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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band.

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zu entschuldigen. Ueber die innersten Wünsche und Stimmungen der berliner
Kreise erholten wir auch in der vorliegenden Auflage keine vollständige Auf¬
klärung, Es scheint uns, daß an der aufrichtigen Absicht, dem Potsdamer Ver¬
trage gemäß zu handeln, nicht gezweifelt werden darf, daß aber trotzdem die
berliner Staatsmänner in dem Gedanken, die Neutralität mit einer 'thätigen
Theilnahme an einem Kriege, in dem es sich allerdings leicht um die Existenz
Preußens handeln konnte, zu vertauschen, sich nicht recht zu finden vermochten.
In diesem unklaren Schwanken vertraute man denn die stolze Botschaft an
Napoleon dem Manne an, von dem man wußte, daß er seiner Mission
gewiß in der mildesten Weise genügen und dieselbe jedenfalls lieber als
eine friedliche wie als eine kriegerische auffassen würde. Darauf war man
freilich nicht gefaßt, daß er seinen Auftrag, so lange derselbe noch ausführ¬
bar war, gar nicht ausführen würde. Nach der Schlacht von Austerlitz
war für seine Mission freilich kein Raum mehr. Hatte Haugwitz den rich¬
tigen Moment in sträflicher Pflichtvergessenheit vorübergehen lassen, so blieb
ihm allerdings setzt kaum noch etwas Anderes übrig, als die Consequen-
zen seiner Versäumniß zu ziehen, d. h. den Vertrag von Schönbrunn abzu¬
schließen. Uebrigens darf man nicht unbeachtet lassen, daß die Kopflosigkeit
der russischen Kriegführung einen großen Theil der Schuld an der traurigen
Wendung der Dinge trägt. Es kam offenbar darauf an, die Entscheidung so
lange hinzuziehen, bis Preußen so weit vorbereitet war, um dem Potsdamer
Vertrag gemäß mit voller Macht in die Begebenheiten eingreifen zu können. Daß
die Coalition sich bei dieser Lage der Dinge einer Niederlage aussetzte, die
unvermeidlich die ungünstigste Wirkung auf Preußens Entschließung ausüben
mußte, war nicht blos ein militärischer, es war vor Allem einer der unbegreif¬
lichsten politischen Fehler, von denen die Geschichte dieser Coalition so über¬
reiche Beispiele bietet.

Eine sehr anziehende Partie in der vorliegenden Auflage bilden die Be¬
richte Humboldts, der im Jahre 1810 Finkenstein auf dem Gesandtschaftsposten
in Wien ablöste. Als einen Systemwechsel haben wir diesen Personenwechsel
nicht anzusehen. Finkenstein, wie wir gesehen haben, hatte sich bei jeder Ge¬
legenheit als energischen Gegner Napoleons gezeigt. Dieselbe Richtung aber,
wenn auch mit größerer Besonnenheit und Umsicht, vertrat auch Humboldt;
Eines aber hatte Humboldt vor ihm, wie wohl vor den meisten preußischen
Staatsmännern, voraus, den eindringenden Scharfblick in der.Beurtheilung von
Verhältnissen und Personen, von dem unter Andern die vortreffliche Charakteri¬
stik Metternichs, die er in einem Gesandtschaftsberichte entwirft, einen glänzen¬
den Beweis liefert. Humboldt erklärt manche der über Metternich verbreiteten
Urtheile für unbillig, hält ihn z. B. nicht für fähig, die Interessen seines Kai¬
sers den seinigen zu opfern. Dagegen hebt er mit aller Schärfe hervor, daß


zu entschuldigen. Ueber die innersten Wünsche und Stimmungen der berliner
Kreise erholten wir auch in der vorliegenden Auflage keine vollständige Auf¬
klärung, Es scheint uns, daß an der aufrichtigen Absicht, dem Potsdamer Ver¬
trage gemäß zu handeln, nicht gezweifelt werden darf, daß aber trotzdem die
berliner Staatsmänner in dem Gedanken, die Neutralität mit einer 'thätigen
Theilnahme an einem Kriege, in dem es sich allerdings leicht um die Existenz
Preußens handeln konnte, zu vertauschen, sich nicht recht zu finden vermochten.
In diesem unklaren Schwanken vertraute man denn die stolze Botschaft an
Napoleon dem Manne an, von dem man wußte, daß er seiner Mission
gewiß in der mildesten Weise genügen und dieselbe jedenfalls lieber als
eine friedliche wie als eine kriegerische auffassen würde. Darauf war man
freilich nicht gefaßt, daß er seinen Auftrag, so lange derselbe noch ausführ¬
bar war, gar nicht ausführen würde. Nach der Schlacht von Austerlitz
war für seine Mission freilich kein Raum mehr. Hatte Haugwitz den rich¬
tigen Moment in sträflicher Pflichtvergessenheit vorübergehen lassen, so blieb
ihm allerdings setzt kaum noch etwas Anderes übrig, als die Consequen-
zen seiner Versäumniß zu ziehen, d. h. den Vertrag von Schönbrunn abzu¬
schließen. Uebrigens darf man nicht unbeachtet lassen, daß die Kopflosigkeit
der russischen Kriegführung einen großen Theil der Schuld an der traurigen
Wendung der Dinge trägt. Es kam offenbar darauf an, die Entscheidung so
lange hinzuziehen, bis Preußen so weit vorbereitet war, um dem Potsdamer
Vertrag gemäß mit voller Macht in die Begebenheiten eingreifen zu können. Daß
die Coalition sich bei dieser Lage der Dinge einer Niederlage aussetzte, die
unvermeidlich die ungünstigste Wirkung auf Preußens Entschließung ausüben
mußte, war nicht blos ein militärischer, es war vor Allem einer der unbegreif¬
lichsten politischen Fehler, von denen die Geschichte dieser Coalition so über¬
reiche Beispiele bietet.

Eine sehr anziehende Partie in der vorliegenden Auflage bilden die Be¬
richte Humboldts, der im Jahre 1810 Finkenstein auf dem Gesandtschaftsposten
in Wien ablöste. Als einen Systemwechsel haben wir diesen Personenwechsel
nicht anzusehen. Finkenstein, wie wir gesehen haben, hatte sich bei jeder Ge¬
legenheit als energischen Gegner Napoleons gezeigt. Dieselbe Richtung aber,
wenn auch mit größerer Besonnenheit und Umsicht, vertrat auch Humboldt;
Eines aber hatte Humboldt vor ihm, wie wohl vor den meisten preußischen
Staatsmännern, voraus, den eindringenden Scharfblick in der.Beurtheilung von
Verhältnissen und Personen, von dem unter Andern die vortreffliche Charakteri¬
stik Metternichs, die er in einem Gesandtschaftsberichte entwirft, einen glänzen¬
den Beweis liefert. Humboldt erklärt manche der über Metternich verbreiteten
Urtheile für unbillig, hält ihn z. B. nicht für fähig, die Interessen seines Kai¬
sers den seinigen zu opfern. Dagegen hebt er mit aller Schärfe hervor, daß


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115927/423>, abgerufen am 15.01.2025.