Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band.gewachsen zeigt, ruht an sich und zunächst gewiß auf dem.Talent; allein er wäre doch Weit wichtiger indessen und bedeutungsvoller ist der andere der beiden an¬ gewachsen zeigt, ruht an sich und zunächst gewiß auf dem.Talent; allein er wäre doch Weit wichtiger indessen und bedeutungsvoller ist der andere der beiden an¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0397" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/116325"/> <p xml:id="ID_1339" prev="#ID_1338"> gewachsen zeigt, ruht an sich und zunächst gewiß auf dem.Talent; allein er wäre doch<lb/> undenkbar ohne die allseitige künstlerische Durchbildung, welche uns in diesen<lb/> Bildern auf Schritt und Tritt begegnet, ohne die Bildung des Geschmacks,<lb/> welche das Charakteristische zum Schönen steigert und ohne,die tief eindringende<lb/> Kenntniß der Natur, die völlig beherrschende Fertigkeit in Darstellung und Ver¬<lb/> wendung ihrer Formen, welche die Intention zum fertigen, überzeugenden Aus¬<lb/> druck und so zu einer Vollendung im höhern Sinne kommen läßt. Wenn von<lb/> Geschmack die Rede ist, soweit er dem producirenden Künstler zu- oder abgespro¬<lb/> chen werden soll, soweit er vor Allem in dem fertigen Kunstwerke vermißt<lb/> wird oder zu Tage tritt, so pflegt wenigstens der Sprachgebrauch der Künstler<lb/> nichts Anderes darunter zu verstehen als das zur Fertigkeit gebildete Vermögen<lb/> der Entfernung alles formell Anstößigen, aller störenden, das Auge beleidigen¬<lb/> den Linien- und Farbenbegegnungen, aller augenfällig irrationalen Verhältnisse<lb/> und was dergleichen Dinge mehr sind. Sie Pflegen vom Laien als solche<lb/> übersehen und nur unbewußt in ihren Wirkungen empfunden zu werden; ja<lb/> nicht selten lächelt man wohl über den Künstler, der um solcher „Kleinigkeiten"<lb/> willen große Aenderungen in seinen Werken vorzunehmen nicht verschmäht.<lb/> Wer aber die höchsten Werke der Kunst etwas genauer angesehen und etwas<lb/> tiefer hineingeblickt hat in die Werkstätte der Kunst, der wird sein Lächeln sür<lb/> den sparen, welcher diese Kleinigkeiten gering achtet; denn er ist gewahr geworden,<lb/> daß ihre Entfernung nicht selten erst den Künstler auf die rechte, klare Spur<lb/> des Bedeutenden bringt, und daß ihre Abwesenheit nicht am wenigsten es ist.<lb/> die uns vor dem Kunstwerk ein rein harmonisches Behagen empfinden läßt<lb/> und das Gefühl gibt, daß es nicht nur beendet, sondern vollendet sei. Wer<lb/> sich die Mühe nimmt, die prellcrschen Bilder nach dieser Richtung sorgfältig<lb/> zu betrachten, wird auch in dieser Beziehung durchgängige Harmonie und<lb/> Schönheit finden und bei aller Schärfe der Charakteristik nirgends das Eben¬<lb/> maß anmuthiger Schönheit vermissen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1340" next="#ID_1341"> Weit wichtiger indessen und bedeutungsvoller ist der andere der beiden an¬<lb/> gedeuteten Gesichtspunkte, welcher das Verhältniß zur Natur betrifft. Ich habe<lb/> schon Eingangs bemerkt, daß in der Gegenwart ein gewisser Blick sür den<lb/> Charakter der Detailformen in der Natur und somit eine gewisse Fertigkeit in<lb/> ihrer charakteristischen Wiedergabe beinahe allgemein verbreitet sind. Ein einiger¬<lb/> maßen geübter Dilettant weiß heute den Charakter z. B. unserer Baumarten<lb/> besser wiederzugeben als selbst geschickte Künstler des Roccoco, ja viele unter<lb/> den großen älteren Meistern. Allein dies will an sich eben nicht mehr bedeuten,<lb/> als wenn jeder gute Schüler eines akademischen Actsaales oder Ateliers heute<lb/> in seinen Figuren anatomische Unrichtigkeiten vermeidet, welche sich bei den<lb/> größten der Altflorentiner finden. Es zeigt sich darin ein Fortschritt der Zeit<lb/> im Allgemeinen, in dem nicht blos künstlerischen, sondern auch wissenschaftlichen</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0397]
gewachsen zeigt, ruht an sich und zunächst gewiß auf dem.Talent; allein er wäre doch
undenkbar ohne die allseitige künstlerische Durchbildung, welche uns in diesen
Bildern auf Schritt und Tritt begegnet, ohne die Bildung des Geschmacks,
welche das Charakteristische zum Schönen steigert und ohne,die tief eindringende
Kenntniß der Natur, die völlig beherrschende Fertigkeit in Darstellung und Ver¬
wendung ihrer Formen, welche die Intention zum fertigen, überzeugenden Aus¬
druck und so zu einer Vollendung im höhern Sinne kommen läßt. Wenn von
Geschmack die Rede ist, soweit er dem producirenden Künstler zu- oder abgespro¬
chen werden soll, soweit er vor Allem in dem fertigen Kunstwerke vermißt
wird oder zu Tage tritt, so pflegt wenigstens der Sprachgebrauch der Künstler
nichts Anderes darunter zu verstehen als das zur Fertigkeit gebildete Vermögen
der Entfernung alles formell Anstößigen, aller störenden, das Auge beleidigen¬
den Linien- und Farbenbegegnungen, aller augenfällig irrationalen Verhältnisse
und was dergleichen Dinge mehr sind. Sie Pflegen vom Laien als solche
übersehen und nur unbewußt in ihren Wirkungen empfunden zu werden; ja
nicht selten lächelt man wohl über den Künstler, der um solcher „Kleinigkeiten"
willen große Aenderungen in seinen Werken vorzunehmen nicht verschmäht.
Wer aber die höchsten Werke der Kunst etwas genauer angesehen und etwas
tiefer hineingeblickt hat in die Werkstätte der Kunst, der wird sein Lächeln sür
den sparen, welcher diese Kleinigkeiten gering achtet; denn er ist gewahr geworden,
daß ihre Entfernung nicht selten erst den Künstler auf die rechte, klare Spur
des Bedeutenden bringt, und daß ihre Abwesenheit nicht am wenigsten es ist.
die uns vor dem Kunstwerk ein rein harmonisches Behagen empfinden läßt
und das Gefühl gibt, daß es nicht nur beendet, sondern vollendet sei. Wer
sich die Mühe nimmt, die prellcrschen Bilder nach dieser Richtung sorgfältig
zu betrachten, wird auch in dieser Beziehung durchgängige Harmonie und
Schönheit finden und bei aller Schärfe der Charakteristik nirgends das Eben¬
maß anmuthiger Schönheit vermissen.
Weit wichtiger indessen und bedeutungsvoller ist der andere der beiden an¬
gedeuteten Gesichtspunkte, welcher das Verhältniß zur Natur betrifft. Ich habe
schon Eingangs bemerkt, daß in der Gegenwart ein gewisser Blick sür den
Charakter der Detailformen in der Natur und somit eine gewisse Fertigkeit in
ihrer charakteristischen Wiedergabe beinahe allgemein verbreitet sind. Ein einiger¬
maßen geübter Dilettant weiß heute den Charakter z. B. unserer Baumarten
besser wiederzugeben als selbst geschickte Künstler des Roccoco, ja viele unter
den großen älteren Meistern. Allein dies will an sich eben nicht mehr bedeuten,
als wenn jeder gute Schüler eines akademischen Actsaales oder Ateliers heute
in seinen Figuren anatomische Unrichtigkeiten vermeidet, welche sich bei den
größten der Altflorentiner finden. Es zeigt sich darin ein Fortschritt der Zeit
im Allgemeinen, in dem nicht blos künstlerischen, sondern auch wissenschaftlichen
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