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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band.

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Anordnung ihrer Elemente alle Anforderungen des Zeitalters charakteristisch
aussprechen und zugleich dem Bau mit der Erscheinung structivcr Festigkeit das
Gepräge einer ausdrucksvollen und unser Wesen innig berührenden Schönheit
geben könne. Es fehlt uns der Raum, die sinnige Entwickelung des Plans
im Einzelnen zu verfolgen. Von den materiellen Bedingungen des Lebens bis
hinauf zu seinen höchsten Formen, in denen es zum ästhetischen Genuß frei
und harmonisch in sich vollendet ist, die auch demgemäß im Bau durch größe¬
ren Schwung und Reichthum bezeichnet sind, hat Alles seinen Raum gefunden:
Bergbau und Hüttenwerk, Handel und Gewerbe, die Naturwissenschaft, die
bildende und dramatische Kunst, die Musik, der gesellige Verkehr, die geistige
wie die körperliche Erziehung des neuen Geschlechtes; den Mittelpunkt bildet
mit richtigem Sinn für den Inhalt des modernen Ideals ein Pantheon als
Denkmal der Geschichte. Was die Durchführung der Formen anlangt, so zeugt
sie von ebensoviel Phantasie als Kenntniß. Nur wäre wohl ein einfacherer
und kräftigerer Abschluß der Dächer mehr im Einklang mit dem Charakter des
Baus und sollte der ringsumlaufende Gurt auch das Pantheon in seine zu¬
sammenfassende Kraft hereinziehen. -- Auch in dem Entwurf zu einer Kunst¬
halle von Ludwig Lange zeigt sich ein gebildeter Formensinn, der jene Bau¬
weise diesem Zweck schön angepaßt hat; der Zusammenhang der sonst großen
Treppenanlage mit den Zugängen ist im Plan nicht klar. Wie dieser Stil
selbst da, wo der Architekt dessen eigentliches Geheimniß, das reiche Leben der
Gliederung und das rythmische Verhältniß der Massen zu den Kräften nicht be¬
sitzt, durch eine geschickte Zusammenstellung seiner Formen noch immer eine an¬
sprechende Wirkung hervorbringt und unsere Zwecke auszudrücken vermag, da¬
für gaben die Pläne von A. Zenetti und H. Hügel ein bezeichnendes Bei¬
spiel. -- Mehr im Charakter der Spätrenaissance, mit der jedoch auch frühere
Formen schön verbunden sind, ist der Entwurf zu einem Theater in Rio Janeiro
von G. Semper, der schon in seinem dresdener Theater gezeigt hat, daß
diese Bauweise, so fortgebildet, für ein ganz modernes Bedürfniß wie ge¬
schaffen ist. Auch hier bewährt sich in dem prächtig gegliederten und durch¬
geführten Bau das kräftige Lebensgefühl des Meisters, seine reiche Phantasie
und gründliche Kenntniß; auch hier hat Semper mit hervorragender Meister¬
schaft und großartig gestaltenden Sinn die Formen der Renaissance frei und
schöpferisch in eine neue organische Verbindung zu bringen gewußt. Zugleich
ist das Leben des Baus durch die decorative Ausstattung, welche sich durch die
sinnvolle und vornehme Anwendung des figürlichen Ornaments auszeichnet, in
sehr wirksamer Weise erhöht. Soll auch hier die Kritik ihr Geschäft üben, so
ließe sich allenfalls hervorheben, daß im Oberbau das nackte Bedürfniß zu grell
heraustritt und die gedrückten dorischen Arkaden zu wenig dem Schwung des
Ganzen entsprechen.


Anordnung ihrer Elemente alle Anforderungen des Zeitalters charakteristisch
aussprechen und zugleich dem Bau mit der Erscheinung structivcr Festigkeit das
Gepräge einer ausdrucksvollen und unser Wesen innig berührenden Schönheit
geben könne. Es fehlt uns der Raum, die sinnige Entwickelung des Plans
im Einzelnen zu verfolgen. Von den materiellen Bedingungen des Lebens bis
hinauf zu seinen höchsten Formen, in denen es zum ästhetischen Genuß frei
und harmonisch in sich vollendet ist, die auch demgemäß im Bau durch größe¬
ren Schwung und Reichthum bezeichnet sind, hat Alles seinen Raum gefunden:
Bergbau und Hüttenwerk, Handel und Gewerbe, die Naturwissenschaft, die
bildende und dramatische Kunst, die Musik, der gesellige Verkehr, die geistige
wie die körperliche Erziehung des neuen Geschlechtes; den Mittelpunkt bildet
mit richtigem Sinn für den Inhalt des modernen Ideals ein Pantheon als
Denkmal der Geschichte. Was die Durchführung der Formen anlangt, so zeugt
sie von ebensoviel Phantasie als Kenntniß. Nur wäre wohl ein einfacherer
und kräftigerer Abschluß der Dächer mehr im Einklang mit dem Charakter des
Baus und sollte der ringsumlaufende Gurt auch das Pantheon in seine zu¬
sammenfassende Kraft hereinziehen. — Auch in dem Entwurf zu einer Kunst¬
halle von Ludwig Lange zeigt sich ein gebildeter Formensinn, der jene Bau¬
weise diesem Zweck schön angepaßt hat; der Zusammenhang der sonst großen
Treppenanlage mit den Zugängen ist im Plan nicht klar. Wie dieser Stil
selbst da, wo der Architekt dessen eigentliches Geheimniß, das reiche Leben der
Gliederung und das rythmische Verhältniß der Massen zu den Kräften nicht be¬
sitzt, durch eine geschickte Zusammenstellung seiner Formen noch immer eine an¬
sprechende Wirkung hervorbringt und unsere Zwecke auszudrücken vermag, da¬
für gaben die Pläne von A. Zenetti und H. Hügel ein bezeichnendes Bei¬
spiel. — Mehr im Charakter der Spätrenaissance, mit der jedoch auch frühere
Formen schön verbunden sind, ist der Entwurf zu einem Theater in Rio Janeiro
von G. Semper, der schon in seinem dresdener Theater gezeigt hat, daß
diese Bauweise, so fortgebildet, für ein ganz modernes Bedürfniß wie ge¬
schaffen ist. Auch hier bewährt sich in dem prächtig gegliederten und durch¬
geführten Bau das kräftige Lebensgefühl des Meisters, seine reiche Phantasie
und gründliche Kenntniß; auch hier hat Semper mit hervorragender Meister¬
schaft und großartig gestaltenden Sinn die Formen der Renaissance frei und
schöpferisch in eine neue organische Verbindung zu bringen gewußt. Zugleich
ist das Leben des Baus durch die decorative Ausstattung, welche sich durch die
sinnvolle und vornehme Anwendung des figürlichen Ornaments auszeichnet, in
sehr wirksamer Weise erhöht. Soll auch hier die Kritik ihr Geschäft üben, so
ließe sich allenfalls hervorheben, daß im Oberbau das nackte Bedürfniß zu grell
heraustritt und die gedrückten dorischen Arkaden zu wenig dem Schwung des
Ganzen entsprechen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115927/356>, abgerufen am 15.01.2025.