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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band.

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Worte, er habe sich nicht die Zeit dazu gelassen. Seine ganze Liebe, sein ganzes
Dichten und Trachten ging auf in dem Eifer, in der rastlosen Thätigkeit für
seine Wissenschaft, der alle seine Gedanken in jedem Momente zugewandt waren,
und der gegenüber keine persönliche Neigung aufkommen konnte. Die Pflege
und den gemüthlichen Halt, den die Familie gewährt, fand er in reichem Maße
in dem liebenswürdigen Hause seines Bruders, das ihn wie einen zweiten
Vater verehrte.

Am 16. December 1839 starb Wilhelm. Das vereinsamte den älteren
überlebenden Bruder,^ der seinem Schmerze in einfachen, rührenden Worten
Ausdruck gab; aber in rüstigster Thätigkeit arbeitete er fort. Ungehemmt er¬
schienen die Hefte des Wörterbuches, ward der Druck gefördert. Im Anfange
September d. I. erkrankte er an einer Gallen- und Leberaffection, doch ward
dieselbe gehoben. Er ward wieder munter, dictirte eine Reihe Briefe, die noch
ganz die alte geistige Frische und Lebendigkeit athmeten. Wenige Tage darnach
aber traf ihn ein Schlaganfall. Am 20. September verschlimmerte sich sein
Zustand, er rang fast den ganzen Tag über mit dem Tode. Es war ein
Sonntag, und feierlich hallten die Glocken hinein in sein Sterbezimmer. Am
Abende wiederholte sich der Schlaganfall in kurzer Pause zweimal, und um
10 Uhr schied sein edler Geist von dieser Welt. Die allgemeinste Theilnahme
folgte ihm und ehrte sein Begräbniß. Unter den vielen Zeichen liebender Ver¬
ehrung rührte am meisten ein Todtenkranz, der den Sarg schmückte, mit der
gestickten Inschrift-auf weißem Bande: "Dem Freunde der Jugend dankbare
Kinder". Unmittelbar neben dem seines Bruders ward sein Sarg in die Erde
gesenkt. Nach dem ausdrücklichen Wunsche des Heimgegangenen soll kein Denk¬
mal, sondern ein einfacher Leichenstein die Stätte kennzeichnen.

Eine so reiche und in vielgestalteter Thätigkeit entwickelte Begabung, wie-
die Jacob Grimms, in wenigen Worten charakterisirend zusammenzufassen, ist
kaum möglich. Sollten wir dennoch versuchen dürfen, einen einheitlichen
Mittelpunkt aufzudecken, der, als das eigentlich befruchtende und gestaltende
Element, aller seiner Thätigkeit immanent zu sein schiene, so möchten wir
wiederholen, was wir schon an anderer Stelle ausgesprochen haben: Vielleicht
nie wieder wird unserer Nation ein Mann geschenkt werden, der eine dem
innersten Wesen ihrer Begabung so congeniale Natur besitzen wird. Dieser
Jnstinct des Genies, der nur das ihm Gemäße zu ergreifen brauchte, dieser
geniale Blick war es, den er, man möchte sagen wie eine Leuchte hinabsenkte
in die dunkelsten Schachte .der deutschen Vergangenheit und des deutschen Wesens,
und mit dem er Gebiete erhellte, die der größten Gelehrsamkeit und dem grö߬
ten Scharfsinn allein stets unenthüllt geblieben wären/




Worte, er habe sich nicht die Zeit dazu gelassen. Seine ganze Liebe, sein ganzes
Dichten und Trachten ging auf in dem Eifer, in der rastlosen Thätigkeit für
seine Wissenschaft, der alle seine Gedanken in jedem Momente zugewandt waren,
und der gegenüber keine persönliche Neigung aufkommen konnte. Die Pflege
und den gemüthlichen Halt, den die Familie gewährt, fand er in reichem Maße
in dem liebenswürdigen Hause seines Bruders, das ihn wie einen zweiten
Vater verehrte.

Am 16. December 1839 starb Wilhelm. Das vereinsamte den älteren
überlebenden Bruder,^ der seinem Schmerze in einfachen, rührenden Worten
Ausdruck gab; aber in rüstigster Thätigkeit arbeitete er fort. Ungehemmt er¬
schienen die Hefte des Wörterbuches, ward der Druck gefördert. Im Anfange
September d. I. erkrankte er an einer Gallen- und Leberaffection, doch ward
dieselbe gehoben. Er ward wieder munter, dictirte eine Reihe Briefe, die noch
ganz die alte geistige Frische und Lebendigkeit athmeten. Wenige Tage darnach
aber traf ihn ein Schlaganfall. Am 20. September verschlimmerte sich sein
Zustand, er rang fast den ganzen Tag über mit dem Tode. Es war ein
Sonntag, und feierlich hallten die Glocken hinein in sein Sterbezimmer. Am
Abende wiederholte sich der Schlaganfall in kurzer Pause zweimal, und um
10 Uhr schied sein edler Geist von dieser Welt. Die allgemeinste Theilnahme
folgte ihm und ehrte sein Begräbniß. Unter den vielen Zeichen liebender Ver¬
ehrung rührte am meisten ein Todtenkranz, der den Sarg schmückte, mit der
gestickten Inschrift-auf weißem Bande: „Dem Freunde der Jugend dankbare
Kinder". Unmittelbar neben dem seines Bruders ward sein Sarg in die Erde
gesenkt. Nach dem ausdrücklichen Wunsche des Heimgegangenen soll kein Denk¬
mal, sondern ein einfacher Leichenstein die Stätte kennzeichnen.

Eine so reiche und in vielgestalteter Thätigkeit entwickelte Begabung, wie-
die Jacob Grimms, in wenigen Worten charakterisirend zusammenzufassen, ist
kaum möglich. Sollten wir dennoch versuchen dürfen, einen einheitlichen
Mittelpunkt aufzudecken, der, als das eigentlich befruchtende und gestaltende
Element, aller seiner Thätigkeit immanent zu sein schiene, so möchten wir
wiederholen, was wir schon an anderer Stelle ausgesprochen haben: Vielleicht
nie wieder wird unserer Nation ein Mann geschenkt werden, der eine dem
innersten Wesen ihrer Begabung so congeniale Natur besitzen wird. Dieser
Jnstinct des Genies, der nur das ihm Gemäße zu ergreifen brauchte, dieser
geniale Blick war es, den er, man möchte sagen wie eine Leuchte hinabsenkte
in die dunkelsten Schachte .der deutschen Vergangenheit und des deutschen Wesens,
und mit dem er Gebiete erhellte, die der größten Gelehrsamkeit und dem grö߬
ten Scharfsinn allein stets unenthüllt geblieben wären/




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115927/308>, abgerufen am 15.01.2025.