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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band.

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Bevor man aber an die Ausführung, geht, werden einige Erwägungen
unvermeidlich.

Zunächst der Ort, an welchem ein solches Denkmal zu errichten wäre. --
Wenn Jacob Grimm unter den drei Städten, deren Mauern seine wissenschaft¬
liche Thätigkeit umschlossen -- Kassel, Göttingen, Berlin -- sich selbst eine
.Stadtgemeinde für sein Denkmal hätte wählen dürfen, so würde er nach unse¬
rer Ueberzeugung sich für Berlin entschieden haben. In Kassel, der Hauptstadt
seines Geburtslandes, würde unter den gegenwärtigen Verhältnissen an ma߬
gebender Stelle sein Standbild wahrscheinlich wenig willkommen sein, in Han¬
nover ist der deutsche Patriot des Landes verwiesen worden, Berlin hat jeden¬
falls das Verdienst, dem höhern Alter des Gelehrten Asyl, Heimath. unab¬
hängige Stellung, die umfangreichste Thätigkeit gesichert zu haben.

Es wird bei solcher Sachlage schwerlich zu läugnen sein, daß eine Statue,
welche ihm errichtet wird, nach Berlin gehört.

Aber auch, wenn man sich für einen andern Ort entscheiden wollte, wür¬
den die Ansichten, welche sich jei)t für diese Sache in Berlin geltend machen,
für uns und unsre Landsleute von Wichtigkeit sein. Die nächsten Verwandten
des Todten, eine große Zahl von Akademie- und Universitätsgenossen, von
Freunden und. Verehrern leben dort, und die Auffassung, welche in ihren
Kreisen Geltung erhält, müßte auf den Erfolg der Sammlungen durch ganz
Preußen entscheidenden Einfluß ausüben.

Nach den Mittheilungen, welche deshalb von den Berlinern erbeten wur¬
den, ist dort gegenwärtig die Pietät für den Todten bereits nach mehrfacher
Richtung bemüht. Davon gehört für die Öffentlichkeit, daß man vor Allem
den umfangreichen literarischen Nachlaß der deutschen Wissenschaft in seinem
vollen Bestände zu erhalten sucht. Denn nicht nur die handschriftlichen Samm¬
lungen, auch die schöne Bibliothek hat eine ungewöhnliche Bedeutung. Sie
enthält in den Druckwerken selbst eine Fülle handschriftlicher Notizen, für die
Wissenschaft von höchstem Werth, ein Denkmal des erstaunlichsten Fleißes. Es
sind Schritte geschehen, um Ankauf und Aufstellung dieser Hinterlassenschaft bei
der königlichen Bibliothek zu ermöglichen. In jedem Fall sind die Freunde
und Verehrer des Verewigten entschlossen, eine Verzettelung dieser Schätze zu
verhindern. Bevor diese nächsten und wichtigsten Angelegenheiten geordnet
und die dazu nöthigen Summen vorhanden sind, wird man in Berlin nicht
gern Neues und Weiteres beginnen wollen. Und das ist ganz in der Ordnung.

Aber auch ein anderes Bedenken stört für jetzt den Plan einer Statue.
Die Berliner haben in der letzten Zeit bei ihren monumentalen Unternehmungen
so viel Unglück gehabt und so Widriges erfahren, daß das Errichten einer Statue
dort in diesem Augenblick nichts weniger als populär sein würde. Auch ist
man sich zuverlässig bewußt, daß gerade jetzt Berlin bei Errichtung eines Denk-


Bevor man aber an die Ausführung, geht, werden einige Erwägungen
unvermeidlich.

Zunächst der Ort, an welchem ein solches Denkmal zu errichten wäre. —
Wenn Jacob Grimm unter den drei Städten, deren Mauern seine wissenschaft¬
liche Thätigkeit umschlossen — Kassel, Göttingen, Berlin — sich selbst eine
.Stadtgemeinde für sein Denkmal hätte wählen dürfen, so würde er nach unse¬
rer Ueberzeugung sich für Berlin entschieden haben. In Kassel, der Hauptstadt
seines Geburtslandes, würde unter den gegenwärtigen Verhältnissen an ma߬
gebender Stelle sein Standbild wahrscheinlich wenig willkommen sein, in Han¬
nover ist der deutsche Patriot des Landes verwiesen worden, Berlin hat jeden¬
falls das Verdienst, dem höhern Alter des Gelehrten Asyl, Heimath. unab¬
hängige Stellung, die umfangreichste Thätigkeit gesichert zu haben.

Es wird bei solcher Sachlage schwerlich zu läugnen sein, daß eine Statue,
welche ihm errichtet wird, nach Berlin gehört.

Aber auch, wenn man sich für einen andern Ort entscheiden wollte, wür¬
den die Ansichten, welche sich jei)t für diese Sache in Berlin geltend machen,
für uns und unsre Landsleute von Wichtigkeit sein. Die nächsten Verwandten
des Todten, eine große Zahl von Akademie- und Universitätsgenossen, von
Freunden und. Verehrern leben dort, und die Auffassung, welche in ihren
Kreisen Geltung erhält, müßte auf den Erfolg der Sammlungen durch ganz
Preußen entscheidenden Einfluß ausüben.

Nach den Mittheilungen, welche deshalb von den Berlinern erbeten wur¬
den, ist dort gegenwärtig die Pietät für den Todten bereits nach mehrfacher
Richtung bemüht. Davon gehört für die Öffentlichkeit, daß man vor Allem
den umfangreichen literarischen Nachlaß der deutschen Wissenschaft in seinem
vollen Bestände zu erhalten sucht. Denn nicht nur die handschriftlichen Samm¬
lungen, auch die schöne Bibliothek hat eine ungewöhnliche Bedeutung. Sie
enthält in den Druckwerken selbst eine Fülle handschriftlicher Notizen, für die
Wissenschaft von höchstem Werth, ein Denkmal des erstaunlichsten Fleißes. Es
sind Schritte geschehen, um Ankauf und Aufstellung dieser Hinterlassenschaft bei
der königlichen Bibliothek zu ermöglichen. In jedem Fall sind die Freunde
und Verehrer des Verewigten entschlossen, eine Verzettelung dieser Schätze zu
verhindern. Bevor diese nächsten und wichtigsten Angelegenheiten geordnet
und die dazu nöthigen Summen vorhanden sind, wird man in Berlin nicht
gern Neues und Weiteres beginnen wollen. Und das ist ganz in der Ordnung.

Aber auch ein anderes Bedenken stört für jetzt den Plan einer Statue.
Die Berliner haben in der letzten Zeit bei ihren monumentalen Unternehmungen
so viel Unglück gehabt und so Widriges erfahren, daß das Errichten einer Statue
dort in diesem Augenblick nichts weniger als populär sein würde. Auch ist
man sich zuverlässig bewußt, daß gerade jetzt Berlin bei Errichtung eines Denk-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115927/311>, abgerufen am 15.01.2025.