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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band.

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An 2. November endlich meldete Hall nach Frankfurt, daß seine Verhand¬
lung mit den holsteinischen Ständen resultatlos geblieben, und daß er nun
beabsichtige, von jenen wie vom Reichsrath Delegirte wählen und von diesen
die Neuordnung der Verfassungsverhältnisse berathen zu lassen. Als aber der
Bund daraus verlangte, daß die gesetzlichen Sondervertretungen aller Landes¬
theile, also Holsteins, Schleswigs, Lauenburgs und Dänemarks jede eine
gleiche Zahl Delegirte stelle -- der einzig raisvnable Weg -- ließ man das
Project in Kopenhagen sofort als unausführbar fallen.

Die Bundesversammlung hatte bei jener Gelegenheit (8. März 1860) auf
schleunige Erfüllung ihres Beschlusses vom 11. Februar 1838 mit dem Hinzu¬
fügen gedrungen, daß sie von Einleitung des Executionsverfahrens nur unter
der Bedingung ferner absehen könne, daß inzwischen kein Gesetz in Gesammt-
staatsangclegenhciten, namentlich in Finanzsachen, für Holstein und Lauenburg
erlassen werde, ohne die Zustimmung der Stände dieser Herzogtümer erhalten
zu haben. Dänemark ließ sich hierdurch so wenig anfechten, daß das Ministerium
Hall im Juli ganz ungescheut das Staatsbudget für die Finanzperiode vom
1. April 1860 bis 31. März 1861 im Gesetzblatt für Holstein und Lauenburg
promulgirte.

Aufmerksam gemacht hierauf durch Oldenburg, zeigte der deutsche Bund
wieder einmal einen Anflug von Ungeduld, doch natürlich in correcter Weise,
auch nahm er sich Zeit dazu. Erst am 7. Februar 1861 wurde gedroht, falls
die königlich-herzogliche Regierung sich nicht binnen sechs Wochen in vollkommen
sichernder Weise zur Vollziehung des Bundesbeschlnsses vom 8. März 1860
bereit erkläre, werde man das im August 18S8 eingeleitete Verfahren wieder
aufnehmen. In dieser Lage versuchte es die tvpenhagner Politik mit einem
Taschenspiclerknnststück, welches nach dem beliebten dänischen Recept "Wahrheit
mit Modification" vorgenommen werden sollte, aber in unerhört beschämender
Weise mißglückte. Sie berief die holsteinischen Stande ein, legte ihnen unter
Anderem einen "Gesetzentwurf betreffend die provisorische Stellung Holsteins"
vor und ließ dann den auswärtigen Mächten die Nachricht zugehn, daß din
Ständen das Budget zur Beschlußfassung vorgelegt worden sei, während dies
nicht geschehen war, sondern lediglich einige Andeutungen in den Motiven
eines Paragraphen jenes Gesetzentwurfs dahin interpretirt werden sollten. Es
kam zu einem Skandal in der Ständeversammlung, bei welchem das Verfahren
der Regierung deutluh mit der deutschen Uebersetzung von "Wahrheit mit Mo¬
dification", d. h. als Lüge bezeichnet wurde.

Weiter in die Details der Verhandlungen über die Budgetfrage einzugehen
würde die Geduld der Leser vor der Zeit erschöpfen heißen, und wir bedürfen
derselben noch eine gute Weile. Es genüge daher, daß Dänemark sich durch
die während dieser Verhandlungen dem Bunde und den Großmächten ertheilten


An 2. November endlich meldete Hall nach Frankfurt, daß seine Verhand¬
lung mit den holsteinischen Ständen resultatlos geblieben, und daß er nun
beabsichtige, von jenen wie vom Reichsrath Delegirte wählen und von diesen
die Neuordnung der Verfassungsverhältnisse berathen zu lassen. Als aber der
Bund daraus verlangte, daß die gesetzlichen Sondervertretungen aller Landes¬
theile, also Holsteins, Schleswigs, Lauenburgs und Dänemarks jede eine
gleiche Zahl Delegirte stelle — der einzig raisvnable Weg — ließ man das
Project in Kopenhagen sofort als unausführbar fallen.

Die Bundesversammlung hatte bei jener Gelegenheit (8. März 1860) auf
schleunige Erfüllung ihres Beschlusses vom 11. Februar 1838 mit dem Hinzu¬
fügen gedrungen, daß sie von Einleitung des Executionsverfahrens nur unter
der Bedingung ferner absehen könne, daß inzwischen kein Gesetz in Gesammt-
staatsangclegenhciten, namentlich in Finanzsachen, für Holstein und Lauenburg
erlassen werde, ohne die Zustimmung der Stände dieser Herzogtümer erhalten
zu haben. Dänemark ließ sich hierdurch so wenig anfechten, daß das Ministerium
Hall im Juli ganz ungescheut das Staatsbudget für die Finanzperiode vom
1. April 1860 bis 31. März 1861 im Gesetzblatt für Holstein und Lauenburg
promulgirte.

Aufmerksam gemacht hierauf durch Oldenburg, zeigte der deutsche Bund
wieder einmal einen Anflug von Ungeduld, doch natürlich in correcter Weise,
auch nahm er sich Zeit dazu. Erst am 7. Februar 1861 wurde gedroht, falls
die königlich-herzogliche Regierung sich nicht binnen sechs Wochen in vollkommen
sichernder Weise zur Vollziehung des Bundesbeschlnsses vom 8. März 1860
bereit erkläre, werde man das im August 18S8 eingeleitete Verfahren wieder
aufnehmen. In dieser Lage versuchte es die tvpenhagner Politik mit einem
Taschenspiclerknnststück, welches nach dem beliebten dänischen Recept „Wahrheit
mit Modification" vorgenommen werden sollte, aber in unerhört beschämender
Weise mißglückte. Sie berief die holsteinischen Stande ein, legte ihnen unter
Anderem einen „Gesetzentwurf betreffend die provisorische Stellung Holsteins"
vor und ließ dann den auswärtigen Mächten die Nachricht zugehn, daß din
Ständen das Budget zur Beschlußfassung vorgelegt worden sei, während dies
nicht geschehen war, sondern lediglich einige Andeutungen in den Motiven
eines Paragraphen jenes Gesetzentwurfs dahin interpretirt werden sollten. Es
kam zu einem Skandal in der Ständeversammlung, bei welchem das Verfahren
der Regierung deutluh mit der deutschen Uebersetzung von „Wahrheit mit Mo¬
dification", d. h. als Lüge bezeichnet wurde.

Weiter in die Details der Verhandlungen über die Budgetfrage einzugehen
würde die Geduld der Leser vor der Zeit erschöpfen heißen, und wir bedürfen
derselben noch eine gute Weile. Es genüge daher, daß Dänemark sich durch
die während dieser Verhandlungen dem Bunde und den Großmächten ertheilten


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[0506] An 2. November endlich meldete Hall nach Frankfurt, daß seine Verhand¬ lung mit den holsteinischen Ständen resultatlos geblieben, und daß er nun beabsichtige, von jenen wie vom Reichsrath Delegirte wählen und von diesen die Neuordnung der Verfassungsverhältnisse berathen zu lassen. Als aber der Bund daraus verlangte, daß die gesetzlichen Sondervertretungen aller Landes¬ theile, also Holsteins, Schleswigs, Lauenburgs und Dänemarks jede eine gleiche Zahl Delegirte stelle — der einzig raisvnable Weg — ließ man das Project in Kopenhagen sofort als unausführbar fallen. Die Bundesversammlung hatte bei jener Gelegenheit (8. März 1860) auf schleunige Erfüllung ihres Beschlusses vom 11. Februar 1838 mit dem Hinzu¬ fügen gedrungen, daß sie von Einleitung des Executionsverfahrens nur unter der Bedingung ferner absehen könne, daß inzwischen kein Gesetz in Gesammt- staatsangclegenhciten, namentlich in Finanzsachen, für Holstein und Lauenburg erlassen werde, ohne die Zustimmung der Stände dieser Herzogtümer erhalten zu haben. Dänemark ließ sich hierdurch so wenig anfechten, daß das Ministerium Hall im Juli ganz ungescheut das Staatsbudget für die Finanzperiode vom 1. April 1860 bis 31. März 1861 im Gesetzblatt für Holstein und Lauenburg promulgirte. Aufmerksam gemacht hierauf durch Oldenburg, zeigte der deutsche Bund wieder einmal einen Anflug von Ungeduld, doch natürlich in correcter Weise, auch nahm er sich Zeit dazu. Erst am 7. Februar 1861 wurde gedroht, falls die königlich-herzogliche Regierung sich nicht binnen sechs Wochen in vollkommen sichernder Weise zur Vollziehung des Bundesbeschlnsses vom 8. März 1860 bereit erkläre, werde man das im August 18S8 eingeleitete Verfahren wieder aufnehmen. In dieser Lage versuchte es die tvpenhagner Politik mit einem Taschenspiclerknnststück, welches nach dem beliebten dänischen Recept „Wahrheit mit Modification" vorgenommen werden sollte, aber in unerhört beschämender Weise mißglückte. Sie berief die holsteinischen Stande ein, legte ihnen unter Anderem einen „Gesetzentwurf betreffend die provisorische Stellung Holsteins" vor und ließ dann den auswärtigen Mächten die Nachricht zugehn, daß din Ständen das Budget zur Beschlußfassung vorgelegt worden sei, während dies nicht geschehen war, sondern lediglich einige Andeutungen in den Motiven eines Paragraphen jenes Gesetzentwurfs dahin interpretirt werden sollten. Es kam zu einem Skandal in der Ständeversammlung, bei welchem das Verfahren der Regierung deutluh mit der deutschen Uebersetzung von „Wahrheit mit Mo¬ dification", d. h. als Lüge bezeichnet wurde. Weiter in die Details der Verhandlungen über die Budgetfrage einzugehen würde die Geduld der Leser vor der Zeit erschöpfen heißen, und wir bedürfen derselben noch eine gute Weile. Es genüge daher, daß Dänemark sich durch die während dieser Verhandlungen dem Bunde und den Großmächten ertheilten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115927/506>, abgerufen am 15.01.2025.