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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band.

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zum Hochverrat!), da das Unternehmen, für dessen Unterstützung der Artikel
begeistern wolle, auf Wiederherstellung der Grenzen von 1772 gerichtet sei.
Bekanntlich hängt die Beurtheilung der Vergehen unserer verhafteten polnischen
Landsleute allein von der Frage ab, ob diese Voraussetzung richtig sei. Tomicki
hat sich äußerst gewandt, mit großer Eleganz vertheidigt. Aus die Frage, ob
er sich schuldig bekenne, erwiederter: "Gott behüte mich!" Seine Vertheidigung
endet er: "Hoher Senat, da ich nachgewiesen habe, daß mein Blatt kein Wort,
keine Silbe gegen Preußen sagt, und da deswegen von Hochverrath gegen
Preußen nicht die Rede sein kann, -- da ich auch bewiesen habe, daß die
Tendenz meines Blattes eine religiöse ist, so stehe ich heute ruhig vor dem
hohen Senate, Gott dankend, daß der heutige Tag gekommen ist, der mich nach
viermonatlicher harter Haft erlösen wird; denn so lange schmachte ich schon un¬
schuldig. Gott ist der Schützer aller Unschuldigen, und die Gerechtigkeit der
preußischen Richter ist weltberühmt. Um diese Gerechtigkeit flehe ich heute mit
thränenden Augen, da ich nichts strafbares begangen habe. Ich beantrage
meine Freisprechung." -- Von dem polnischen Aufstande wußte er nur durch
die Zeitungen, davon aber, daß derselbe die Grenzen von 1772 herstellen wolle,
wußte er überhaupt nichts. Der Gerichtshof aber, derselbe!, vor dem auch Nie-
golcwski, Radonski und Genossen erscheinen werden, erkannte gegen den An¬
geklagten. Der Kampf, hieß es u. A., der unter Leitung der Nationalregierung
geführt werde, sei auch gegen Preußen, nämlich auf Losreißung eines Theiles
des preußischen Landes gerichtet. Hält der Staatsgerichtshof diese Ansicht fest,
respective ist sie ihm, wie wir nicht zweifeln, durch die ihm vorliegenden Docu-
mente bewiesen, dann haben die gefangenen Polen sehr strenge Erkenntnisse zu
erwarten; denn die mildernden Umstände, welche man bei Tomickis Vergehen
darin fand, daß die aufgeregte Zeit ihn fortgerissen und daß sein Aufsatz keine
Folge gehabt habe, dürften denen nicht zu Gute kommen, welche die Aufregung
mit verschuldeten, und die eben nur durch die Verhaftung an der Ausführung
ihrer Pläne verhindert wurden. Tomicki wurde zu zweijähriger Einschließung
verurtheilt. -- Auch das Obertribunal hat sich in einem ihm vorgelegten Falle
gegen die Polen erklärt. Das Kreisgericht in Wreschen hatte angenommen,
daß diejenigen Preußen, welche an dem Aufruhr in Nußland theilgenommen,
nach dem Paragraphen strafbar wären, welcher preußische Unterthanen, die im
Ausland eine im Vaterland verbotene Handlung begehen, bedroht. Das Appel-
lationsgericht in Posen hatte in mehren Fällen, nach seinem Vorgange das zu
Bromberg einmal in der zweiten Instanz sich gegen dieses Erkenntniß erklärt.
Das Obertribunal hat nun diese Freisprechung verworfen und die einzelne
Sache zu nochmaliger Aburtelung in die zweite Instanz zurückgegeben. Der¬
selbe Gerichtshof hat nun erkannt, daß das geistliche Amt von dem Schul-
inspectorate zu trennen sei, respective, daß der Negierung das Necht zustehe.


zum Hochverrat!), da das Unternehmen, für dessen Unterstützung der Artikel
begeistern wolle, auf Wiederherstellung der Grenzen von 1772 gerichtet sei.
Bekanntlich hängt die Beurtheilung der Vergehen unserer verhafteten polnischen
Landsleute allein von der Frage ab, ob diese Voraussetzung richtig sei. Tomicki
hat sich äußerst gewandt, mit großer Eleganz vertheidigt. Aus die Frage, ob
er sich schuldig bekenne, erwiederter: „Gott behüte mich!" Seine Vertheidigung
endet er: „Hoher Senat, da ich nachgewiesen habe, daß mein Blatt kein Wort,
keine Silbe gegen Preußen sagt, und da deswegen von Hochverrath gegen
Preußen nicht die Rede sein kann, — da ich auch bewiesen habe, daß die
Tendenz meines Blattes eine religiöse ist, so stehe ich heute ruhig vor dem
hohen Senate, Gott dankend, daß der heutige Tag gekommen ist, der mich nach
viermonatlicher harter Haft erlösen wird; denn so lange schmachte ich schon un¬
schuldig. Gott ist der Schützer aller Unschuldigen, und die Gerechtigkeit der
preußischen Richter ist weltberühmt. Um diese Gerechtigkeit flehe ich heute mit
thränenden Augen, da ich nichts strafbares begangen habe. Ich beantrage
meine Freisprechung." — Von dem polnischen Aufstande wußte er nur durch
die Zeitungen, davon aber, daß derselbe die Grenzen von 1772 herstellen wolle,
wußte er überhaupt nichts. Der Gerichtshof aber, derselbe!, vor dem auch Nie-
golcwski, Radonski und Genossen erscheinen werden, erkannte gegen den An¬
geklagten. Der Kampf, hieß es u. A., der unter Leitung der Nationalregierung
geführt werde, sei auch gegen Preußen, nämlich auf Losreißung eines Theiles
des preußischen Landes gerichtet. Hält der Staatsgerichtshof diese Ansicht fest,
respective ist sie ihm, wie wir nicht zweifeln, durch die ihm vorliegenden Docu-
mente bewiesen, dann haben die gefangenen Polen sehr strenge Erkenntnisse zu
erwarten; denn die mildernden Umstände, welche man bei Tomickis Vergehen
darin fand, daß die aufgeregte Zeit ihn fortgerissen und daß sein Aufsatz keine
Folge gehabt habe, dürften denen nicht zu Gute kommen, welche die Aufregung
mit verschuldeten, und die eben nur durch die Verhaftung an der Ausführung
ihrer Pläne verhindert wurden. Tomicki wurde zu zweijähriger Einschließung
verurtheilt. — Auch das Obertribunal hat sich in einem ihm vorgelegten Falle
gegen die Polen erklärt. Das Kreisgericht in Wreschen hatte angenommen,
daß diejenigen Preußen, welche an dem Aufruhr in Nußland theilgenommen,
nach dem Paragraphen strafbar wären, welcher preußische Unterthanen, die im
Ausland eine im Vaterland verbotene Handlung begehen, bedroht. Das Appel-
lationsgericht in Posen hatte in mehren Fällen, nach seinem Vorgange das zu
Bromberg einmal in der zweiten Instanz sich gegen dieses Erkenntniß erklärt.
Das Obertribunal hat nun diese Freisprechung verworfen und die einzelne
Sache zu nochmaliger Aburtelung in die zweite Instanz zurückgegeben. Der¬
selbe Gerichtshof hat nun erkannt, daß das geistliche Amt von dem Schul-
inspectorate zu trennen sei, respective, daß der Negierung das Necht zustehe.


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[0461] zum Hochverrat!), da das Unternehmen, für dessen Unterstützung der Artikel begeistern wolle, auf Wiederherstellung der Grenzen von 1772 gerichtet sei. Bekanntlich hängt die Beurtheilung der Vergehen unserer verhafteten polnischen Landsleute allein von der Frage ab, ob diese Voraussetzung richtig sei. Tomicki hat sich äußerst gewandt, mit großer Eleganz vertheidigt. Aus die Frage, ob er sich schuldig bekenne, erwiederter: „Gott behüte mich!" Seine Vertheidigung endet er: „Hoher Senat, da ich nachgewiesen habe, daß mein Blatt kein Wort, keine Silbe gegen Preußen sagt, und da deswegen von Hochverrath gegen Preußen nicht die Rede sein kann, — da ich auch bewiesen habe, daß die Tendenz meines Blattes eine religiöse ist, so stehe ich heute ruhig vor dem hohen Senate, Gott dankend, daß der heutige Tag gekommen ist, der mich nach viermonatlicher harter Haft erlösen wird; denn so lange schmachte ich schon un¬ schuldig. Gott ist der Schützer aller Unschuldigen, und die Gerechtigkeit der preußischen Richter ist weltberühmt. Um diese Gerechtigkeit flehe ich heute mit thränenden Augen, da ich nichts strafbares begangen habe. Ich beantrage meine Freisprechung." — Von dem polnischen Aufstande wußte er nur durch die Zeitungen, davon aber, daß derselbe die Grenzen von 1772 herstellen wolle, wußte er überhaupt nichts. Der Gerichtshof aber, derselbe!, vor dem auch Nie- golcwski, Radonski und Genossen erscheinen werden, erkannte gegen den An¬ geklagten. Der Kampf, hieß es u. A., der unter Leitung der Nationalregierung geführt werde, sei auch gegen Preußen, nämlich auf Losreißung eines Theiles des preußischen Landes gerichtet. Hält der Staatsgerichtshof diese Ansicht fest, respective ist sie ihm, wie wir nicht zweifeln, durch die ihm vorliegenden Docu- mente bewiesen, dann haben die gefangenen Polen sehr strenge Erkenntnisse zu erwarten; denn die mildernden Umstände, welche man bei Tomickis Vergehen darin fand, daß die aufgeregte Zeit ihn fortgerissen und daß sein Aufsatz keine Folge gehabt habe, dürften denen nicht zu Gute kommen, welche die Aufregung mit verschuldeten, und die eben nur durch die Verhaftung an der Ausführung ihrer Pläne verhindert wurden. Tomicki wurde zu zweijähriger Einschließung verurtheilt. — Auch das Obertribunal hat sich in einem ihm vorgelegten Falle gegen die Polen erklärt. Das Kreisgericht in Wreschen hatte angenommen, daß diejenigen Preußen, welche an dem Aufruhr in Nußland theilgenommen, nach dem Paragraphen strafbar wären, welcher preußische Unterthanen, die im Ausland eine im Vaterland verbotene Handlung begehen, bedroht. Das Appel- lationsgericht in Posen hatte in mehren Fällen, nach seinem Vorgange das zu Bromberg einmal in der zweiten Instanz sich gegen dieses Erkenntniß erklärt. Das Obertribunal hat nun diese Freisprechung verworfen und die einzelne Sache zu nochmaliger Aburtelung in die zweite Instanz zurückgegeben. Der¬ selbe Gerichtshof hat nun erkannt, daß das geistliche Amt von dem Schul- inspectorate zu trennen sei, respective, daß der Negierung das Necht zustehe.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115927/461>, abgerufen am 15.01.2025.