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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band.

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weniger Dünger verschleift, und einige Wiesen konnten gemäht und ihr Gras
zu Heu gemacht werden. Aber solcher bevorzugten Gegenden gab es nicht viele
in Deutschland! Im Allgemeinen war Noth auf dem Land und Elend und kein
Gedanke, es könne anders werden. Die Ernährung des Volks war eine unge¬
nügende, und 17S5 .lebten in Sachsen 2641 Menschen auf der Quadratmeile;
heute 7310 (Engel). Im deutschen Reich (1786) wohnten 2080 auf der Quadrat¬
meile, heute wahrscheinlich 4S00 (Kolb). Kurbrandenburg hatte 1786 nur
1880 Einwohner per Quadratmeile. Folgende Ausstellung ist von Engel; sie
beweist zugleich den Fortschritt der Landwirthschaft und was der bedeutet.

In Sachsen


Uebrigens bedarf Sachsen heute noch einer regelmäßigen Einfuhr von
Getreide*).

Im vorigen Jahrhundert war -- trotz der niederen Bevölkerungszahl --
Deutschland nur in gesegneten Jahren ohne Sorgen vor einer Hungersnoth.
"Die Theuerung von 1771 -- 72 raffte allein in Sachsen 130,000 Menschen
hin" (Röscher).

Es waren nicht ferner haltbare Zustände eingetreten. Alle Fortschritte in
Cultur, in den Künsten und Gewerben stehen still, wenn die Landwirthschaft
nicht voran schreitet. Wer sich des Alltäglichen entkleiden und die Tiefe des
Wissens erforschen soll, muh frei von Nahrungssorgen sein; ein Volk, das um
Brod jammert, wird schwerlich viele Poeten und Gelehrte von Bedeutung er¬
zeugen, und die Künste machen keinen Eindruck auf solche, die sich bekümmert
fragen, ob sie morgen zu essen haben werden. Wer hungert, hört wenig auf
den Segen des Priesters! Darum ist der glücklich zu preisen vor Allen und hoch
zu achten, dem es gelingt, zwei Scheffel Korn da zu ernten, wo früher nur
einer wuchs.

Die Landwirthschaft mußte zu Ende des achtzehnten Jahrhunderts noth-
wendig in andere Hände kommen, die sie fähig machten, der wachsenden Be¬
völkerung zu genügen. Glücklich fügte es sich, daß Männer der gebildeten Classe
den Ackerbau selbst praktisch in die Hand nahmen. Bis dahin waren die gro-



") Nach Engel 7,2 °/<> seines Getreideverbrauchs.

weniger Dünger verschleift, und einige Wiesen konnten gemäht und ihr Gras
zu Heu gemacht werden. Aber solcher bevorzugten Gegenden gab es nicht viele
in Deutschland! Im Allgemeinen war Noth auf dem Land und Elend und kein
Gedanke, es könne anders werden. Die Ernährung des Volks war eine unge¬
nügende, und 17S5 .lebten in Sachsen 2641 Menschen auf der Quadratmeile;
heute 7310 (Engel). Im deutschen Reich (1786) wohnten 2080 auf der Quadrat¬
meile, heute wahrscheinlich 4S00 (Kolb). Kurbrandenburg hatte 1786 nur
1880 Einwohner per Quadratmeile. Folgende Ausstellung ist von Engel; sie
beweist zugleich den Fortschritt der Landwirthschaft und was der bedeutet.

In Sachsen


Uebrigens bedarf Sachsen heute noch einer regelmäßigen Einfuhr von
Getreide*).

Im vorigen Jahrhundert war — trotz der niederen Bevölkerungszahl —
Deutschland nur in gesegneten Jahren ohne Sorgen vor einer Hungersnoth.
„Die Theuerung von 1771 — 72 raffte allein in Sachsen 130,000 Menschen
hin" (Röscher).

Es waren nicht ferner haltbare Zustände eingetreten. Alle Fortschritte in
Cultur, in den Künsten und Gewerben stehen still, wenn die Landwirthschaft
nicht voran schreitet. Wer sich des Alltäglichen entkleiden und die Tiefe des
Wissens erforschen soll, muh frei von Nahrungssorgen sein; ein Volk, das um
Brod jammert, wird schwerlich viele Poeten und Gelehrte von Bedeutung er¬
zeugen, und die Künste machen keinen Eindruck auf solche, die sich bekümmert
fragen, ob sie morgen zu essen haben werden. Wer hungert, hört wenig auf
den Segen des Priesters! Darum ist der glücklich zu preisen vor Allen und hoch
zu achten, dem es gelingt, zwei Scheffel Korn da zu ernten, wo früher nur
einer wuchs.

Die Landwirthschaft mußte zu Ende des achtzehnten Jahrhunderts noth-
wendig in andere Hände kommen, die sie fähig machten, der wachsenden Be¬
völkerung zu genügen. Glücklich fügte es sich, daß Männer der gebildeten Classe
den Ackerbau selbst praktisch in die Hand nahmen. Bis dahin waren die gro-



") Nach Engel 7,2 °/<> seines Getreideverbrauchs.
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[0336] weniger Dünger verschleift, und einige Wiesen konnten gemäht und ihr Gras zu Heu gemacht werden. Aber solcher bevorzugten Gegenden gab es nicht viele in Deutschland! Im Allgemeinen war Noth auf dem Land und Elend und kein Gedanke, es könne anders werden. Die Ernährung des Volks war eine unge¬ nügende, und 17S5 .lebten in Sachsen 2641 Menschen auf der Quadratmeile; heute 7310 (Engel). Im deutschen Reich (1786) wohnten 2080 auf der Quadrat¬ meile, heute wahrscheinlich 4S00 (Kolb). Kurbrandenburg hatte 1786 nur 1880 Einwohner per Quadratmeile. Folgende Ausstellung ist von Engel; sie beweist zugleich den Fortschritt der Landwirthschaft und was der bedeutet. In Sachsen Production x. H> MeileEs lebtenx.Kopf d.Volk. kom. K s Z^ es ZS -3>°s> sA ZSS » ?Menschen p. HWl. in SachsenK r> ZW 3S ÄS-S » G? ScheffelScheffel 1755 1799 1853361.2 1276.6 6527.13908.8 7636.4 11966.31917.5 3537.2 5142.53049.7 5887.7 14290.2112.1 301.4 3115.2246.9 4857.6 42030.12641 3102 73100,i; 0,4! 0,891,48 2,4« 1,K40,7Z 1,14 0,700,og 1.S7 5,75 Uebrigens bedarf Sachsen heute noch einer regelmäßigen Einfuhr von Getreide*). Im vorigen Jahrhundert war — trotz der niederen Bevölkerungszahl — Deutschland nur in gesegneten Jahren ohne Sorgen vor einer Hungersnoth. „Die Theuerung von 1771 — 72 raffte allein in Sachsen 130,000 Menschen hin" (Röscher). Es waren nicht ferner haltbare Zustände eingetreten. Alle Fortschritte in Cultur, in den Künsten und Gewerben stehen still, wenn die Landwirthschaft nicht voran schreitet. Wer sich des Alltäglichen entkleiden und die Tiefe des Wissens erforschen soll, muh frei von Nahrungssorgen sein; ein Volk, das um Brod jammert, wird schwerlich viele Poeten und Gelehrte von Bedeutung er¬ zeugen, und die Künste machen keinen Eindruck auf solche, die sich bekümmert fragen, ob sie morgen zu essen haben werden. Wer hungert, hört wenig auf den Segen des Priesters! Darum ist der glücklich zu preisen vor Allen und hoch zu achten, dem es gelingt, zwei Scheffel Korn da zu ernten, wo früher nur einer wuchs. Die Landwirthschaft mußte zu Ende des achtzehnten Jahrhunderts noth- wendig in andere Hände kommen, die sie fähig machten, der wachsenden Be¬ völkerung zu genügen. Glücklich fügte es sich, daß Männer der gebildeten Classe den Ackerbau selbst praktisch in die Hand nahmen. Bis dahin waren die gro- ") Nach Engel 7,2 °/<> seines Getreideverbrauchs.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115927/336>, abgerufen am 15.01.2025.