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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band.

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deutsches Lagerbier, deutsche leichte Weine schmecken. Man .freut sich an deut¬
schen Turm- und Gesangsvereinen, deutschen Volksfesten und beginnt sogar sie.
nachzuahmen. Gern werden Deutsche in Freimaurerlogen und andere Gesell¬
schaften aufgenommen. Zwischenheirathen und Geschäftsverbindungen der bei¬
den Nationalitäten sind keine Seltenheit mehr. Häusig geschieht es, daß Deutsche
zu wichtigen Aemtern gewählt werden. Das Beste aber ist. daß sich mehr und
mehr ein gewisser deutscher Nationalstolz herausbildet, der sich zunächst durch
die Wahrnehmung erzeugte, wie sehr die Deutschen den Angloamerikanern als
Soldaten überlegen waren.

Im Allgemeinen kann man sagen, daß der Amerikanisirungsproceß zu
stocken und stellenweise sogar in einen Germanisirungsproceß überzugehen an¬
gefangen hat, und daß der letztere alle Aussicht hat, fortzudauern und sich zu
steigern, da die Quellen jeder andern Einwanderung, namentlich der irischen,
fortwährend in demselben Maße abnehmen, in welchem die des deutschen Elements,
welches das bevölkertste aller europäischen Mutterländer hinter sich bat, reich¬
licher fließen müssen, und da dieses Element andrerseits selbst nach Bemerkungen
angloamerikanischer Physiologen eine geringere Sterblichkeit und eine größere
Zahl sowie eine beträchtlich stärkere Fruchtbarkeit der Ehen zeigt.

Es ist wahr, in Bezug auf Gemeinsinn, Opferwilligkeit für Bildungs¬
zwecke. Durchschnittsbildung der Massen und Reife zur Selbstregierung wird
der amerikanische Deutsche vom Yankee noch immer übertreffen. Dagegen
steht er ihm wieder um ebensoviel voran an tüchtiger Berufsbildung, Fleiß,
Ausdauer und Sparsamkeit in den niedern, an Gründlichkeit der Bildung,
Hingebung für humane Ziele, Kunstsinn und Folgerichtigkeit des Denkens in
den höhern Schichten. Der Deutschamerikaner ist durchschnittlich geizig für das
Gemeinwohl, freigebig fast nur, wo es dem Vergnügen gilt. Er ist kleinlich
und eitel, streitsüchtig, schwer zu belehren und. wo die deutsche Gesellschaft
noch nicht genügend mit gebildeten Elementen durchsetzt ist, beschränkt, schwer¬
fällig und ein Verächter von Allem, dessen unmittelbarer Nutzen nicht auf der
Hand liegt. Es fehlt ihm vielfach das Selbstvertrauen, es mangelt ihm die
Entschlossenheit zur Durchführung seiner Ansichten und die Gabe der politischen
Initiative. Indeß mit allen diesen üblen Eigenschaften, diesen bedenklichen'
Mängeln ist er doch ein unschätzbarer Gewinn für das Land seiner Wahl.
Ja der Grundstock der meisten dieser Mängel, seine "Gemüthlichkeit", richtiger
sein Phlegma, ist gerade das. was ihn befähigt, den schädlichen Natureinflüssen
des Landes und Vorzüglich dem früh reifenden, aber auch früh altern lassenden
Klima Widerstand zu leisten. Er ist nicht entfernt so brillant wie der Anglo-
amerikaner, aber er ist gediegener, im Kindesalter wirklich noch Kind, im
Jünglingsalter Jüngling, in spätern Jahren vollkräftiger Mann und noch
als Greis frisch und elastisch. Mag er gemeine, rohe Züge zeigen, bisweilen


Gttnzbotm IV. 1863. 62

deutsches Lagerbier, deutsche leichte Weine schmecken. Man .freut sich an deut¬
schen Turm- und Gesangsvereinen, deutschen Volksfesten und beginnt sogar sie.
nachzuahmen. Gern werden Deutsche in Freimaurerlogen und andere Gesell¬
schaften aufgenommen. Zwischenheirathen und Geschäftsverbindungen der bei¬
den Nationalitäten sind keine Seltenheit mehr. Häusig geschieht es, daß Deutsche
zu wichtigen Aemtern gewählt werden. Das Beste aber ist. daß sich mehr und
mehr ein gewisser deutscher Nationalstolz herausbildet, der sich zunächst durch
die Wahrnehmung erzeugte, wie sehr die Deutschen den Angloamerikanern als
Soldaten überlegen waren.

Im Allgemeinen kann man sagen, daß der Amerikanisirungsproceß zu
stocken und stellenweise sogar in einen Germanisirungsproceß überzugehen an¬
gefangen hat, und daß der letztere alle Aussicht hat, fortzudauern und sich zu
steigern, da die Quellen jeder andern Einwanderung, namentlich der irischen,
fortwährend in demselben Maße abnehmen, in welchem die des deutschen Elements,
welches das bevölkertste aller europäischen Mutterländer hinter sich bat, reich¬
licher fließen müssen, und da dieses Element andrerseits selbst nach Bemerkungen
angloamerikanischer Physiologen eine geringere Sterblichkeit und eine größere
Zahl sowie eine beträchtlich stärkere Fruchtbarkeit der Ehen zeigt.

Es ist wahr, in Bezug auf Gemeinsinn, Opferwilligkeit für Bildungs¬
zwecke. Durchschnittsbildung der Massen und Reife zur Selbstregierung wird
der amerikanische Deutsche vom Yankee noch immer übertreffen. Dagegen
steht er ihm wieder um ebensoviel voran an tüchtiger Berufsbildung, Fleiß,
Ausdauer und Sparsamkeit in den niedern, an Gründlichkeit der Bildung,
Hingebung für humane Ziele, Kunstsinn und Folgerichtigkeit des Denkens in
den höhern Schichten. Der Deutschamerikaner ist durchschnittlich geizig für das
Gemeinwohl, freigebig fast nur, wo es dem Vergnügen gilt. Er ist kleinlich
und eitel, streitsüchtig, schwer zu belehren und. wo die deutsche Gesellschaft
noch nicht genügend mit gebildeten Elementen durchsetzt ist, beschränkt, schwer¬
fällig und ein Verächter von Allem, dessen unmittelbarer Nutzen nicht auf der
Hand liegt. Es fehlt ihm vielfach das Selbstvertrauen, es mangelt ihm die
Entschlossenheit zur Durchführung seiner Ansichten und die Gabe der politischen
Initiative. Indeß mit allen diesen üblen Eigenschaften, diesen bedenklichen'
Mängeln ist er doch ein unschätzbarer Gewinn für das Land seiner Wahl.
Ja der Grundstock der meisten dieser Mängel, seine „Gemüthlichkeit", richtiger
sein Phlegma, ist gerade das. was ihn befähigt, den schädlichen Natureinflüssen
des Landes und Vorzüglich dem früh reifenden, aber auch früh altern lassenden
Klima Widerstand zu leisten. Er ist nicht entfernt so brillant wie der Anglo-
amerikaner, aber er ist gediegener, im Kindesalter wirklich noch Kind, im
Jünglingsalter Jüngling, in spätern Jahren vollkräftiger Mann und noch
als Greis frisch und elastisch. Mag er gemeine, rohe Züge zeigen, bisweilen


Gttnzbotm IV. 1863. 62
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[0497] deutsches Lagerbier, deutsche leichte Weine schmecken. Man .freut sich an deut¬ schen Turm- und Gesangsvereinen, deutschen Volksfesten und beginnt sogar sie. nachzuahmen. Gern werden Deutsche in Freimaurerlogen und andere Gesell¬ schaften aufgenommen. Zwischenheirathen und Geschäftsverbindungen der bei¬ den Nationalitäten sind keine Seltenheit mehr. Häusig geschieht es, daß Deutsche zu wichtigen Aemtern gewählt werden. Das Beste aber ist. daß sich mehr und mehr ein gewisser deutscher Nationalstolz herausbildet, der sich zunächst durch die Wahrnehmung erzeugte, wie sehr die Deutschen den Angloamerikanern als Soldaten überlegen waren. Im Allgemeinen kann man sagen, daß der Amerikanisirungsproceß zu stocken und stellenweise sogar in einen Germanisirungsproceß überzugehen an¬ gefangen hat, und daß der letztere alle Aussicht hat, fortzudauern und sich zu steigern, da die Quellen jeder andern Einwanderung, namentlich der irischen, fortwährend in demselben Maße abnehmen, in welchem die des deutschen Elements, welches das bevölkertste aller europäischen Mutterländer hinter sich bat, reich¬ licher fließen müssen, und da dieses Element andrerseits selbst nach Bemerkungen angloamerikanischer Physiologen eine geringere Sterblichkeit und eine größere Zahl sowie eine beträchtlich stärkere Fruchtbarkeit der Ehen zeigt. Es ist wahr, in Bezug auf Gemeinsinn, Opferwilligkeit für Bildungs¬ zwecke. Durchschnittsbildung der Massen und Reife zur Selbstregierung wird der amerikanische Deutsche vom Yankee noch immer übertreffen. Dagegen steht er ihm wieder um ebensoviel voran an tüchtiger Berufsbildung, Fleiß, Ausdauer und Sparsamkeit in den niedern, an Gründlichkeit der Bildung, Hingebung für humane Ziele, Kunstsinn und Folgerichtigkeit des Denkens in den höhern Schichten. Der Deutschamerikaner ist durchschnittlich geizig für das Gemeinwohl, freigebig fast nur, wo es dem Vergnügen gilt. Er ist kleinlich und eitel, streitsüchtig, schwer zu belehren und. wo die deutsche Gesellschaft noch nicht genügend mit gebildeten Elementen durchsetzt ist, beschränkt, schwer¬ fällig und ein Verächter von Allem, dessen unmittelbarer Nutzen nicht auf der Hand liegt. Es fehlt ihm vielfach das Selbstvertrauen, es mangelt ihm die Entschlossenheit zur Durchführung seiner Ansichten und die Gabe der politischen Initiative. Indeß mit allen diesen üblen Eigenschaften, diesen bedenklichen' Mängeln ist er doch ein unschätzbarer Gewinn für das Land seiner Wahl. Ja der Grundstock der meisten dieser Mängel, seine „Gemüthlichkeit", richtiger sein Phlegma, ist gerade das. was ihn befähigt, den schädlichen Natureinflüssen des Landes und Vorzüglich dem früh reifenden, aber auch früh altern lassenden Klima Widerstand zu leisten. Er ist nicht entfernt so brillant wie der Anglo- amerikaner, aber er ist gediegener, im Kindesalter wirklich noch Kind, im Jünglingsalter Jüngling, in spätern Jahren vollkräftiger Mann und noch als Greis frisch und elastisch. Mag er gemeine, rohe Züge zeigen, bisweilen Gttnzbotm IV. 1863. 62

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115927/497>, abgerufen am 15.01.2025.