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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band.

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Preußen und Schleswig-Holstein.

Seit der ersten Nachricht vom Tode des Dänenkönigs und seit der ersten
Proclamation des neuen Herzogs von Schleswig-Holstein ist in bewegten Wo¬
chen den Deutschen die Empfindung gekommen, daß plötzlich und fast Jeder¬
mann unerwartet eine Frage erhoben sei, von deren Lösung unser Aller Wohl
und Wehe abhängt. Sie ist der bewegende Punkt, welcher eine Umgestaltung
der Dinge in Preußen, eine Reform des deutschen Bundes, Veränderungen in
der Stellung der deutschen Staaten zum Auslande fast unvermeidlich herbei¬
führen wird. Wenn besorgte Deutsche in dem letzten Jahre prophezeiten, daß
nur durch eine äußere Verwickelung .das Ungesunde der einheimischen Ver¬
hältnisse gebessert werden könnte, und wenn sie am politischen Horizont die
Wetterwolke suchten, welche von West oder Ost heraufsteigend, ihre Schläge
gegen das heimische Unhaltbare richten sollte, so haben diese Besorgten nicht
mehr nöthig zu suchen. Das Wetter ist heraufgezogen vom deutschen Norden
her, und der erste Donner rollt dumpf durch das deutsche Land. Aber ein
gnädiges Geschick hat gewollt, daß der beginnende Sturm uns nicht durch
fremde Interessen heraufgeführt wird, es ist eine theure nationale Sache, durch
ruhmvolle, schmerzliche und peinliche Erinnerungen tief in die Seelen der Deut¬
schen gedrückt, und es ist eine alte und große Forderung der Nation, welche
Politische Leidenschaft hervorruft und zur Thätigkeit zwingt. Und dieses Er-
eigniß wird auch den deutschen Fürsten und Regierungen eine gute Probe für
das Maß von Rechtsgefühl. Patriotismus und Ehre, welche sie ihrer Nation
zu beweisen wissen. Unruhig wogte durch drei Wochen die Stimmung des
Volkes zwischen Hoffnung und Sorge, Erfolge und Rückschläge wechselten, im
Ganzen hat die Sache der Herzogtümer bis jetzt etwa die Wandlungen durch¬
gemacht, weiche sich nach unseren Verhältnissen erwarten ließen. Die Hol-
steiner selbst haben sich wieder als das bewährt, was sie in alten und neuen


Grenzboten IV. 1863. 66
Preußen und Schleswig-Holstein.

Seit der ersten Nachricht vom Tode des Dänenkönigs und seit der ersten
Proclamation des neuen Herzogs von Schleswig-Holstein ist in bewegten Wo¬
chen den Deutschen die Empfindung gekommen, daß plötzlich und fast Jeder¬
mann unerwartet eine Frage erhoben sei, von deren Lösung unser Aller Wohl
und Wehe abhängt. Sie ist der bewegende Punkt, welcher eine Umgestaltung
der Dinge in Preußen, eine Reform des deutschen Bundes, Veränderungen in
der Stellung der deutschen Staaten zum Auslande fast unvermeidlich herbei¬
führen wird. Wenn besorgte Deutsche in dem letzten Jahre prophezeiten, daß
nur durch eine äußere Verwickelung .das Ungesunde der einheimischen Ver¬
hältnisse gebessert werden könnte, und wenn sie am politischen Horizont die
Wetterwolke suchten, welche von West oder Ost heraufsteigend, ihre Schläge
gegen das heimische Unhaltbare richten sollte, so haben diese Besorgten nicht
mehr nöthig zu suchen. Das Wetter ist heraufgezogen vom deutschen Norden
her, und der erste Donner rollt dumpf durch das deutsche Land. Aber ein
gnädiges Geschick hat gewollt, daß der beginnende Sturm uns nicht durch
fremde Interessen heraufgeführt wird, es ist eine theure nationale Sache, durch
ruhmvolle, schmerzliche und peinliche Erinnerungen tief in die Seelen der Deut¬
schen gedrückt, und es ist eine alte und große Forderung der Nation, welche
Politische Leidenschaft hervorruft und zur Thätigkeit zwingt. Und dieses Er-
eigniß wird auch den deutschen Fürsten und Regierungen eine gute Probe für
das Maß von Rechtsgefühl. Patriotismus und Ehre, welche sie ihrer Nation
zu beweisen wissen. Unruhig wogte durch drei Wochen die Stimmung des
Volkes zwischen Hoffnung und Sorge, Erfolge und Rückschläge wechselten, im
Ganzen hat die Sache der Herzogtümer bis jetzt etwa die Wandlungen durch¬
gemacht, weiche sich nach unseren Verhältnissen erwarten ließen. Die Hol-
steiner selbst haben sich wieder als das bewährt, was sie in alten und neuen


Grenzboten IV. 1863. 66
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[0449] Preußen und Schleswig-Holstein. Seit der ersten Nachricht vom Tode des Dänenkönigs und seit der ersten Proclamation des neuen Herzogs von Schleswig-Holstein ist in bewegten Wo¬ chen den Deutschen die Empfindung gekommen, daß plötzlich und fast Jeder¬ mann unerwartet eine Frage erhoben sei, von deren Lösung unser Aller Wohl und Wehe abhängt. Sie ist der bewegende Punkt, welcher eine Umgestaltung der Dinge in Preußen, eine Reform des deutschen Bundes, Veränderungen in der Stellung der deutschen Staaten zum Auslande fast unvermeidlich herbei¬ führen wird. Wenn besorgte Deutsche in dem letzten Jahre prophezeiten, daß nur durch eine äußere Verwickelung .das Ungesunde der einheimischen Ver¬ hältnisse gebessert werden könnte, und wenn sie am politischen Horizont die Wetterwolke suchten, welche von West oder Ost heraufsteigend, ihre Schläge gegen das heimische Unhaltbare richten sollte, so haben diese Besorgten nicht mehr nöthig zu suchen. Das Wetter ist heraufgezogen vom deutschen Norden her, und der erste Donner rollt dumpf durch das deutsche Land. Aber ein gnädiges Geschick hat gewollt, daß der beginnende Sturm uns nicht durch fremde Interessen heraufgeführt wird, es ist eine theure nationale Sache, durch ruhmvolle, schmerzliche und peinliche Erinnerungen tief in die Seelen der Deut¬ schen gedrückt, und es ist eine alte und große Forderung der Nation, welche Politische Leidenschaft hervorruft und zur Thätigkeit zwingt. Und dieses Er- eigniß wird auch den deutschen Fürsten und Regierungen eine gute Probe für das Maß von Rechtsgefühl. Patriotismus und Ehre, welche sie ihrer Nation zu beweisen wissen. Unruhig wogte durch drei Wochen die Stimmung des Volkes zwischen Hoffnung und Sorge, Erfolge und Rückschläge wechselten, im Ganzen hat die Sache der Herzogtümer bis jetzt etwa die Wandlungen durch¬ gemacht, weiche sich nach unseren Verhältnissen erwarten ließen. Die Hol- steiner selbst haben sich wieder als das bewährt, was sie in alten und neuen Grenzboten IV. 1863. 66

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115927/449>, abgerufen am 15.01.2025.