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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band.

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sich aussprach, ist seitdem ins Stocken gerathen. Es wären eher Rückschritte
zu constatiren denn Fortschritte. Den grvßdeutschcn Bestrebungen kam dies
freilich wenig zu statten. Sie haben bis auf diesen Tag einen höchst precären
Erfolg in Schwaben gehabt, und das Reformproject hat, wie kritiklos es im
ersten Moment von mancher Seite ausgenommen wurde, ihnen nicht aufzuhelfen
vermocht. Dagegen hat jener Pessimismus, der gefährlichste Bundesgenosse
der antinationalen Sache, wieder schlimm um sich gegriffen. Man will nichts
von kleindeutschcn, nichts von großdeutschen Projecten wissen, und wenn auch
im Stillen die Fehde unter den Fractionen und Fractiönchen fortdauert, so ist
es nicht die nationale Sache, welche von diesem unfruchtbaren Treiben Gewinn
zick)t. Erst in den jüngsten Tagen haben die Schlag auf Schlag aus dem
Norden eintreffenden Nachrichten wieder belebend und erfrischend eingewirkt.
Nicht blos in der Hauptstadt, sondern in den verschiedensten Gegenden des
Landes haben die Sympathien für die Herzogtümer, welche bei uns immer
warm geblieben sind, sofort einen kräftigen Ausdruck gesunden. Die Bürger¬
versammlung, die am 20. d. in Stuttgart gehalten wurde, war seit längerer
Zeit, wenn man etwa den 18. October ausnimmt, wieder das erste Zeichen eines
allgemeinen politischen Interesses, und zum ersten Male wieder waren politische
Persönlichkeiten der verschiedenen liberalen Schattirungen, Altliberale und Demo¬
kraten, Klein- und Großdeutsche in Einem Saale beieinander. Wie weit sich
daran Hoffnungen auf eine erneute allgemeine Theilnahme an den vaterlän¬
dischen Angelegenheiten knüpfen lassen, hängt freilich ganz von dem fernern
Verlauf der Sache ab.

Auch in der Frage des Handelsvertrags hat die Agitation, welche sich zu
Anfang dieses Jahrs bemerklich machte, längst wieder der tiefsten Ruhe Platz
gemacht. Die Gründe sür und wider sind erschöpft, und fast mit, stumpfer
Gleichgültigkeit sah man den Münchner Conferenzen, und sieht man jetzt dem
Ergebniß der berliner Conferenzen entgegen. Das schrittweise Zurückweichen
der Vertragsgegner, welche in der That eine Position um die andere aufgegeben
haben, scheint nicht dafür zu sprechen, daß auf dieser Seite große Sieges¬
zuversicht herrscht. Wenn man sich erinnert, wie die Gegner ursprünglich über
jede einzelne Tarifposition jammerten und im Interesse der tödtlich bedrohten
Industrie den Vertrag für absolut unannehmbar erklärten, während sie jetzt den
Tarif völlig preisgegeben und sich auf den Widerspruch gegen Art. 31 zurück¬
gezogen haben, -- daß sie früher den Eintritt Gesammtöstreichs in den Zoll¬
verein verlangten, während dann ihre Forderung darauf zusammenschrumpfte,
daß die Verhandlung über die östreichischen Vorschläge gleichzeitig mit der über
Erneuerung des Zollvereins eröffnet werden solle: kann man nicht in Zweifel
darüber sein, auf welcher Seite schließlich vollends nachgegeben wird -- vor¬
ausgesetzt, daß überhaupt der Zollverein erhalten bleibt. Allein daß dieser


sich aussprach, ist seitdem ins Stocken gerathen. Es wären eher Rückschritte
zu constatiren denn Fortschritte. Den grvßdeutschcn Bestrebungen kam dies
freilich wenig zu statten. Sie haben bis auf diesen Tag einen höchst precären
Erfolg in Schwaben gehabt, und das Reformproject hat, wie kritiklos es im
ersten Moment von mancher Seite ausgenommen wurde, ihnen nicht aufzuhelfen
vermocht. Dagegen hat jener Pessimismus, der gefährlichste Bundesgenosse
der antinationalen Sache, wieder schlimm um sich gegriffen. Man will nichts
von kleindeutschcn, nichts von großdeutschen Projecten wissen, und wenn auch
im Stillen die Fehde unter den Fractionen und Fractiönchen fortdauert, so ist
es nicht die nationale Sache, welche von diesem unfruchtbaren Treiben Gewinn
zick)t. Erst in den jüngsten Tagen haben die Schlag auf Schlag aus dem
Norden eintreffenden Nachrichten wieder belebend und erfrischend eingewirkt.
Nicht blos in der Hauptstadt, sondern in den verschiedensten Gegenden des
Landes haben die Sympathien für die Herzogtümer, welche bei uns immer
warm geblieben sind, sofort einen kräftigen Ausdruck gesunden. Die Bürger¬
versammlung, die am 20. d. in Stuttgart gehalten wurde, war seit längerer
Zeit, wenn man etwa den 18. October ausnimmt, wieder das erste Zeichen eines
allgemeinen politischen Interesses, und zum ersten Male wieder waren politische
Persönlichkeiten der verschiedenen liberalen Schattirungen, Altliberale und Demo¬
kraten, Klein- und Großdeutsche in Einem Saale beieinander. Wie weit sich
daran Hoffnungen auf eine erneute allgemeine Theilnahme an den vaterlän¬
dischen Angelegenheiten knüpfen lassen, hängt freilich ganz von dem fernern
Verlauf der Sache ab.

Auch in der Frage des Handelsvertrags hat die Agitation, welche sich zu
Anfang dieses Jahrs bemerklich machte, längst wieder der tiefsten Ruhe Platz
gemacht. Die Gründe sür und wider sind erschöpft, und fast mit, stumpfer
Gleichgültigkeit sah man den Münchner Conferenzen, und sieht man jetzt dem
Ergebniß der berliner Conferenzen entgegen. Das schrittweise Zurückweichen
der Vertragsgegner, welche in der That eine Position um die andere aufgegeben
haben, scheint nicht dafür zu sprechen, daß auf dieser Seite große Sieges¬
zuversicht herrscht. Wenn man sich erinnert, wie die Gegner ursprünglich über
jede einzelne Tarifposition jammerten und im Interesse der tödtlich bedrohten
Industrie den Vertrag für absolut unannehmbar erklärten, während sie jetzt den
Tarif völlig preisgegeben und sich auf den Widerspruch gegen Art. 31 zurück¬
gezogen haben, — daß sie früher den Eintritt Gesammtöstreichs in den Zoll¬
verein verlangten, während dann ihre Forderung darauf zusammenschrumpfte,
daß die Verhandlung über die östreichischen Vorschläge gleichzeitig mit der über
Erneuerung des Zollvereins eröffnet werden solle: kann man nicht in Zweifel
darüber sein, auf welcher Seite schließlich vollends nachgegeben wird — vor¬
ausgesetzt, daß überhaupt der Zollverein erhalten bleibt. Allein daß dieser


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115927/373>, abgerufen am 15.01.2025.