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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band.

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ante nur eine "Codification des bestehenden Bundesrechts" sein sollte. Die
Codification des bestehenden Bundcsrechts! Also dafür der Jubel, die Ehren¬
pforten, die Illuminationen und dreifarbigen Fahnen! In der That die Partei,
die zur Betreibung einer Bundesreform im Sinne größerer Machtentfaltung
des Vaterlandes im vorigen Jahr die Refvrmvereine ins Leben gerufen hat,
ist in ihren Ansprüchen an die Einheit und Freiheit Deutschlands bescheiden,
sehr bescheiden geworden. Es ist gut davor zu warnen, daß diese Bescheiden-
heit nicht ansteckend wirke, daß nicht auch die Nationalpartei sich in eine Stel¬
lung drängen lasse, weiche mit ihren letzten Zwecken in Widerspruch steht. Die
Reformacte ist todt, damit hat auch die Nationalpartei ihr gegenüber heute eine
andere Stellung als vor vier Wochen.

Als der Abgeordnetentag zusammentrat, war die Reformactc ein Project
das, wenn auch das Verlangen der Annahme en bloc: bereits gestellt war,
doch immerhin materiell discutirbar war. Indem Oestreich den Fürstencongreß
unmittelbar vor der Eröffnung des Abgeordnetentags berief, hatte es ausdrück¬
lich auf das Urtheil des letzteren provocirt. Es war wenn auch wenig Hoff¬
nung, so doch immerhin die Möglichkeit vorhanden, daß die Fürsten, um ihr
Werk populär zu machen, der Kritik der Abgeordneten wenigstens einige Beach¬
tung schenken würden, gleichsam als einem Surrogat für das Votum eines Parla¬
ments, an dessen Berufung doch von Anfang an nicht gedacht werden konnte,
wie denn der Abgeordnetentag wirklich vorläufig die Bedeutung eines Surrogats
-für das Parlament hat.

Gegenüber einem solchen Project, über dessen definitive Gestaltung noch
nichts festgestellt war, war die Aufgabe des Abgeordnctcntags klar vorgezeichnet.
War die Frage der Reform an irgend einem Punkte, von wem immer, prak¬
tisch angefaßt, so kam es darauf an, den, der das Versprechen gegeben, beim
Wort zu halten, zugleich aber den Entwurf zu prüfen und eventuell im Sinn
der nationalen Bedürfnisse so zu emendiren, daß alles Schädliche entfernt und
ein wirklicher wenn auch zunächst noch kleiner Fortschritt im Interesse der Ein¬
heit und Freiheit darauf gebaut werden konnte. Die Nationalpartei ging
dabei in ihrer Selbstverläugnung bis an die Grenze des Möglichen. Sie er¬
kannte nicht nur die Initiative des östreichischen Kaisers als eine dankenswerthe
That an. sondern ihr Programm rcseroirend> erklärte sie auch durch das Organ
des Abgcordnctentags, daß sie unter den gegenwärtigen Umständen selbst den
Standpunkt des Directoriums eventuell und unter Bedingungen nicht ablehne.
Auf Dank Von Seite der bundestäglichen Parteien durfte sie dabei nicht rech¬
nen. Auch ihre Hoffnung, für ihr Entgegenkommen wenigstens noch Con¬
cessionen in der Freiheitsfrage zu erlangen, waren wohl gering. Hat sie solche
Hoffnungen überhaupt gehabt, so sind sie schnell genug zu Wasser geworden.
Und nicht blos ihre Bedingungen sind in keinem Punkte erfüllt worden, son-


ante nur eine „Codification des bestehenden Bundesrechts" sein sollte. Die
Codification des bestehenden Bundcsrechts! Also dafür der Jubel, die Ehren¬
pforten, die Illuminationen und dreifarbigen Fahnen! In der That die Partei,
die zur Betreibung einer Bundesreform im Sinne größerer Machtentfaltung
des Vaterlandes im vorigen Jahr die Refvrmvereine ins Leben gerufen hat,
ist in ihren Ansprüchen an die Einheit und Freiheit Deutschlands bescheiden,
sehr bescheiden geworden. Es ist gut davor zu warnen, daß diese Bescheiden-
heit nicht ansteckend wirke, daß nicht auch die Nationalpartei sich in eine Stel¬
lung drängen lasse, weiche mit ihren letzten Zwecken in Widerspruch steht. Die
Reformacte ist todt, damit hat auch die Nationalpartei ihr gegenüber heute eine
andere Stellung als vor vier Wochen.

Als der Abgeordnetentag zusammentrat, war die Reformactc ein Project
das, wenn auch das Verlangen der Annahme en bloc: bereits gestellt war,
doch immerhin materiell discutirbar war. Indem Oestreich den Fürstencongreß
unmittelbar vor der Eröffnung des Abgeordnetentags berief, hatte es ausdrück¬
lich auf das Urtheil des letzteren provocirt. Es war wenn auch wenig Hoff¬
nung, so doch immerhin die Möglichkeit vorhanden, daß die Fürsten, um ihr
Werk populär zu machen, der Kritik der Abgeordneten wenigstens einige Beach¬
tung schenken würden, gleichsam als einem Surrogat für das Votum eines Parla¬
ments, an dessen Berufung doch von Anfang an nicht gedacht werden konnte,
wie denn der Abgeordnetentag wirklich vorläufig die Bedeutung eines Surrogats
-für das Parlament hat.

Gegenüber einem solchen Project, über dessen definitive Gestaltung noch
nichts festgestellt war, war die Aufgabe des Abgeordnctcntags klar vorgezeichnet.
War die Frage der Reform an irgend einem Punkte, von wem immer, prak¬
tisch angefaßt, so kam es darauf an, den, der das Versprechen gegeben, beim
Wort zu halten, zugleich aber den Entwurf zu prüfen und eventuell im Sinn
der nationalen Bedürfnisse so zu emendiren, daß alles Schädliche entfernt und
ein wirklicher wenn auch zunächst noch kleiner Fortschritt im Interesse der Ein¬
heit und Freiheit darauf gebaut werden konnte. Die Nationalpartei ging
dabei in ihrer Selbstverläugnung bis an die Grenze des Möglichen. Sie er¬
kannte nicht nur die Initiative des östreichischen Kaisers als eine dankenswerthe
That an. sondern ihr Programm rcseroirend> erklärte sie auch durch das Organ
des Abgcordnctentags, daß sie unter den gegenwärtigen Umständen selbst den
Standpunkt des Directoriums eventuell und unter Bedingungen nicht ablehne.
Auf Dank Von Seite der bundestäglichen Parteien durfte sie dabei nicht rech¬
nen. Auch ihre Hoffnung, für ihr Entgegenkommen wenigstens noch Con¬
cessionen in der Freiheitsfrage zu erlangen, waren wohl gering. Hat sie solche
Hoffnungen überhaupt gehabt, so sind sie schnell genug zu Wasser geworden.
Und nicht blos ihre Bedingungen sind in keinem Punkte erfüllt worden, son-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115927/36>, abgerufen am 15.01.2025.