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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band.

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behandelt, hat er doch gerade von dortigen Protestanten neuerdings viel An¬
griffe zu bestehn. Die czechischen Evangelischen Böhmens klagen trotz aller
Unterstützungen , die sie erhalten, über Vernachlässigung, beschuldigen den Ver¬
ein, deutsch-nationale Propaganda zu treiben und warnen mit großer Leiden¬
schaftlichkeit zwar nicht vor Annahme der hübschen deutschen Thaler, aber vor
jeder nähern Berührung mit dem Verein. Man'solle einen czechisch-protestan-
tischen Hilfsverein gründen und gegenüber dem deutschen Protestantismus sich
czechisch-national abschließen u. s. w. Das ist den etwa SO---60,000 czechischen
Protestanten Böhmens und Mährens in dortigen Zeitschriften neuerdings mit
einem Fanatismus und in einem Tone gepredigt worden, der eine Spur von
Dankbarkeit für empfangene deutsche Wohlthaten nicht erkennen läßt und für
den Bildungsgrad der Stimmführenden Agitatoren kein gutes Zeugniß ablegt.
Erfolg hat diese Agitation so wenig gehabt, wie andres czechisches Geschrei.
Die Verwaltung des Vereins war so klug, die belfernden Stimmen einfach zu
.ignoriren und ihren bisherigen Weg ruhig weiter zu gehen; die Versammlung
erwiderte das unverständige Lärmen jener mit dem Beschluß, wodurch sie die
eine gemeinsame Gabe, über die sie zu verfügen hatte (circa 10,000 Fi.) der
czechischen refvrmuten Gemeinde zu Czaslau in Böhmen votirte. Es erinnert
dies verblendete Bestreben des kleinen Häufleins czechischer Evangelischer, von
der protestantischen Kirche Deutschlands sich zu sondern und als eigne kirchliche
Großmacht sich auf den Isvlirstuhl zu setzen, an die ähnlichen Separations¬
bestrebungen der slowakischen Protestanten Ungarns, deren bekannte Hinneigungen
zu der griechischen Kirche durch russische Ordensverleihungen an die protestan¬
tischen Stimmführer aufgemuntert werden, und die mit der evangelischen Landes¬
kirche Ungarns in einen für das protestantische Interesse überaus bedauerlichen
Zwiespalt sich gesetzt haben.

Die Glossen zu diesem Text wollen wir hier unterlassen. Aber es ist er¬
klärlich", wenn hiernach Manchem die Zustände der protestantischen Kirche Oest¬
reichs noch nicht völlig geklärt und gesichert scheinen.

Vielleicht trugen diese Erwägungen dazu bei, daß die Versammlung
die Einladung, im nächsten Jahre in Wien zu tagen, ablehnte. Die Be¬
mühungen, dieser Einladung Erfolg zu sichern, waren überaus lebhaft, viel¬
leicht eben zu lebhaft und siegesgewiß; sie hatten sich schon im vorigen
Jahr auf der nürnberger Versammlung angekündigt, wo die telegraphische Zu-
sicherung Herrn v. Schmerlings eintraf, daß man in Wien willkommen sein
werde. Dies Telegramm rief aber durchaus nicht, wie damals östreichische
Zeitungen berichteten, einen jubelnden Beifall hervor, vielmehr: man fühlte
die Absicht und war, wenn auch nicht verstimmt, doch überaus kühl. Der
jetzigen Einladung, die übrigens irgend einer Genehmigung feiten der Re-
gierungs- und Gemeindebehörden noch entbehrte, ward mit vollem Recht


Grenzboten IV. 1863. 4

behandelt, hat er doch gerade von dortigen Protestanten neuerdings viel An¬
griffe zu bestehn. Die czechischen Evangelischen Böhmens klagen trotz aller
Unterstützungen , die sie erhalten, über Vernachlässigung, beschuldigen den Ver¬
ein, deutsch-nationale Propaganda zu treiben und warnen mit großer Leiden¬
schaftlichkeit zwar nicht vor Annahme der hübschen deutschen Thaler, aber vor
jeder nähern Berührung mit dem Verein. Man'solle einen czechisch-protestan-
tischen Hilfsverein gründen und gegenüber dem deutschen Protestantismus sich
czechisch-national abschließen u. s. w. Das ist den etwa SO—-60,000 czechischen
Protestanten Böhmens und Mährens in dortigen Zeitschriften neuerdings mit
einem Fanatismus und in einem Tone gepredigt worden, der eine Spur von
Dankbarkeit für empfangene deutsche Wohlthaten nicht erkennen läßt und für
den Bildungsgrad der Stimmführenden Agitatoren kein gutes Zeugniß ablegt.
Erfolg hat diese Agitation so wenig gehabt, wie andres czechisches Geschrei.
Die Verwaltung des Vereins war so klug, die belfernden Stimmen einfach zu
.ignoriren und ihren bisherigen Weg ruhig weiter zu gehen; die Versammlung
erwiderte das unverständige Lärmen jener mit dem Beschluß, wodurch sie die
eine gemeinsame Gabe, über die sie zu verfügen hatte (circa 10,000 Fi.) der
czechischen refvrmuten Gemeinde zu Czaslau in Böhmen votirte. Es erinnert
dies verblendete Bestreben des kleinen Häufleins czechischer Evangelischer, von
der protestantischen Kirche Deutschlands sich zu sondern und als eigne kirchliche
Großmacht sich auf den Isvlirstuhl zu setzen, an die ähnlichen Separations¬
bestrebungen der slowakischen Protestanten Ungarns, deren bekannte Hinneigungen
zu der griechischen Kirche durch russische Ordensverleihungen an die protestan¬
tischen Stimmführer aufgemuntert werden, und die mit der evangelischen Landes¬
kirche Ungarns in einen für das protestantische Interesse überaus bedauerlichen
Zwiespalt sich gesetzt haben.

Die Glossen zu diesem Text wollen wir hier unterlassen. Aber es ist er¬
klärlich", wenn hiernach Manchem die Zustände der protestantischen Kirche Oest¬
reichs noch nicht völlig geklärt und gesichert scheinen.

Vielleicht trugen diese Erwägungen dazu bei, daß die Versammlung
die Einladung, im nächsten Jahre in Wien zu tagen, ablehnte. Die Be¬
mühungen, dieser Einladung Erfolg zu sichern, waren überaus lebhaft, viel¬
leicht eben zu lebhaft und siegesgewiß; sie hatten sich schon im vorigen
Jahr auf der nürnberger Versammlung angekündigt, wo die telegraphische Zu-
sicherung Herrn v. Schmerlings eintraf, daß man in Wien willkommen sein
werde. Dies Telegramm rief aber durchaus nicht, wie damals östreichische
Zeitungen berichteten, einen jubelnden Beifall hervor, vielmehr: man fühlte
die Absicht und war, wenn auch nicht verstimmt, doch überaus kühl. Der
jetzigen Einladung, die übrigens irgend einer Genehmigung feiten der Re-
gierungs- und Gemeindebehörden noch entbehrte, ward mit vollem Recht


Grenzboten IV. 1863. 4
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115927/33>, abgerufen am 15.01.2025.