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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band.

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"Ackerbau und Viehzucht nicken der Verachtung Preis gegeben. Der Bebauer
des Bodens verlor sein Grundeigentum und seine persönliche Freiheit, bis
die wieder aufgefundenen Schriften der Römer neues Licht verbreiteten. Bis
zum Jahre 800 lebte die deutsche Landwirthschaft in kindlicher Unschuld, dann
tausend Jahre lang in Irrthum ohne Freiheit. (F. G. Schulze.)

Tarello (1366) sagt: "Viel ackern und wenig säen gibt mehr Nutzen als
wenig ackern und viel säen." Der Jesuit Francesco Lana (1670) erfand ein
Instrument zum Einzelstecken der Saatkörner -- Dibbel-Cultur. 1370 beschreibt
Dr. Elzholz (nortio. ub. 6. cap. 5.) eine besondere Noggenart -- den Stau¬
denroggen. 1545 empfiehlt Dr. Michael Herren die im Garten wachsenden Lu¬
pinen zum Anbau auf dem Felde und zur Düngung. Auch mästen sie nach
seiner Ansicht das Rindvieh, wenn sie in Salzwasser gekocht werden. Johann
Coler (f 1639 in Schlesien) sagt vom Gersteanbau, was noch heute zu unter¬
schreiben wäre und spricht von mehrfeldrigen Wirthschaftssystemen -- dem Frucht¬
wechsel. Konrad Heresbach (5 1376), ein Freund Melanchthons, schreibt: "Die
Linsen werden im März und April gesäet und vor dem Säen in Salpeter¬
wasser gelegt. Roggen, Linsen und Gerste gemischt, geben ein schmackhaftes
Brod." Bereits 1337 erschienen zu Straßburg in deutscher Uebersetzung die
12 Bücher des Columella; 1538 in lateinischer die (FLoxoniea, des Cassianus
Bassus;-- (Scheibler). Letztere enthielt eine Zusammenstellung der agronomi¬
scher Lehren aller griechischen und römischen Autoren, von der Röscher sagt:
"Wie die Juristen in der Pandectensammlung einen Verfall der echten römischen
Rechtswissenschaft erblicken, so wir in den Geoponiken der echten römischen
Landwirthschaft." Auf diese Art hob sich zur Zeit der Reformation durch das
Lesen der fremden Autoren die Landwirthschaft in Deutschland aus die Stufe
eines Handwerks, dem die Gelehrten in ihrer Sprache Regeln -- Recepte --
dictirten oder sie verdolmetschten.. Schon finden sich Spuren des Uebergangs zur
Koppel-, zur Fetdgraswirthschaft (Mailänder Gesetz der Expropriation 1502).
In Nordholland beginnt das Entwässern und Trockenlegen. 1612--1631 wurden
2400 Morgen Teiche trocken gelegt. (Rau.)

Doch die Gebundenheit, die Hörigkeit drückte schwer. 1317 galt in Schlesien
der Satz: Bauern dürfen keine Schafe halten, falls sie nicht alte Briefe darüber
besitzen; Ziegen zu halten war hier und da verboten. (Gustav Freitag.) Frei-
lich konnte ein gewerblicher bedeutender Fortschritt nicht von einer Zeit ver¬
langt werden, die so geringe Anforderungen stellte wie diese. Zur Zeit der
Reformation beschenkten Fürstinnen ihren Gemahl mit einem leinenen Hemd;
fast Alles legte sich nackt ins Bett. (Schäffle.) Denn das Gewerbe kann nicht
eher lebhaft produciren, als bis die Konsumtion ihm dies ausgibt, und eine
intensivere Ackerbauwirthschaft ist nur unter Voraussetzung eines höheren Preises
der Producte möglich.


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„Ackerbau und Viehzucht nicken der Verachtung Preis gegeben. Der Bebauer
des Bodens verlor sein Grundeigentum und seine persönliche Freiheit, bis
die wieder aufgefundenen Schriften der Römer neues Licht verbreiteten. Bis
zum Jahre 800 lebte die deutsche Landwirthschaft in kindlicher Unschuld, dann
tausend Jahre lang in Irrthum ohne Freiheit. (F. G. Schulze.)

Tarello (1366) sagt: „Viel ackern und wenig säen gibt mehr Nutzen als
wenig ackern und viel säen." Der Jesuit Francesco Lana (1670) erfand ein
Instrument zum Einzelstecken der Saatkörner — Dibbel-Cultur. 1370 beschreibt
Dr. Elzholz (nortio. ub. 6. cap. 5.) eine besondere Noggenart — den Stau¬
denroggen. 1545 empfiehlt Dr. Michael Herren die im Garten wachsenden Lu¬
pinen zum Anbau auf dem Felde und zur Düngung. Auch mästen sie nach
seiner Ansicht das Rindvieh, wenn sie in Salzwasser gekocht werden. Johann
Coler (f 1639 in Schlesien) sagt vom Gersteanbau, was noch heute zu unter¬
schreiben wäre und spricht von mehrfeldrigen Wirthschaftssystemen — dem Frucht¬
wechsel. Konrad Heresbach (5 1376), ein Freund Melanchthons, schreibt: „Die
Linsen werden im März und April gesäet und vor dem Säen in Salpeter¬
wasser gelegt. Roggen, Linsen und Gerste gemischt, geben ein schmackhaftes
Brod." Bereits 1337 erschienen zu Straßburg in deutscher Uebersetzung die
12 Bücher des Columella; 1538 in lateinischer die (FLoxoniea, des Cassianus
Bassus;— (Scheibler). Letztere enthielt eine Zusammenstellung der agronomi¬
scher Lehren aller griechischen und römischen Autoren, von der Röscher sagt:
„Wie die Juristen in der Pandectensammlung einen Verfall der echten römischen
Rechtswissenschaft erblicken, so wir in den Geoponiken der echten römischen
Landwirthschaft." Auf diese Art hob sich zur Zeit der Reformation durch das
Lesen der fremden Autoren die Landwirthschaft in Deutschland aus die Stufe
eines Handwerks, dem die Gelehrten in ihrer Sprache Regeln — Recepte —
dictirten oder sie verdolmetschten.. Schon finden sich Spuren des Uebergangs zur
Koppel-, zur Fetdgraswirthschaft (Mailänder Gesetz der Expropriation 1502).
In Nordholland beginnt das Entwässern und Trockenlegen. 1612—1631 wurden
2400 Morgen Teiche trocken gelegt. (Rau.)

Doch die Gebundenheit, die Hörigkeit drückte schwer. 1317 galt in Schlesien
der Satz: Bauern dürfen keine Schafe halten, falls sie nicht alte Briefe darüber
besitzen; Ziegen zu halten war hier und da verboten. (Gustav Freitag.) Frei-
lich konnte ein gewerblicher bedeutender Fortschritt nicht von einer Zeit ver¬
langt werden, die so geringe Anforderungen stellte wie diese. Zur Zeit der
Reformation beschenkten Fürstinnen ihren Gemahl mit einem leinenen Hemd;
fast Alles legte sich nackt ins Bett. (Schäffle.) Denn das Gewerbe kann nicht
eher lebhaft produciren, als bis die Konsumtion ihm dies ausgibt, und eine
intensivere Ackerbauwirthschaft ist nur unter Voraussetzung eines höheren Preises
der Producte möglich.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115927/331>, abgerufen am 15.01.2025.