Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Sprüchen, in Angriff genommen; nie geahnte Erträge wurden durch sie gerade
dem ärmeren, leichteren Boden abgewonnen, und die Bräche konnte wegfallen.

Das hieß Feuer anblasen. Plötzlich waren die Landwirthe da, welche die
neuen Lehren aufnahmen und ausführten. -- Lehren, sage ich! Nein, es
war keine Lehre, bis dato lediglich ein Recept. Thue dies und das, sagte es,
so darfst du dieses und jenes erwarten. Reformatoren müssen zu dem Ver¬
ständniß ihrer Zeit sprechen. Fünfzig Jahre früher hätte ein Thaer schwerlich
das Gleiche erreicht, und als er nun kam, durfte er nicht mehr geben, als zur
Zeit verdaut werden konnte. Aber die Reformation war da. Aus den Worten
der Lehrer wurden greifbare Recepte, Thaten. Erfolge. Was sonst Jahrzehnte
brauchte, sich zu verbreiten, war bald in ganz Deutschland bekannt. Einer
kundschaftete vom Andern; was probirt war, ward nachgemacht und das Beste
war, daß jetzt jeder probirte.

Nehmen wir vorerst als Resultat der Reformation Klee- und Futterbau
auf dem Felde, Stallfütterung, Aufgeben der reinen Bräche, Kartoffelanbau
und Anwendung des Gypses als Düngemittel an, so erhellt, welchen unge¬
heuren Culturfortschritt diese wenigen Jahre schufen. "Dem Gypse und den
Kartoffeln." sagt Liebig, "verdankt die gegenwärtige Bevölkerung Europas ihre
Höhe, und es kann nicht der geringste Zweifel sein, daß die Einwohnerzahl
Europas 20--30 Millionen weniger betragen würde, wenn der Gyps nie in
Anwendung gekommen und die Kartoffeln nie eingeführt worden wären."




Herr v. Deichen und der Nationalverein.

Mecklenburg ist nun einmal das Land, wo die politischen Wunderdinge
nicht aussterben wollen, und sein dermaligcs feudal-büreaukratisches Staats¬
ministerium läßt sich so leicht keine Gelegenheit entgehen,' um die Abnormität
seiner Tendenzen der Welt von Neuem in Erinnerung zu bringen. So hat
denn auch der großherzoglich mecklenburg-schwerinsche Minister des Innern,
v. Oertzen, welcher zugleich Minister des Auswärtigen und Präsident des
Staatsministeriums ist, keinen passenderen Zeitpunkt aufzufinden vermocht, um
eine Verfolgung der mecklenburgischen Mitglieder des deutschen Nationalvereins
.in Scene zu setzen, als den Monat, in welchem ganz Deutschland die Jubel¬
feier der leipziger Schlacht beging. Vier Tage vor dem 18. October begann


42*

Sprüchen, in Angriff genommen; nie geahnte Erträge wurden durch sie gerade
dem ärmeren, leichteren Boden abgewonnen, und die Bräche konnte wegfallen.

Das hieß Feuer anblasen. Plötzlich waren die Landwirthe da, welche die
neuen Lehren aufnahmen und ausführten. — Lehren, sage ich! Nein, es
war keine Lehre, bis dato lediglich ein Recept. Thue dies und das, sagte es,
so darfst du dieses und jenes erwarten. Reformatoren müssen zu dem Ver¬
ständniß ihrer Zeit sprechen. Fünfzig Jahre früher hätte ein Thaer schwerlich
das Gleiche erreicht, und als er nun kam, durfte er nicht mehr geben, als zur
Zeit verdaut werden konnte. Aber die Reformation war da. Aus den Worten
der Lehrer wurden greifbare Recepte, Thaten. Erfolge. Was sonst Jahrzehnte
brauchte, sich zu verbreiten, war bald in ganz Deutschland bekannt. Einer
kundschaftete vom Andern; was probirt war, ward nachgemacht und das Beste
war, daß jetzt jeder probirte.

Nehmen wir vorerst als Resultat der Reformation Klee- und Futterbau
auf dem Felde, Stallfütterung, Aufgeben der reinen Bräche, Kartoffelanbau
und Anwendung des Gypses als Düngemittel an, so erhellt, welchen unge¬
heuren Culturfortschritt diese wenigen Jahre schufen. „Dem Gypse und den
Kartoffeln." sagt Liebig, „verdankt die gegenwärtige Bevölkerung Europas ihre
Höhe, und es kann nicht der geringste Zweifel sein, daß die Einwohnerzahl
Europas 20—30 Millionen weniger betragen würde, wenn der Gyps nie in
Anwendung gekommen und die Kartoffeln nie eingeführt worden wären."




Herr v. Deichen und der Nationalverein.

Mecklenburg ist nun einmal das Land, wo die politischen Wunderdinge
nicht aussterben wollen, und sein dermaligcs feudal-büreaukratisches Staats¬
ministerium läßt sich so leicht keine Gelegenheit entgehen,' um die Abnormität
seiner Tendenzen der Welt von Neuem in Erinnerung zu bringen. So hat
denn auch der großherzoglich mecklenburg-schwerinsche Minister des Innern,
v. Oertzen, welcher zugleich Minister des Auswärtigen und Präsident des
Staatsministeriums ist, keinen passenderen Zeitpunkt aufzufinden vermocht, um
eine Verfolgung der mecklenburgischen Mitglieder des deutschen Nationalvereins
.in Scene zu setzen, als den Monat, in welchem ganz Deutschland die Jubel¬
feier der leipziger Schlacht beging. Vier Tage vor dem 18. October begann


42*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0339" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/116267"/>
          <p xml:id="ID_1159" prev="#ID_1158"> Sprüchen, in Angriff genommen; nie geahnte Erträge wurden durch sie gerade<lb/>
dem ärmeren, leichteren Boden abgewonnen, und die Bräche konnte wegfallen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1160"> Das hieß Feuer anblasen. Plötzlich waren die Landwirthe da, welche die<lb/>
neuen Lehren aufnahmen und ausführten. &#x2014; Lehren, sage ich! Nein, es<lb/>
war keine Lehre, bis dato lediglich ein Recept. Thue dies und das, sagte es,<lb/>
so darfst du dieses und jenes erwarten. Reformatoren müssen zu dem Ver¬<lb/>
ständniß ihrer Zeit sprechen. Fünfzig Jahre früher hätte ein Thaer schwerlich<lb/>
das Gleiche erreicht, und als er nun kam, durfte er nicht mehr geben, als zur<lb/>
Zeit verdaut werden konnte. Aber die Reformation war da. Aus den Worten<lb/>
der Lehrer wurden greifbare Recepte, Thaten. Erfolge. Was sonst Jahrzehnte<lb/>
brauchte, sich zu verbreiten, war bald in ganz Deutschland bekannt. Einer<lb/>
kundschaftete vom Andern; was probirt war, ward nachgemacht und das Beste<lb/>
war, daß jetzt jeder probirte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1161"> Nehmen wir vorerst als Resultat der Reformation Klee- und Futterbau<lb/>
auf dem Felde, Stallfütterung, Aufgeben der reinen Bräche, Kartoffelanbau<lb/>
und Anwendung des Gypses als Düngemittel an, so erhellt, welchen unge¬<lb/>
heuren Culturfortschritt diese wenigen Jahre schufen. &#x201E;Dem Gypse und den<lb/>
Kartoffeln." sagt Liebig, &#x201E;verdankt die gegenwärtige Bevölkerung Europas ihre<lb/>
Höhe, und es kann nicht der geringste Zweifel sein, daß die Einwohnerzahl<lb/>
Europas 20&#x2014;30 Millionen weniger betragen würde, wenn der Gyps nie in<lb/>
Anwendung gekommen und die Kartoffeln nie eingeführt worden wären."</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Herr v. Deichen und der Nationalverein.</head><lb/>
          <p xml:id="ID_1162" next="#ID_1163"> Mecklenburg ist nun einmal das Land, wo die politischen Wunderdinge<lb/>
nicht aussterben wollen, und sein dermaligcs feudal-büreaukratisches Staats¬<lb/>
ministerium läßt sich so leicht keine Gelegenheit entgehen,' um die Abnormität<lb/>
seiner Tendenzen der Welt von Neuem in Erinnerung zu bringen. So hat<lb/>
denn auch der großherzoglich mecklenburg-schwerinsche Minister des Innern,<lb/>
v. Oertzen, welcher zugleich Minister des Auswärtigen und Präsident des<lb/>
Staatsministeriums ist, keinen passenderen Zeitpunkt aufzufinden vermocht, um<lb/>
eine Verfolgung der mecklenburgischen Mitglieder des deutschen Nationalvereins<lb/>
.in Scene zu setzen, als den Monat, in welchem ganz Deutschland die Jubel¬<lb/>
feier der leipziger Schlacht beging. Vier Tage vor dem 18. October begann</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> 42*</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0339] Sprüchen, in Angriff genommen; nie geahnte Erträge wurden durch sie gerade dem ärmeren, leichteren Boden abgewonnen, und die Bräche konnte wegfallen. Das hieß Feuer anblasen. Plötzlich waren die Landwirthe da, welche die neuen Lehren aufnahmen und ausführten. — Lehren, sage ich! Nein, es war keine Lehre, bis dato lediglich ein Recept. Thue dies und das, sagte es, so darfst du dieses und jenes erwarten. Reformatoren müssen zu dem Ver¬ ständniß ihrer Zeit sprechen. Fünfzig Jahre früher hätte ein Thaer schwerlich das Gleiche erreicht, und als er nun kam, durfte er nicht mehr geben, als zur Zeit verdaut werden konnte. Aber die Reformation war da. Aus den Worten der Lehrer wurden greifbare Recepte, Thaten. Erfolge. Was sonst Jahrzehnte brauchte, sich zu verbreiten, war bald in ganz Deutschland bekannt. Einer kundschaftete vom Andern; was probirt war, ward nachgemacht und das Beste war, daß jetzt jeder probirte. Nehmen wir vorerst als Resultat der Reformation Klee- und Futterbau auf dem Felde, Stallfütterung, Aufgeben der reinen Bräche, Kartoffelanbau und Anwendung des Gypses als Düngemittel an, so erhellt, welchen unge¬ heuren Culturfortschritt diese wenigen Jahre schufen. „Dem Gypse und den Kartoffeln." sagt Liebig, „verdankt die gegenwärtige Bevölkerung Europas ihre Höhe, und es kann nicht der geringste Zweifel sein, daß die Einwohnerzahl Europas 20—30 Millionen weniger betragen würde, wenn der Gyps nie in Anwendung gekommen und die Kartoffeln nie eingeführt worden wären." Herr v. Deichen und der Nationalverein. Mecklenburg ist nun einmal das Land, wo die politischen Wunderdinge nicht aussterben wollen, und sein dermaligcs feudal-büreaukratisches Staats¬ ministerium läßt sich so leicht keine Gelegenheit entgehen,' um die Abnormität seiner Tendenzen der Welt von Neuem in Erinnerung zu bringen. So hat denn auch der großherzoglich mecklenburg-schwerinsche Minister des Innern, v. Oertzen, welcher zugleich Minister des Auswärtigen und Präsident des Staatsministeriums ist, keinen passenderen Zeitpunkt aufzufinden vermocht, um eine Verfolgung der mecklenburgischen Mitglieder des deutschen Nationalvereins .in Scene zu setzen, als den Monat, in welchem ganz Deutschland die Jubel¬ feier der leipziger Schlacht beging. Vier Tage vor dem 18. October begann 42*

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115927
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115927/339
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115927/339>, abgerufen am 15.01.2025.