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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band.

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überall und selbst da, wo sie Steppen und Gebirgswüsteneien durchschneidet
breite Streifen von Ansiedelungen ausstrahlen, welche durch den ansehnlichen
Erzreichthum an den Säumen der Rocks-Mountains sich noch weiter nach
Norden und Süden ausbreiten werden. Hier wird, zum ersten Mal in so
großen Dimensionen, die höhere Civilisation den Kampf mit der Unwirthlichkeit
der Wüste um die Möglichkeit hochmcnschlichen Daseins aufnehmen und ihn aller
Wahrscheinlichkeit nach siegreich hinausführen.

Und auch in andern Beziehungen wird das Land seinen Reichthum an
Mitteln zur Lösung der höchsten Aufgaben der Cultur rasch und gewaltig ent¬
wickeln. Eine beispiellos anwachsende Bevölkerung von erfindungsreichen und
unternehmenden Uantees und von gediegnen, ausdauernden, mit Liebe auch das
Kleine und Einzelne pflegenden Deutschen, welche die Schätze höherer Bildung
aus dem alten Vaterlande hierher verpflanzen und die ganze Nation damit be¬
fruchten. Bodcnreichthümer und Verkehrswege in denkbar höchster Fülle und
Vollkommenheit und überall geschickt benutzt. Eine politische Einheit über ganz
Amerika, welche nach Aufhören der Sklaverei durch das gegenseitige Interesse
aller von ihr umfaßten Staaten an einander der Unauflöslichkeit nahe kommt.
Dabei nur die nothwendigste Centralisation, im Uebrigen volles Selfgovernement.
Ueber den ganzen halben Continent hin Freiheit des Wortes und der Wahl,
des Glaubens und Lehrers, des Gewerbes, der Niederlassung. Freier Raum
zu allen socialen Experimenten. In der That -- welche Zukunft einer
deutschen Kolonie! --

Andere Anregung zu Betrachtungen dieser Art lassen wir als halb scherz¬
haften Anhang in ein paar Andeutungen folgen. Ein Freund, der soeben nach
langjährigem Aufenthalt in der Union zu uns zurückgekehrt war, und dem wir
diese Erörterung vorlasen, bestätigte die Prämissen und das Resultat derselben.
Dann aber fuhr er lächelnd fort:

"Der Kaiser Napoleon hat es für gut befunden, sich in unsre Verhältnisse
zu mischen. Mit Waffengewalt dringt er einem fremden Volke, unsern Nachbarn
den Mexikanern, französische Civilisation und französische Institutionen auf. Er
unternimmt dies gegen die Monroedoctrin, einen der Fundamentalsätze des in
Washington geltenden Staatsrechts. Die Folge wird wahrscheinlich sein, daß nach
Unterwerfung der südlichen Rebellen und Sicherstellung der Union vor Rückfällen
in solche Krisen ein amerikanisches Heer das Land und eine amerikanische Flotte
den Golf von Mexiko von diesen unberufenen Einwanderern reinfegcn und mit
ihnen hinauswerfen wird, was ihnen gefolgt ist. Daß wir fertig kriegen, was
wir wollen, ist sicher; daß es uns nicht im mindesten kümmern wird, ob dabei
eine neu angefertigte Kaiserkrone mit vermolestirt werden muß. noch sicherer.

Nun aber weiter. Wahr, die Zukunft ist ein Nebelfleck von Möglichkeiten.
Indeß gibt es Astronomen, welche darin einzelne Sterne erkennen wollen.
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überall und selbst da, wo sie Steppen und Gebirgswüsteneien durchschneidet
breite Streifen von Ansiedelungen ausstrahlen, welche durch den ansehnlichen
Erzreichthum an den Säumen der Rocks-Mountains sich noch weiter nach
Norden und Süden ausbreiten werden. Hier wird, zum ersten Mal in so
großen Dimensionen, die höhere Civilisation den Kampf mit der Unwirthlichkeit
der Wüste um die Möglichkeit hochmcnschlichen Daseins aufnehmen und ihn aller
Wahrscheinlichkeit nach siegreich hinausführen.

Und auch in andern Beziehungen wird das Land seinen Reichthum an
Mitteln zur Lösung der höchsten Aufgaben der Cultur rasch und gewaltig ent¬
wickeln. Eine beispiellos anwachsende Bevölkerung von erfindungsreichen und
unternehmenden Uantees und von gediegnen, ausdauernden, mit Liebe auch das
Kleine und Einzelne pflegenden Deutschen, welche die Schätze höherer Bildung
aus dem alten Vaterlande hierher verpflanzen und die ganze Nation damit be¬
fruchten. Bodcnreichthümer und Verkehrswege in denkbar höchster Fülle und
Vollkommenheit und überall geschickt benutzt. Eine politische Einheit über ganz
Amerika, welche nach Aufhören der Sklaverei durch das gegenseitige Interesse
aller von ihr umfaßten Staaten an einander der Unauflöslichkeit nahe kommt.
Dabei nur die nothwendigste Centralisation, im Uebrigen volles Selfgovernement.
Ueber den ganzen halben Continent hin Freiheit des Wortes und der Wahl,
des Glaubens und Lehrers, des Gewerbes, der Niederlassung. Freier Raum
zu allen socialen Experimenten. In der That — welche Zukunft einer
deutschen Kolonie! —

Andere Anregung zu Betrachtungen dieser Art lassen wir als halb scherz¬
haften Anhang in ein paar Andeutungen folgen. Ein Freund, der soeben nach
langjährigem Aufenthalt in der Union zu uns zurückgekehrt war, und dem wir
diese Erörterung vorlasen, bestätigte die Prämissen und das Resultat derselben.
Dann aber fuhr er lächelnd fort:

„Der Kaiser Napoleon hat es für gut befunden, sich in unsre Verhältnisse
zu mischen. Mit Waffengewalt dringt er einem fremden Volke, unsern Nachbarn
den Mexikanern, französische Civilisation und französische Institutionen auf. Er
unternimmt dies gegen die Monroedoctrin, einen der Fundamentalsätze des in
Washington geltenden Staatsrechts. Die Folge wird wahrscheinlich sein, daß nach
Unterwerfung der südlichen Rebellen und Sicherstellung der Union vor Rückfällen
in solche Krisen ein amerikanisches Heer das Land und eine amerikanische Flotte
den Golf von Mexiko von diesen unberufenen Einwanderern reinfegcn und mit
ihnen hinauswerfen wird, was ihnen gefolgt ist. Daß wir fertig kriegen, was
wir wollen, ist sicher; daß es uns nicht im mindesten kümmern wird, ob dabei
eine neu angefertigte Kaiserkrone mit vermolestirt werden muß. noch sicherer.

Nun aber weiter. Wahr, die Zukunft ist ein Nebelfleck von Möglichkeiten.
Indeß gibt es Astronomen, welche darin einzelne Sterne erkennen wollen.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115927/499>, abgerufen am 15.01.2025.