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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band.

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Schleswig-Holstein und die Mittelständen.

Der Glaube an den Beruf der deutschen Mittel- und Kleinstaaten zu einer
selbständigen nationalen Politik schien niemals berechtigter als in den letzten
Wochen. Hier hatte sich nicht nur die öffentliche Meinung mit seltener Ein¬
stimmigkeit und Energie für das Recht Schleswig-Holsteins ausgesprochen, son¬
dern auch unter den Regierungen war zum Theil guter Wille für eine gute
Sache vorhanden. Dennoch haben aber die Erfahrungen der jüngsten Wochen
hingereicht, jene Illusion gründlich zu zerstören.

Der einzige gerade Weg zur Durchführung des Rechts der Herzogtümer
war der, daß die Bewegung, die der Tod des Königs Friedrich in Deutsch¬
land zur Folge hatte, sich in den preußischen Staat ergoß und die Verwen¬
dung seiner Mittel für die nationale Sache durchsetzte. Gelang es nicht, der
Bewegung diesen Lauf zu geben, so schwankte sie ziellos hin und her, die
Initiative ward bald diesem bald jenem zugeschoben, und ein glücklicher Aus¬
gang war im Grunde nur mehr vom Zufall zu erwarten.

Die namenlos traurige Lage des preußischen Staats verdunkelte jenen
einzig richtigen Weg. In Preußen selbst war der Blick durch die nähere Be-
drängniß getrübt. Ich wiederhole nicht, was man vom preußischen Volk und
seiner Volksvertretung erwartete. Welchen Erfolg der spät erst unter weit un¬
günstigeren Umständen durchgedrungene Entschluß einer Adresse an die Krone
haben wird, steht in diesem Augenblick noch dahin. Wiederum richten sich die
Blicke ängstlich fragend nach Berlin, wo in diesem Moment über mehr ent¬
schieden wird, als über das Erbrecht eines kleinen deutschen Fürsten.

So sehr schien der innere Verfassungsconflict jede preußische Action un¬
möglich zu machen, daß preußische Blätter in den Ruf der Süddeutschen ein¬
stimmten: Deutschland sei diesmal im Lager der Mittelstaaten. Auf der nürn¬
berger Versammlung stimmten, wie versichert wird, preußische Abgeordnete zu,
daß die Initiative von Bayern ausgehen müsse. Die süddeutschen Abgeord¬
neten selbst waren über die Bereitwilligkeit, mit welcher jene dies thaten, be¬
troffen. Es hatte eine sehr bedenkliche Seite, wenn noch später preußische
Adressen und Resolutionen im König von Bayern den Retter Deutschlands be¬
grüßten und erklärten, "daß nur mehr vom Vorangehen Bayerns und Badens
eine glückliche Wendung der großen Sache zu erwarten sei".

Fanden diese Gedanken selbst in Preußen Eingang, so war es freilich ver-


Schleswig-Holstein und die Mittelständen.

Der Glaube an den Beruf der deutschen Mittel- und Kleinstaaten zu einer
selbständigen nationalen Politik schien niemals berechtigter als in den letzten
Wochen. Hier hatte sich nicht nur die öffentliche Meinung mit seltener Ein¬
stimmigkeit und Energie für das Recht Schleswig-Holsteins ausgesprochen, son¬
dern auch unter den Regierungen war zum Theil guter Wille für eine gute
Sache vorhanden. Dennoch haben aber die Erfahrungen der jüngsten Wochen
hingereicht, jene Illusion gründlich zu zerstören.

Der einzige gerade Weg zur Durchführung des Rechts der Herzogtümer
war der, daß die Bewegung, die der Tod des Königs Friedrich in Deutsch¬
land zur Folge hatte, sich in den preußischen Staat ergoß und die Verwen¬
dung seiner Mittel für die nationale Sache durchsetzte. Gelang es nicht, der
Bewegung diesen Lauf zu geben, so schwankte sie ziellos hin und her, die
Initiative ward bald diesem bald jenem zugeschoben, und ein glücklicher Aus¬
gang war im Grunde nur mehr vom Zufall zu erwarten.

Die namenlos traurige Lage des preußischen Staats verdunkelte jenen
einzig richtigen Weg. In Preußen selbst war der Blick durch die nähere Be-
drängniß getrübt. Ich wiederhole nicht, was man vom preußischen Volk und
seiner Volksvertretung erwartete. Welchen Erfolg der spät erst unter weit un¬
günstigeren Umständen durchgedrungene Entschluß einer Adresse an die Krone
haben wird, steht in diesem Augenblick noch dahin. Wiederum richten sich die
Blicke ängstlich fragend nach Berlin, wo in diesem Moment über mehr ent¬
schieden wird, als über das Erbrecht eines kleinen deutschen Fürsten.

So sehr schien der innere Verfassungsconflict jede preußische Action un¬
möglich zu machen, daß preußische Blätter in den Ruf der Süddeutschen ein¬
stimmten: Deutschland sei diesmal im Lager der Mittelstaaten. Auf der nürn¬
berger Versammlung stimmten, wie versichert wird, preußische Abgeordnete zu,
daß die Initiative von Bayern ausgehen müsse. Die süddeutschen Abgeord¬
neten selbst waren über die Bereitwilligkeit, mit welcher jene dies thaten, be¬
troffen. Es hatte eine sehr bedenkliche Seite, wenn noch später preußische
Adressen und Resolutionen im König von Bayern den Retter Deutschlands be¬
grüßten und erklärten, „daß nur mehr vom Vorangehen Bayerns und Badens
eine glückliche Wendung der großen Sache zu erwarten sei".

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[0511] Schleswig-Holstein und die Mittelständen. Der Glaube an den Beruf der deutschen Mittel- und Kleinstaaten zu einer selbständigen nationalen Politik schien niemals berechtigter als in den letzten Wochen. Hier hatte sich nicht nur die öffentliche Meinung mit seltener Ein¬ stimmigkeit und Energie für das Recht Schleswig-Holsteins ausgesprochen, son¬ dern auch unter den Regierungen war zum Theil guter Wille für eine gute Sache vorhanden. Dennoch haben aber die Erfahrungen der jüngsten Wochen hingereicht, jene Illusion gründlich zu zerstören. Der einzige gerade Weg zur Durchführung des Rechts der Herzogtümer war der, daß die Bewegung, die der Tod des Königs Friedrich in Deutsch¬ land zur Folge hatte, sich in den preußischen Staat ergoß und die Verwen¬ dung seiner Mittel für die nationale Sache durchsetzte. Gelang es nicht, der Bewegung diesen Lauf zu geben, so schwankte sie ziellos hin und her, die Initiative ward bald diesem bald jenem zugeschoben, und ein glücklicher Aus¬ gang war im Grunde nur mehr vom Zufall zu erwarten. Die namenlos traurige Lage des preußischen Staats verdunkelte jenen einzig richtigen Weg. In Preußen selbst war der Blick durch die nähere Be- drängniß getrübt. Ich wiederhole nicht, was man vom preußischen Volk und seiner Volksvertretung erwartete. Welchen Erfolg der spät erst unter weit un¬ günstigeren Umständen durchgedrungene Entschluß einer Adresse an die Krone haben wird, steht in diesem Augenblick noch dahin. Wiederum richten sich die Blicke ängstlich fragend nach Berlin, wo in diesem Moment über mehr ent¬ schieden wird, als über das Erbrecht eines kleinen deutschen Fürsten. So sehr schien der innere Verfassungsconflict jede preußische Action un¬ möglich zu machen, daß preußische Blätter in den Ruf der Süddeutschen ein¬ stimmten: Deutschland sei diesmal im Lager der Mittelstaaten. Auf der nürn¬ berger Versammlung stimmten, wie versichert wird, preußische Abgeordnete zu, daß die Initiative von Bayern ausgehen müsse. Die süddeutschen Abgeord¬ neten selbst waren über die Bereitwilligkeit, mit welcher jene dies thaten, be¬ troffen. Es hatte eine sehr bedenkliche Seite, wenn noch später preußische Adressen und Resolutionen im König von Bayern den Retter Deutschlands be¬ grüßten und erklärten, „daß nur mehr vom Vorangehen Bayerns und Badens eine glückliche Wendung der großen Sache zu erwarten sei". Fanden diese Gedanken selbst in Preußen Eingang, so war es freilich ver-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115927/511>, abgerufen am 15.01.2025.