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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band.

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als ein beharrendes Residuum sich aus der Flucht der Zeit ausscheidet und
einen .Gehalt in sich trägt, der ihm unabhängig von den Bedingungen zufälli¬
ger Zeitumstände an sich eine Bedeutung sichert. Und so kann in der Kunst
von historischer Auffassung und Gestaltung nur da die Rede sein, wo des
Künstlers Blick über die wirkliche ihn umgebende Welt hinaus auf ein Ideal
gerichtet ist, zu dessen Verwirklichung er sich der Vorbilder der wirklichen Na¬
tur als einer Sprache bedient, deren Reichthum er mit schöpferischer Freiheit
handhabt, um so jenes Ideal zum thatsächlichen, adäquaten Ausdruck und da¬
mit zu wahrhafter, unvergänglicher Existenz "und Bedeutung zu bringen.

Die historische Landschaft ist so alt. als die Landschaftsmalerei über¬
haupt; denn auch in diesem Zweige der Kunst ging die historische, oder --
was wesentlich dasselbe ist -- die stilvolle Darstellung voran, die genrehafte folgte.
Tizian. Dominichin, die Caracci und die Poussin, auch Claude und von den
Niederländern vor Allem Rubens gehören der historischen Landschaft an, und
ebenso war es diese, welche mit Koch und Reinhardt den neuen Aufschwung
bezeichnet, den die Landschaftsmalerei gegen Ende des vorigen Jahrhunderts im
Zusammenhange mit dem Aufblühn der gesammten neueren Kunst nahm. Es
kann hier nicht näher dargelegt werden, welcher Fortschritt sich innerhalb dieser
Reihe vollzieht und wie Preller sich zu ihnen verhält, und so müssen wir uns
auf einige Andeutungen beschränken. Jede stilvolle Darstellung steigert ihren
Gegenstand, indem sie seine individuelle Bestimmtheit mindert und steht somit
in Gefahr, ins Allgemeine zu gerathen. Diese Gefahr ist von den alten
Meistern der Landschaft nicht völlig vermieden worden; die Folgezeit verfiel
ihr ganz und gerieth, besonders was die Vegetationsformen anlangt, in einen
Schematismus, dem zuletzt nicht blos alle Individualität, sondern auch das
Leben fehlte, was jene netteren nie vermissen lassen. Erst Koch und Reinhardt
haben hier wieder den rechten Weg gewiesen, auf welchem auch über die älte¬
ren Meister hinausgegangen werden mußte, und sehr bald ward eine Fertigkeit
in Nachbildung der individuellen Naturformen erreicht, die oft selbst dem
Auge des Geologen und Botanikers nichts zu wünschen übrig läßt. Aber
zumeist ging über dieser größeren Annäherung an die Natur der Stil ver-
loren; nur wenig kräftige Geister haben sich diejenige Freiheit der Natur
gegenüber bewahrt, ohne welche historische Kunst ein für alle Mal undenkbar
ist. Unter ihnen steht Preller gegenwärtig obenan. Wenn es ihm Keiner zuvor
oder auch nur gleich thut an Kraft und Energie der Erfindung, an Gründlich¬
keit der künstlerischen Durchbildung, so braucht er auch in Bezug auf Kenntniß
und Verständniß der Natur den Vergleich mit Keinem zu scheuen. Sein Werk
ist nicht nur für unsere Landschaftsmalerei von der eminentester Bedeu¬
tung, welcher es ihre höchsten Ziele mit großartiger Energie vor die Augen
rückt; es ist auch in unserer ganzen gegenwärtigen Kunst eine wahre Erquickung.


als ein beharrendes Residuum sich aus der Flucht der Zeit ausscheidet und
einen .Gehalt in sich trägt, der ihm unabhängig von den Bedingungen zufälli¬
ger Zeitumstände an sich eine Bedeutung sichert. Und so kann in der Kunst
von historischer Auffassung und Gestaltung nur da die Rede sein, wo des
Künstlers Blick über die wirkliche ihn umgebende Welt hinaus auf ein Ideal
gerichtet ist, zu dessen Verwirklichung er sich der Vorbilder der wirklichen Na¬
tur als einer Sprache bedient, deren Reichthum er mit schöpferischer Freiheit
handhabt, um so jenes Ideal zum thatsächlichen, adäquaten Ausdruck und da¬
mit zu wahrhafter, unvergänglicher Existenz »und Bedeutung zu bringen.

Die historische Landschaft ist so alt. als die Landschaftsmalerei über¬
haupt; denn auch in diesem Zweige der Kunst ging die historische, oder —
was wesentlich dasselbe ist — die stilvolle Darstellung voran, die genrehafte folgte.
Tizian. Dominichin, die Caracci und die Poussin, auch Claude und von den
Niederländern vor Allem Rubens gehören der historischen Landschaft an, und
ebenso war es diese, welche mit Koch und Reinhardt den neuen Aufschwung
bezeichnet, den die Landschaftsmalerei gegen Ende des vorigen Jahrhunderts im
Zusammenhange mit dem Aufblühn der gesammten neueren Kunst nahm. Es
kann hier nicht näher dargelegt werden, welcher Fortschritt sich innerhalb dieser
Reihe vollzieht und wie Preller sich zu ihnen verhält, und so müssen wir uns
auf einige Andeutungen beschränken. Jede stilvolle Darstellung steigert ihren
Gegenstand, indem sie seine individuelle Bestimmtheit mindert und steht somit
in Gefahr, ins Allgemeine zu gerathen. Diese Gefahr ist von den alten
Meistern der Landschaft nicht völlig vermieden worden; die Folgezeit verfiel
ihr ganz und gerieth, besonders was die Vegetationsformen anlangt, in einen
Schematismus, dem zuletzt nicht blos alle Individualität, sondern auch das
Leben fehlte, was jene netteren nie vermissen lassen. Erst Koch und Reinhardt
haben hier wieder den rechten Weg gewiesen, auf welchem auch über die älte¬
ren Meister hinausgegangen werden mußte, und sehr bald ward eine Fertigkeit
in Nachbildung der individuellen Naturformen erreicht, die oft selbst dem
Auge des Geologen und Botanikers nichts zu wünschen übrig läßt. Aber
zumeist ging über dieser größeren Annäherung an die Natur der Stil ver-
loren; nur wenig kräftige Geister haben sich diejenige Freiheit der Natur
gegenüber bewahrt, ohne welche historische Kunst ein für alle Mal undenkbar
ist. Unter ihnen steht Preller gegenwärtig obenan. Wenn es ihm Keiner zuvor
oder auch nur gleich thut an Kraft und Energie der Erfindung, an Gründlich¬
keit der künstlerischen Durchbildung, so braucht er auch in Bezug auf Kenntniß
und Verständniß der Natur den Vergleich mit Keinem zu scheuen. Sein Werk
ist nicht nur für unsere Landschaftsmalerei von der eminentester Bedeu¬
tung, welcher es ihre höchsten Ziele mit großartiger Energie vor die Augen
rückt; es ist auch in unserer ganzen gegenwärtigen Kunst eine wahre Erquickung.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115927/400>, abgerufen am 15.01.2025.