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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band.

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Kiele des einen steht Odysseus und ruft mit Hohn dem Polyphem die bekannten,
für ihn so verhängnißvollen Worte zu. Im Mittelgrunde nun erheben sich in
nahrhaft unheimlicher Großartigkeit die gewaltigen Massen vulkanischer Gebirge,
aus denen, ein echter Sohn des rohen Felsen, die drohende Machtgestalt des
Kyklopen sich erhebt, der in furchtbarem Schwunge den Felsblock nach den
Griechen zu schleudern im Begriff ist. In dem Hintergrund verlieren sich in
gleichem Charakter die Gebirge, während über der See drohende Wolkenmassen
herauftauchen und im Verein mit der ganzen Lichtvertheilung die unheimliche
Stimmung vollenden. Es ist unmöglich, diesen Moment sprechender gebildet zu
denken als er hier gestaltet ist, und es bleibt ein nur für die Empfindung lösbares
Problem, wie der Künstler es vermocht hat, das Ganze so in Eins zu denken, daß
wir in den Gebirgen nur die selsgewordene Kyklopennatur, in dem Kyklopen nur
einen lebendig gewordenen Felsen der Erde, auf der er haust, zu erblicken meinen.

Die drei folgenden Bilder gehören der Kirkeepisode an. Das erste
(5), wo Odysseus einsam durch die Insel streift, um zu erspähen, wohin
er mit den Gefährten verschlagen ist, und auf dem Heimweg ein Wild er¬
legt, dem leidigen Hunger zur Abwehr, tritt mit seiner mehr wilden, an das
Nordische streifende" Natur in sprechenden Gegensatz zu den folgenden, nament¬
lich zu sieben (dem zweiten Hauptbild), wo in den Gästen der Kirke sich die
ganze Pracht und fast unheimliche Ueppigkeit südlicher Vegetation entfaltet.
Es kann nicht fehlen, daß hier erst die Farbe den zauberisch unheimlichen Cha¬
rakter, der all dem Reiz denn doch nicht fehlen darf, zum vollen Ausdruck
bringen muß, während das achte Bild, die Unterwelt, bereits im Carton in
ganzer Vollendung uns entgegentritt. Das kühne Unternehmen, des Hades dunkle
Behausung aus der unbestimmten Formlosigkeit, in welcher sie jedem vorschwebt,
zu bestimmter Gestaltung herauszubilden, ist hier mit einer sich selbst rechtfertigen¬
den Kraft der Phantasie gelöst, und man kann den Wunsch^nicht unterdrücken,
dem Manne, der das geschaffen, möge es gefallen, uns einmal die Landschaft
der danteschen Hölle zu malen. Die Sirenen (9) konnte der Künstler und
gewiß mit Recht sich nicht entschließen als die häßlichen Zwitterwesen zu bil¬
den, die wir dem Dichter als ein Hilfsmittel der Charakteristik hingehen lassen,
während der Maier den Ausdruck des tückisch Drohenden, das hinter der locken--
den Jungfrau lauert, in Form und Stimmung seiner Landschaft verlegen
konnte und mit großer Meisterschaft verlegt hat. Die ganze Gewalt großartig
Phantastischer Felsenbildungen in Verbindung mit einer höchst erregten See-
und Himmelgestaltung sehen wir im folgenden Hauptbilde (10) aufgeboten, wo
es galt, den verhängnißvollsten Moment aus dem Schicksal der Abenteurer,
die Tödtung der Heliosrinder auf Thrinakia darzustellen; die gesammte Land¬
schaftsmalerei wird sehr wenig Erfindungen aufzuweisen haben, die in gleich
hohem Grade den Eindruck zugleich des Ueberraschenden und Uebcrzeugenden


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Kiele des einen steht Odysseus und ruft mit Hohn dem Polyphem die bekannten,
für ihn so verhängnißvollen Worte zu. Im Mittelgrunde nun erheben sich in
nahrhaft unheimlicher Großartigkeit die gewaltigen Massen vulkanischer Gebirge,
aus denen, ein echter Sohn des rohen Felsen, die drohende Machtgestalt des
Kyklopen sich erhebt, der in furchtbarem Schwunge den Felsblock nach den
Griechen zu schleudern im Begriff ist. In dem Hintergrund verlieren sich in
gleichem Charakter die Gebirge, während über der See drohende Wolkenmassen
herauftauchen und im Verein mit der ganzen Lichtvertheilung die unheimliche
Stimmung vollenden. Es ist unmöglich, diesen Moment sprechender gebildet zu
denken als er hier gestaltet ist, und es bleibt ein nur für die Empfindung lösbares
Problem, wie der Künstler es vermocht hat, das Ganze so in Eins zu denken, daß
wir in den Gebirgen nur die selsgewordene Kyklopennatur, in dem Kyklopen nur
einen lebendig gewordenen Felsen der Erde, auf der er haust, zu erblicken meinen.

Die drei folgenden Bilder gehören der Kirkeepisode an. Das erste
(5), wo Odysseus einsam durch die Insel streift, um zu erspähen, wohin
er mit den Gefährten verschlagen ist, und auf dem Heimweg ein Wild er¬
legt, dem leidigen Hunger zur Abwehr, tritt mit seiner mehr wilden, an das
Nordische streifende» Natur in sprechenden Gegensatz zu den folgenden, nament¬
lich zu sieben (dem zweiten Hauptbild), wo in den Gästen der Kirke sich die
ganze Pracht und fast unheimliche Ueppigkeit südlicher Vegetation entfaltet.
Es kann nicht fehlen, daß hier erst die Farbe den zauberisch unheimlichen Cha¬
rakter, der all dem Reiz denn doch nicht fehlen darf, zum vollen Ausdruck
bringen muß, während das achte Bild, die Unterwelt, bereits im Carton in
ganzer Vollendung uns entgegentritt. Das kühne Unternehmen, des Hades dunkle
Behausung aus der unbestimmten Formlosigkeit, in welcher sie jedem vorschwebt,
zu bestimmter Gestaltung herauszubilden, ist hier mit einer sich selbst rechtfertigen¬
den Kraft der Phantasie gelöst, und man kann den Wunsch^nicht unterdrücken,
dem Manne, der das geschaffen, möge es gefallen, uns einmal die Landschaft
der danteschen Hölle zu malen. Die Sirenen (9) konnte der Künstler und
gewiß mit Recht sich nicht entschließen als die häßlichen Zwitterwesen zu bil¬
den, die wir dem Dichter als ein Hilfsmittel der Charakteristik hingehen lassen,
während der Maier den Ausdruck des tückisch Drohenden, das hinter der locken--
den Jungfrau lauert, in Form und Stimmung seiner Landschaft verlegen
konnte und mit großer Meisterschaft verlegt hat. Die ganze Gewalt großartig
Phantastischer Felsenbildungen in Verbindung mit einer höchst erregten See-
und Himmelgestaltung sehen wir im folgenden Hauptbilde (10) aufgeboten, wo
es galt, den verhängnißvollsten Moment aus dem Schicksal der Abenteurer,
die Tödtung der Heliosrinder auf Thrinakia darzustellen; die gesammte Land¬
schaftsmalerei wird sehr wenig Erfindungen aufzuweisen haben, die in gleich
hohem Grade den Eindruck zugleich des Ueberraschenden und Uebcrzeugenden


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[0395] Kiele des einen steht Odysseus und ruft mit Hohn dem Polyphem die bekannten, für ihn so verhängnißvollen Worte zu. Im Mittelgrunde nun erheben sich in nahrhaft unheimlicher Großartigkeit die gewaltigen Massen vulkanischer Gebirge, aus denen, ein echter Sohn des rohen Felsen, die drohende Machtgestalt des Kyklopen sich erhebt, der in furchtbarem Schwunge den Felsblock nach den Griechen zu schleudern im Begriff ist. In dem Hintergrund verlieren sich in gleichem Charakter die Gebirge, während über der See drohende Wolkenmassen herauftauchen und im Verein mit der ganzen Lichtvertheilung die unheimliche Stimmung vollenden. Es ist unmöglich, diesen Moment sprechender gebildet zu denken als er hier gestaltet ist, und es bleibt ein nur für die Empfindung lösbares Problem, wie der Künstler es vermocht hat, das Ganze so in Eins zu denken, daß wir in den Gebirgen nur die selsgewordene Kyklopennatur, in dem Kyklopen nur einen lebendig gewordenen Felsen der Erde, auf der er haust, zu erblicken meinen. Die drei folgenden Bilder gehören der Kirkeepisode an. Das erste (5), wo Odysseus einsam durch die Insel streift, um zu erspähen, wohin er mit den Gefährten verschlagen ist, und auf dem Heimweg ein Wild er¬ legt, dem leidigen Hunger zur Abwehr, tritt mit seiner mehr wilden, an das Nordische streifende» Natur in sprechenden Gegensatz zu den folgenden, nament¬ lich zu sieben (dem zweiten Hauptbild), wo in den Gästen der Kirke sich die ganze Pracht und fast unheimliche Ueppigkeit südlicher Vegetation entfaltet. Es kann nicht fehlen, daß hier erst die Farbe den zauberisch unheimlichen Cha¬ rakter, der all dem Reiz denn doch nicht fehlen darf, zum vollen Ausdruck bringen muß, während das achte Bild, die Unterwelt, bereits im Carton in ganzer Vollendung uns entgegentritt. Das kühne Unternehmen, des Hades dunkle Behausung aus der unbestimmten Formlosigkeit, in welcher sie jedem vorschwebt, zu bestimmter Gestaltung herauszubilden, ist hier mit einer sich selbst rechtfertigen¬ den Kraft der Phantasie gelöst, und man kann den Wunsch^nicht unterdrücken, dem Manne, der das geschaffen, möge es gefallen, uns einmal die Landschaft der danteschen Hölle zu malen. Die Sirenen (9) konnte der Künstler und gewiß mit Recht sich nicht entschließen als die häßlichen Zwitterwesen zu bil¬ den, die wir dem Dichter als ein Hilfsmittel der Charakteristik hingehen lassen, während der Maier den Ausdruck des tückisch Drohenden, das hinter der locken-- den Jungfrau lauert, in Form und Stimmung seiner Landschaft verlegen konnte und mit großer Meisterschaft verlegt hat. Die ganze Gewalt großartig Phantastischer Felsenbildungen in Verbindung mit einer höchst erregten See- und Himmelgestaltung sehen wir im folgenden Hauptbilde (10) aufgeboten, wo es galt, den verhängnißvollsten Moment aus dem Schicksal der Abenteurer, die Tödtung der Heliosrinder auf Thrinakia darzustellen; die gesammte Land¬ schaftsmalerei wird sehr wenig Erfindungen aufzuweisen haben, die in gleich hohem Grade den Eindruck zugleich des Ueberraschenden und Uebcrzeugenden 49 *

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115927/395>, abgerufen am 15.01.2025.