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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band.

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Verständnisse der Naturformen, den wir dem Einzelnen infolge dessen eben
nicht hoch anrechnen können; und wenn Preller auch in diesem Punkte sich den
meisten Landschaftsmalern der Gegenwart und Vergangenheit überlegen zeigt,
so ist dies allerdings ein höchst achtungswerther Vorzug, aber ein solcher, der
ihn noch bei Weitem zu dem großen Künstler nicht stempeln würde, der er in
der That ist. Hier kommt vielmehr eine andere und höhere Naturwahrheit in
Betracht, die ich zunächst als die Existenz und Lebensfähigkeit seiner Erfindungen
bezeichnen möchte. Diese höchst wichtigen, viel öfter phrasenhaft angewendeten
als wirklich verstandenen Begriffe näher zu erörtern, ist hier die Stelle nicht,
und so muß es denn mit einigen Andeutungen sein Bewenden haben. Die
Formen der Natur sind or Wesentlichen, wenn dieser Vergleich erlaubt ist,
getriebene Arbeit; sie werden nicht einem gestaltlosen Stoffe von außen aus¬
geprägt, wie etwa der Thon durch den Bildhauer Gestalt erhält; sondern sie
wachsen von innen nach außen, sie verdanken ihre Entstehung einem Leben¬
digen, das im Stoss eingeschlossen, denselben durch seine Lebensbewegung nach
außen formt und gestaltet. Dies ist nicht blos bei dem einzelnen Naturwesen
der Fall, es ist vielmehr ein Proceß, der gemeinsam die ganze Natur umsaßt,
vor Allem aber und am sichtbarsten diejenigen Theile, welche wir unter dem
Gesichtspunkt der Landschaft zu begreisen Pflegen, also Erde ("Terrain"), Vege¬
tation, Wasser und Atmosphäre. Mag man nun den Zusammenhang der
hierunter zusammengefaßten Theile als einen rein mechanisch-physikalischen, von
mathematischer Nothwendigkeit beherrschten auffassen, oder mag man, wie ich
glaube, daß man es thun muß, schon hier ein Walten freier oder spontaner
Kräfte annehmen: jedenfalls können diese Theile nur als ein zusammenhangen¬
des Ganze begriffen werden; sie sind in ihrer Eigenthümlichkeit gegenseitig
durcheinander bedingt, die Kräfte des einen theilen sich, wenn auch unter
andrer Form, dem andern mit, und isolirt verliert jeder einzelne seine Basis,
seine Voraussetzung. Dies ist es, was wir darunter zu verstehen haben, wenn
man auch die landschaftliche Natur einen lebendigen Organismus nennt. Nicht
überall in der Wirklichkeit tritt dieser Organismus, der doch überall thatsächlich
vorhanden ist, auch in die Erscheinung; aber vom Künstler verlangen wir,
daß er seinen Schöpfungen immer und überall den Schein davon aufpräge, und
nicht anders werden wir sein Werk ein vollendetes nennen können, als wenn
es bis in das letzte Detail in diesem Sinne durchgebildet ist; nur dann hat
es. was die Voraussetzung alles Kunstwerkes ist: Leben; denn der Organismus
ist der Ausdruck oder die Form des Lebens. Diese Forderung, welche gar
Vielen unserer heutigen Maler über der Sorge um einige Licht- und Farben¬
effecte gar nicht zu Bewußtsein kommt, befriedigen die prellcrschen Bilder in
eminenter Weise. Da ist nicht eine Landschaft, die nicht vom Vorder- bis in
den Hintergrund im Zusammenhange gedacht wäre, nicht eine, in der man


Verständnisse der Naturformen, den wir dem Einzelnen infolge dessen eben
nicht hoch anrechnen können; und wenn Preller auch in diesem Punkte sich den
meisten Landschaftsmalern der Gegenwart und Vergangenheit überlegen zeigt,
so ist dies allerdings ein höchst achtungswerther Vorzug, aber ein solcher, der
ihn noch bei Weitem zu dem großen Künstler nicht stempeln würde, der er in
der That ist. Hier kommt vielmehr eine andere und höhere Naturwahrheit in
Betracht, die ich zunächst als die Existenz und Lebensfähigkeit seiner Erfindungen
bezeichnen möchte. Diese höchst wichtigen, viel öfter phrasenhaft angewendeten
als wirklich verstandenen Begriffe näher zu erörtern, ist hier die Stelle nicht,
und so muß es denn mit einigen Andeutungen sein Bewenden haben. Die
Formen der Natur sind or Wesentlichen, wenn dieser Vergleich erlaubt ist,
getriebene Arbeit; sie werden nicht einem gestaltlosen Stoffe von außen aus¬
geprägt, wie etwa der Thon durch den Bildhauer Gestalt erhält; sondern sie
wachsen von innen nach außen, sie verdanken ihre Entstehung einem Leben¬
digen, das im Stoss eingeschlossen, denselben durch seine Lebensbewegung nach
außen formt und gestaltet. Dies ist nicht blos bei dem einzelnen Naturwesen
der Fall, es ist vielmehr ein Proceß, der gemeinsam die ganze Natur umsaßt,
vor Allem aber und am sichtbarsten diejenigen Theile, welche wir unter dem
Gesichtspunkt der Landschaft zu begreisen Pflegen, also Erde („Terrain"), Vege¬
tation, Wasser und Atmosphäre. Mag man nun den Zusammenhang der
hierunter zusammengefaßten Theile als einen rein mechanisch-physikalischen, von
mathematischer Nothwendigkeit beherrschten auffassen, oder mag man, wie ich
glaube, daß man es thun muß, schon hier ein Walten freier oder spontaner
Kräfte annehmen: jedenfalls können diese Theile nur als ein zusammenhangen¬
des Ganze begriffen werden; sie sind in ihrer Eigenthümlichkeit gegenseitig
durcheinander bedingt, die Kräfte des einen theilen sich, wenn auch unter
andrer Form, dem andern mit, und isolirt verliert jeder einzelne seine Basis,
seine Voraussetzung. Dies ist es, was wir darunter zu verstehen haben, wenn
man auch die landschaftliche Natur einen lebendigen Organismus nennt. Nicht
überall in der Wirklichkeit tritt dieser Organismus, der doch überall thatsächlich
vorhanden ist, auch in die Erscheinung; aber vom Künstler verlangen wir,
daß er seinen Schöpfungen immer und überall den Schein davon aufpräge, und
nicht anders werden wir sein Werk ein vollendetes nennen können, als wenn
es bis in das letzte Detail in diesem Sinne durchgebildet ist; nur dann hat
es. was die Voraussetzung alles Kunstwerkes ist: Leben; denn der Organismus
ist der Ausdruck oder die Form des Lebens. Diese Forderung, welche gar
Vielen unserer heutigen Maler über der Sorge um einige Licht- und Farben¬
effecte gar nicht zu Bewußtsein kommt, befriedigen die prellcrschen Bilder in
eminenter Weise. Da ist nicht eine Landschaft, die nicht vom Vorder- bis in
den Hintergrund im Zusammenhange gedacht wäre, nicht eine, in der man


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115927/398>, abgerufen am 15.01.2025.