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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band.

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Es bedarf wohl kaum der Bemerkung, daß Vegas mit jenen malerischen
Talenten, von denen im zweiten Artikel die Rede war, viel Verwandtes hat.
Auch er will auf seinem Felde nur durch die Erscheinung wirken, in welcher
warm und ergreifend das innere Leben bis in die Haut, bis in die Finger¬
spitzen pulsirt und ganz der Ausdruck eigener Empfindung ist. Die Plastik
unserer Zeit ist insofern den umgekehrten Weg der Malerei gegangen, als
sie sich zu eng an die Regeln der überlieferten Muster gehalten und es darüber
zu einer selbständigen phantasievollen Anschauung nicht gebracht hat. Es ist
daher ein für ihre Fortbildung günstiger Rückschlag, wenn sie nun in die eigene
Empfindungsweise des Künstlers und Zeitalters einkehrt und zur Natur zurück¬
greift, um so von hier und von innen heraus die ideale Welt der Antike mit
dem Hauche unseres Geistes neu zu beleben. Dies steht nicht im Widerspruch
mit der früher gestellten Forderung, daß sich die Gegenwart an den großen
Epochen der Kunst zu bilden habe: denn nur so ist ja diese Bildung gemeint,
daß jene sich von dieser die Gesetze, die Bedingungen der Darstellung aneignen
lerne, eben um den Inhalt unseres Daseins zum Ausdruck zu bringen. Die¬
sen also, seine Anschauung des Lebens soll der Künstler nicht aufgeben, sondern
im Studium der alten Kunst läutern und in die gediegene Erscheinung eines
für alle Zeiten giltigen Lebens erheben lernen. Auch Begas wird diesen Weg
machen müssen, um zur Meisterschaft durchzuringen.

Die Stellung, welche die Gegenwart zur Architektur und ihren verschie¬
denen Seyler einnimmt, so wie die Weise, wie sie ihre heutige Aufgabe an die
geschichtliche Ueberlieferung anknüpfend lösen könne, ist schon in den Artikeln
über die Maximiliansstraße (Ur. 23. 24. 25. dieses Jahrgangs) berührt; wir
müssen hier darauf zurückkommen. Von Plänen in dem neuen Stile, mit
welchem nun die bayerische Hauptstadt die Welt beglückt und die Kunstgeschichte
bereichert hat, hatte sich nichts eingefunden, wenn man nicht etwa das fabel¬
hafte, in wirrer formloser Häufung aller möglichen Motive aus dem Nüch¬
ternen ins Phantastische taumelnde Lustschloß von Bern atz hierher rechnen
will. Die Neuerer.auf diesem Felde zählen nicht zu jenen aufstrebenden Talenten,
denen es mit der Kunst, als der Welt der schönen und ausdrucksvollen Erscheinung
Ernst ist. vielmehr stehen sie im Gegensatz zu diesen. Das Verhältniß hat sich
hier umgekehrt: die Idee einer neuen Stilbildung ging von der Münchener
Akademie aus und wurde von Architekten aufgenommen, denen es, wie wir in
jenen Artikeln gesehen, um die Kunst als solche wenig zu thun war, während
die künstlerisch gebildeten Baumeister, wie die Semper und Hansen, die leben¬
dige Fortentwicklung des uns überlieferten Stils betreiben, der unsern Be¬
dürfnissen am' leichtesten sich fügt und aus der Vergangenheit seine noch kräf¬
tigen Wurzeln fruchtbar in die Gegenwart hinüberschlägt. Die Baukunst,
welche enger wie jede andere mit der ganzen Weltanschauung des Zeitalters,


Es bedarf wohl kaum der Bemerkung, daß Vegas mit jenen malerischen
Talenten, von denen im zweiten Artikel die Rede war, viel Verwandtes hat.
Auch er will auf seinem Felde nur durch die Erscheinung wirken, in welcher
warm und ergreifend das innere Leben bis in die Haut, bis in die Finger¬
spitzen pulsirt und ganz der Ausdruck eigener Empfindung ist. Die Plastik
unserer Zeit ist insofern den umgekehrten Weg der Malerei gegangen, als
sie sich zu eng an die Regeln der überlieferten Muster gehalten und es darüber
zu einer selbständigen phantasievollen Anschauung nicht gebracht hat. Es ist
daher ein für ihre Fortbildung günstiger Rückschlag, wenn sie nun in die eigene
Empfindungsweise des Künstlers und Zeitalters einkehrt und zur Natur zurück¬
greift, um so von hier und von innen heraus die ideale Welt der Antike mit
dem Hauche unseres Geistes neu zu beleben. Dies steht nicht im Widerspruch
mit der früher gestellten Forderung, daß sich die Gegenwart an den großen
Epochen der Kunst zu bilden habe: denn nur so ist ja diese Bildung gemeint,
daß jene sich von dieser die Gesetze, die Bedingungen der Darstellung aneignen
lerne, eben um den Inhalt unseres Daseins zum Ausdruck zu bringen. Die¬
sen also, seine Anschauung des Lebens soll der Künstler nicht aufgeben, sondern
im Studium der alten Kunst läutern und in die gediegene Erscheinung eines
für alle Zeiten giltigen Lebens erheben lernen. Auch Begas wird diesen Weg
machen müssen, um zur Meisterschaft durchzuringen.

Die Stellung, welche die Gegenwart zur Architektur und ihren verschie¬
denen Seyler einnimmt, so wie die Weise, wie sie ihre heutige Aufgabe an die
geschichtliche Ueberlieferung anknüpfend lösen könne, ist schon in den Artikeln
über die Maximiliansstraße (Ur. 23. 24. 25. dieses Jahrgangs) berührt; wir
müssen hier darauf zurückkommen. Von Plänen in dem neuen Stile, mit
welchem nun die bayerische Hauptstadt die Welt beglückt und die Kunstgeschichte
bereichert hat, hatte sich nichts eingefunden, wenn man nicht etwa das fabel¬
hafte, in wirrer formloser Häufung aller möglichen Motive aus dem Nüch¬
ternen ins Phantastische taumelnde Lustschloß von Bern atz hierher rechnen
will. Die Neuerer.auf diesem Felde zählen nicht zu jenen aufstrebenden Talenten,
denen es mit der Kunst, als der Welt der schönen und ausdrucksvollen Erscheinung
Ernst ist. vielmehr stehen sie im Gegensatz zu diesen. Das Verhältniß hat sich
hier umgekehrt: die Idee einer neuen Stilbildung ging von der Münchener
Akademie aus und wurde von Architekten aufgenommen, denen es, wie wir in
jenen Artikeln gesehen, um die Kunst als solche wenig zu thun war, während
die künstlerisch gebildeten Baumeister, wie die Semper und Hansen, die leben¬
dige Fortentwicklung des uns überlieferten Stils betreiben, der unsern Be¬
dürfnissen am' leichtesten sich fügt und aus der Vergangenheit seine noch kräf¬
tigen Wurzeln fruchtbar in die Gegenwart hinüberschlägt. Die Baukunst,
welche enger wie jede andere mit der ganzen Weltanschauung des Zeitalters,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115927/351>, abgerufen am 15.01.2025.