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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band.

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gut der Nation geworden sind, daß die alten Vorurtheile noch immer lebendig
sind und jede Gelegenheit benutzen, um sich zu äußern.. Es gilt einmal für
eine gewissermaßen auf die Tradition beglaubigte Thatsache, daß der Abschluß
des baseler Friedens der Ursprung alles in Folge der Revolution über Deutsch¬
land verhängten Unheils sei, und daß folglich Preußen die ganze Verantwortung
für Deutschlands Schmach zu tragen habe. Wie viele Preußen gibt es aber,
auch unter den Gebildeten, die im Stande sind, ohne den begangenen Fehler
zu beschönigen, Preußens Schuld auf ihr richtiges Maß zurückzuführen und die
nackte Thatsache als Wirkung einer Reihe von Ursachen zu begreifen? Wie
viele, auch unter den Gebildeten Deutschlands, gibt es, die im Stande sind,
zu begreifen, daß Preußens größte Schuld die Schwäche war, mit der es Oest¬
reich gegenüber zu Reichenbach seine imponirende Schiedsrichterstellung aufgab,
ohne durch die Verhältnisse dazu gezwungen zu sein. Wir glauben die Hoff¬
nung aussprechen zu dürfen, daß diese dritte Auflage des mit Recht so popu¬
lären Werkes von Hauffer, welches im edelsten Sinne des Wortes ein Nativnal-
werk ist, viel dazu beitragen wird, die richtige Auffassung gewisser Thatsachen,
deren klare Erkenntniß einer Nation, die nach politischer Geltung strebt und
auf politische Bildung Anspruch macht, unbedingt nothwendig ist, auch in wei¬
tere Kreise zu verbreiten.

Ueberaus reichhaltig sind die Verbesserungen, die für die Zeit von dem
baseler Frieden an dem Werke aus der Benutzung der preußischen Archive zu¬
geflossen sind. Besonders die preußische Politik in den mannigfachen Win¬
dungen und Wendungen, die sie macht, um den Consequenzen ihres ersten,
großen Fehlers, des reichenbacher Vertrages, zu entgehen, wird mit voller
Klarheit, und. da die mithandelnden Personen fast immer selbst citirt werden,
um als Zeugen über ihr Thun und Lassen Rechenschaft abzulegen, mit drama¬
tischer Anschaulichkeit dargelegt. Wir können natürlich nicht dem Verfasser durch
die ganze Fülle des neu hinzugekommenen Stoffes folgen und müssen uns be¬
gnügen, die Partieen, die vorzugsweise bereichert sind, anzugeben und Ein¬
zelnes zu näherer Besprechung hervorzuheben.

Indem wir Alles das übergehen, was sich auf den Abschluß des bereits
von Sybel so gründlich dargestellten baseler Friedens, so wie auf Preußens
vergebliche Versuche, denselben wo möglich mit Rettung des linken Rheinufers
zum Reichsfrieden weiter zu bilden, bezieht, können wir doch nicht umhin, eine
merkwürdige Denkschrift Hardenbergs, des Staatsmannes, dessen Name am
engsten mit dem verhängnißvollen Frieden verknüpft ist, zu erwähnen. Die
Denkschrift, nicht lange nach dem Frieden verfaßt, schildert die Haltung der
Franzosen sowohl in der Grenzfrage, wie in Betreff der Demarcationslinie. Sie
findet die Situation Preußens nach dem Allen äußerst kritisch und bedenklich,
beklagt es, daß der Krieg, einmal angefangen, nicht mit Eintracht und Nach-


gut der Nation geworden sind, daß die alten Vorurtheile noch immer lebendig
sind und jede Gelegenheit benutzen, um sich zu äußern.. Es gilt einmal für
eine gewissermaßen auf die Tradition beglaubigte Thatsache, daß der Abschluß
des baseler Friedens der Ursprung alles in Folge der Revolution über Deutsch¬
land verhängten Unheils sei, und daß folglich Preußen die ganze Verantwortung
für Deutschlands Schmach zu tragen habe. Wie viele Preußen gibt es aber,
auch unter den Gebildeten, die im Stande sind, ohne den begangenen Fehler
zu beschönigen, Preußens Schuld auf ihr richtiges Maß zurückzuführen und die
nackte Thatsache als Wirkung einer Reihe von Ursachen zu begreifen? Wie
viele, auch unter den Gebildeten Deutschlands, gibt es, die im Stande sind,
zu begreifen, daß Preußens größte Schuld die Schwäche war, mit der es Oest¬
reich gegenüber zu Reichenbach seine imponirende Schiedsrichterstellung aufgab,
ohne durch die Verhältnisse dazu gezwungen zu sein. Wir glauben die Hoff¬
nung aussprechen zu dürfen, daß diese dritte Auflage des mit Recht so popu¬
lären Werkes von Hauffer, welches im edelsten Sinne des Wortes ein Nativnal-
werk ist, viel dazu beitragen wird, die richtige Auffassung gewisser Thatsachen,
deren klare Erkenntniß einer Nation, die nach politischer Geltung strebt und
auf politische Bildung Anspruch macht, unbedingt nothwendig ist, auch in wei¬
tere Kreise zu verbreiten.

Ueberaus reichhaltig sind die Verbesserungen, die für die Zeit von dem
baseler Frieden an dem Werke aus der Benutzung der preußischen Archive zu¬
geflossen sind. Besonders die preußische Politik in den mannigfachen Win¬
dungen und Wendungen, die sie macht, um den Consequenzen ihres ersten,
großen Fehlers, des reichenbacher Vertrages, zu entgehen, wird mit voller
Klarheit, und. da die mithandelnden Personen fast immer selbst citirt werden,
um als Zeugen über ihr Thun und Lassen Rechenschaft abzulegen, mit drama¬
tischer Anschaulichkeit dargelegt. Wir können natürlich nicht dem Verfasser durch
die ganze Fülle des neu hinzugekommenen Stoffes folgen und müssen uns be¬
gnügen, die Partieen, die vorzugsweise bereichert sind, anzugeben und Ein¬
zelnes zu näherer Besprechung hervorzuheben.

Indem wir Alles das übergehen, was sich auf den Abschluß des bereits
von Sybel so gründlich dargestellten baseler Friedens, so wie auf Preußens
vergebliche Versuche, denselben wo möglich mit Rettung des linken Rheinufers
zum Reichsfrieden weiter zu bilden, bezieht, können wir doch nicht umhin, eine
merkwürdige Denkschrift Hardenbergs, des Staatsmannes, dessen Name am
engsten mit dem verhängnißvollen Frieden verknüpft ist, zu erwähnen. Die
Denkschrift, nicht lange nach dem Frieden verfaßt, schildert die Haltung der
Franzosen sowohl in der Grenzfrage, wie in Betreff der Demarcationslinie. Sie
findet die Situation Preußens nach dem Allen äußerst kritisch und bedenklich,
beklagt es, daß der Krieg, einmal angefangen, nicht mit Eintracht und Nach-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115927/412>, abgerufen am 15.01.2025.