die Schwaben drückten ihren Nachbarn
die Reichssturmfahnc in die Hand. In Bayern selbst war jeder Parteiunter¬
schied verschwunden vor dem ungestümen Wunsch, dem Herzog Friedrich Waffen-
Hilfe zu bringen.

Es zeigte sich bald, welche seltsame Täuschungen hier mit unterliefen.

An sich hörte es sich auf Volksversammlungen und in Adressen ganz gut an,
daß die Mcktclstaaten "handeln", "vorangehen" sollten, daß sie sich zur Durch¬
führung der Rechte der Herzogthümer aufraffen und überhaupt zu einer natio¬
nalen Politik sich Verbunden sollten. Auch lag das unstreitig richtige Bewußt¬
sein zu Grunde, daß das Nationalgefühl in den kleinern Staaten ein weit ent¬
wickelteres, selbstloseres ist als in den Großstaaten. Allein man vergaß, daß
dies wesentlich eben in der geringeren Macht der kleineren Staaten seinen Grund
hat. die auf den Anschluß an ein größeres Ganze angewiesen sind, ein Be¬
dürfniß, das die Großstaaten, auch Preußen, nicht in demselben Grad empfin¬
den. Die Machtverhältnisse standen im Widerspruch mit der Rolle, die man
sich zutraute, mit den Ansprüchen, die man an sich selbst stellte. War das
Nationalgefühl stärker, so hatte es darum noch nicht die Macht, eine active
Politik zu treiben. Nicht Vvltsstimmungen machen Politik, sondern der Staat,
und das Gewicht einer politischen Action stete im Verhältniß zu der Bedeutung
der staatlichen Organisation, von welcher sie getragen ist.

Die entscheidende Probe war der Bundcsbeschluß vom 7. Den. Vor dem¬
selben hatten unstreitig die Mittelstaaten eine hohe Mission. Bayern als der
größte war der gegebene Führer. Es mußte allen Einfluß aufbieten, um eine
geschlossene Mehrheit am Bund zu Stande zu bringen, damit wenigstens von
hier aus ein zweideutiges Vorgehen unsrer Großmächte nicht sanctionirt und
in der bundesmäßigen Behandlung der Sache der deutsche Standpunkt gewahrt
wurde. Nicht einmal diese Bemühungen waren von Eifolg. Auch in der
Mehrzahl der kleineren Staaten war die Bewegung nicht so mächtig, um am
Bund einen Mehrheitsbeschluß zu Gunsten des legitimen Rechts zu Stande zu
bringen oder zum mindesten einen Beschluß mit verhängnisvollen Präjudiz zu
verhindern. War aber einmal der Beschluß gefaßt, so war leicht voraus¬
zusehen, daß Bayern so gut wie die andern Staaten sich demselben unterwerfen
würde. Nie hat sich das entscheidende Uebergewicht Preußens und Oestreichs
am Bunde schneidender herausgestellt als eben in diesem Moment, wo die Aus¬
sichten für ein selbständiges Auftreten der von der nationalen Begeisterung
ihrer Bevölkerungen unterstüizten Mittelstaaten anscheinend so günstig waren.


zeihlich, wenn in Süddeutschland, wo die Träume der Trias nicht vergessen
waren, unter dem Eindruck der Haltung der deutschen Großmächte die öffent¬
liche Bceinung sich einstimmig und nachdrücklich für das Vorangehen der Mittel-
staatcn aussprach. Durch die ganze süddeutsche Presse ging der Ruf: Bayern
solle der Retter Deutschlands sein. Die Schwaben drückten ihren Nachbarn
die Reichssturmfahnc in die Hand. In Bayern selbst war jeder Parteiunter¬
schied verschwunden vor dem ungestümen Wunsch, dem Herzog Friedrich Waffen-
Hilfe zu bringen.

Es zeigte sich bald, welche seltsame Täuschungen hier mit unterliefen.

An sich hörte es sich auf Volksversammlungen und in Adressen ganz gut an,
daß die Mcktclstaaten „handeln", „vorangehen" sollten, daß sie sich zur Durch¬
führung der Rechte der Herzogthümer aufraffen und überhaupt zu einer natio¬
nalen Politik sich Verbunden sollten. Auch lag das unstreitig richtige Bewußt¬
sein zu Grunde, daß das Nationalgefühl in den kleinern Staaten ein weit ent¬
wickelteres, selbstloseres ist als in den Großstaaten. Allein man vergaß, daß
dies wesentlich eben in der geringeren Macht der kleineren Staaten seinen Grund
hat. die auf den Anschluß an ein größeres Ganze angewiesen sind, ein Be¬
dürfniß, das die Großstaaten, auch Preußen, nicht in demselben Grad empfin¬
den. Die Machtverhältnisse standen im Widerspruch mit der Rolle, die man
sich zutraute, mit den Ansprüchen, die man an sich selbst stellte. War das
Nationalgefühl stärker, so hatte es darum noch nicht die Macht, eine active
Politik zu treiben. Nicht Vvltsstimmungen machen Politik, sondern der Staat,
und das Gewicht einer politischen Action stete im Verhältniß zu der Bedeutung
der staatlichen Organisation, von welcher sie getragen ist.

Die entscheidende Probe war der Bundcsbeschluß vom 7. Den. Vor dem¬
selben hatten unstreitig die Mittelstaaten eine hohe Mission. Bayern als der
größte war der gegebene Führer. Es mußte allen Einfluß aufbieten, um eine
geschlossene Mehrheit am Bund zu Stande zu bringen, damit wenigstens von
hier aus ein zweideutiges Vorgehen unsrer Großmächte nicht sanctionirt und
in der bundesmäßigen Behandlung der Sache der deutsche Standpunkt gewahrt
wurde. Nicht einmal diese Bemühungen waren von Eifolg. Auch in der
Mehrzahl der kleineren Staaten war die Bewegung nicht so mächtig, um am
Bund einen Mehrheitsbeschluß zu Gunsten des legitimen Rechts zu Stande zu
bringen oder zum mindesten einen Beschluß mit verhängnisvollen Präjudiz zu
verhindern. War aber einmal der Beschluß gefaßt, so war leicht voraus¬
zusehen, daß Bayern so gut wie die andern Staaten sich demselben unterwerfen
würde. Nie hat sich das entscheidende Uebergewicht Preußens und Oestreichs
am Bunde schneidender herausgestellt als eben in diesem Moment, wo die Aus¬
sichten für ein selbständiges Auftreten der von der nationalen Begeisterung
ihrer Bevölkerungen unterstüizten Mittelstaaten anscheinend so günstig waren.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115927/512>, abgerufen am 23.01.2025.