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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band.

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Die Münchener Kunstausstellung und die Gegensätze in der
modernen Kunst.
3.

Das Sittenbild (Schluß). Das Thierstück. Die Landschaft.
Die Gegensätze in der Plastik und Architektur.

Hält man neben das deutsche das französische Sittenbild, das seine Stoffe
der Gegenwart entnimmt, so kann diesmal, da Kraus und die besten Düssel¬
dorfer, dann auch die in Frankreich gebildeten Maler wie Heilbuch auf der
Ausstellung nicht vertreten waren, für jenes wenigstens was malerische Dar¬
stellung betrifft, der Vergleich kaum günstig ausfallen. Zwar haben die Fran¬
zosen wenig und nicht ihr Bestes geschickt, zudem ist wohl die Blüthezeit ih¬
rer modernen Malerei schon vorüber; aber immer noch ist die gute Nachwirkung
der mehr geschlossenen Entwickelung, die sie durchgemacht haben, und die leben¬
dige Ueberlieferung des Handwerks durch Schulen auch in ihren Genrebildern
fühlbar, wie sich anderseits eine gewisse malerische Anschauung bei ihnen noch
erhalten hat. Zwar gerathen auch von ihnen manche auf den Abweg, durch
einen besondern Inhalt den Bildern einen aparten Reiz geben zu wollen, und
verlieren sich dann noch mehr wie die Deutschen in das Prosaische oder das
nebelhafte und Phantastische; doch suchen auch diese ihren Figuren durch die
Wahrheit der Form und Bewegung und durch ihre malerische Behandlung ein
selbständiges Leben zu geben. Als ein Beispiel dieser Art können die beiden
Bilder von Schützenberg er (einem Straßburger) gelten, die auf bloßen
Wortwitzen beruhen und sehr mittelmäßige Einfälle sehr undeutlich aussprechen,
aber in der Erscheinung doch lebendig und realistisch bestimmt sind. Ganz Tüch¬
tiges leisten die Franzosen in der Darstellung des Bauernlebens, sobald sie ein¬
fach dessen Sitten, das zuständliche Dasein zu schildern suchen; sie verstehen
dies Treiben von seiner malerischen Seite zu fassen und in die Personen eine
gewisse Gediegenheit der Existenz zu bringen. Gustav Brion, von dem zwei
Bilder auf der Ausstellung waren, entnimmt seit Jahren derartige Stoffe sei¬
ner Heimath, dem Elsaß, und weiß den Charakter dieses einfachen Lebens wohl
zu treffen; seine Bauern tragen den Typus des Stammes und den Ausdruck
ruhiger Befangenheit in ihrem kleinen Kreise, auch ihre Bewegungen sind aus
der Natur geholt, und da die Motive nicht günstig gewählt sind, so liegt in
den Bildern der Zug einer gewissen Realität. Dabei sind sie in einem war-


Die Münchener Kunstausstellung und die Gegensätze in der
modernen Kunst.
3.

Das Sittenbild (Schluß). Das Thierstück. Die Landschaft.
Die Gegensätze in der Plastik und Architektur.

Hält man neben das deutsche das französische Sittenbild, das seine Stoffe
der Gegenwart entnimmt, so kann diesmal, da Kraus und die besten Düssel¬
dorfer, dann auch die in Frankreich gebildeten Maler wie Heilbuch auf der
Ausstellung nicht vertreten waren, für jenes wenigstens was malerische Dar¬
stellung betrifft, der Vergleich kaum günstig ausfallen. Zwar haben die Fran¬
zosen wenig und nicht ihr Bestes geschickt, zudem ist wohl die Blüthezeit ih¬
rer modernen Malerei schon vorüber; aber immer noch ist die gute Nachwirkung
der mehr geschlossenen Entwickelung, die sie durchgemacht haben, und die leben¬
dige Ueberlieferung des Handwerks durch Schulen auch in ihren Genrebildern
fühlbar, wie sich anderseits eine gewisse malerische Anschauung bei ihnen noch
erhalten hat. Zwar gerathen auch von ihnen manche auf den Abweg, durch
einen besondern Inhalt den Bildern einen aparten Reiz geben zu wollen, und
verlieren sich dann noch mehr wie die Deutschen in das Prosaische oder das
nebelhafte und Phantastische; doch suchen auch diese ihren Figuren durch die
Wahrheit der Form und Bewegung und durch ihre malerische Behandlung ein
selbständiges Leben zu geben. Als ein Beispiel dieser Art können die beiden
Bilder von Schützenberg er (einem Straßburger) gelten, die auf bloßen
Wortwitzen beruhen und sehr mittelmäßige Einfälle sehr undeutlich aussprechen,
aber in der Erscheinung doch lebendig und realistisch bestimmt sind. Ganz Tüch¬
tiges leisten die Franzosen in der Darstellung des Bauernlebens, sobald sie ein¬
fach dessen Sitten, das zuständliche Dasein zu schildern suchen; sie verstehen
dies Treiben von seiner malerischen Seite zu fassen und in die Personen eine
gewisse Gediegenheit der Existenz zu bringen. Gustav Brion, von dem zwei
Bilder auf der Ausstellung waren, entnimmt seit Jahren derartige Stoffe sei¬
ner Heimath, dem Elsaß, und weiß den Charakter dieses einfachen Lebens wohl
zu treffen; seine Bauern tragen den Typus des Stammes und den Ausdruck
ruhiger Befangenheit in ihrem kleinen Kreise, auch ihre Bewegungen sind aus
der Natur geholt, und da die Motive nicht günstig gewählt sind, so liegt in
den Bildern der Zug einer gewissen Realität. Dabei sind sie in einem war-


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[0314] Die Münchener Kunstausstellung und die Gegensätze in der modernen Kunst. 3. Das Sittenbild (Schluß). Das Thierstück. Die Landschaft. Die Gegensätze in der Plastik und Architektur. Hält man neben das deutsche das französische Sittenbild, das seine Stoffe der Gegenwart entnimmt, so kann diesmal, da Kraus und die besten Düssel¬ dorfer, dann auch die in Frankreich gebildeten Maler wie Heilbuch auf der Ausstellung nicht vertreten waren, für jenes wenigstens was malerische Dar¬ stellung betrifft, der Vergleich kaum günstig ausfallen. Zwar haben die Fran¬ zosen wenig und nicht ihr Bestes geschickt, zudem ist wohl die Blüthezeit ih¬ rer modernen Malerei schon vorüber; aber immer noch ist die gute Nachwirkung der mehr geschlossenen Entwickelung, die sie durchgemacht haben, und die leben¬ dige Ueberlieferung des Handwerks durch Schulen auch in ihren Genrebildern fühlbar, wie sich anderseits eine gewisse malerische Anschauung bei ihnen noch erhalten hat. Zwar gerathen auch von ihnen manche auf den Abweg, durch einen besondern Inhalt den Bildern einen aparten Reiz geben zu wollen, und verlieren sich dann noch mehr wie die Deutschen in das Prosaische oder das nebelhafte und Phantastische; doch suchen auch diese ihren Figuren durch die Wahrheit der Form und Bewegung und durch ihre malerische Behandlung ein selbständiges Leben zu geben. Als ein Beispiel dieser Art können die beiden Bilder von Schützenberg er (einem Straßburger) gelten, die auf bloßen Wortwitzen beruhen und sehr mittelmäßige Einfälle sehr undeutlich aussprechen, aber in der Erscheinung doch lebendig und realistisch bestimmt sind. Ganz Tüch¬ tiges leisten die Franzosen in der Darstellung des Bauernlebens, sobald sie ein¬ fach dessen Sitten, das zuständliche Dasein zu schildern suchen; sie verstehen dies Treiben von seiner malerischen Seite zu fassen und in die Personen eine gewisse Gediegenheit der Existenz zu bringen. Gustav Brion, von dem zwei Bilder auf der Ausstellung waren, entnimmt seit Jahren derartige Stoffe sei¬ ner Heimath, dem Elsaß, und weiß den Charakter dieses einfachen Lebens wohl zu treffen; seine Bauern tragen den Typus des Stammes und den Ausdruck ruhiger Befangenheit in ihrem kleinen Kreise, auch ihre Bewegungen sind aus der Natur geholt, und da die Motive nicht günstig gewählt sind, so liegt in den Bildern der Zug einer gewissen Realität. Dabei sind sie in einem war-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115927/314>, abgerufen am 15.01.2025.