Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band.geblieben und auch nicht einmal Andeutungen über Gang und Ziel der Unter¬ Wer zuerst hinantritt an die Massenhaftigkeit des Materials, das in Grimms Grimms Prosa gehört ohne Frage zu dem Besten, was in deutscher Jacob Grimm war nie verheirathet. Es liegt Ernst in dem scherzenden 38"
geblieben und auch nicht einmal Andeutungen über Gang und Ziel der Unter¬ Wer zuerst hinantritt an die Massenhaftigkeit des Materials, das in Grimms Grimms Prosa gehört ohne Frage zu dem Besten, was in deutscher Jacob Grimm war nie verheirathet. Es liegt Ernst in dem scherzenden 38"
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0307" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/116235"/> <p xml:id="ID_1038" prev="#ID_1037"> geblieben und auch nicht einmal Andeutungen über Gang und Ziel der Unter¬<lb/> suchungen sollen sich in seinem Nachlasse vorgefunden haben, wie denn Grimm,<lb/> durch ein außerordentliches Gedächtniß unterstützt, stets erst für den Druck nie¬<lb/> derzuschreiben Pflegte. Der Verlust ist groß; denn schwerlich findet sich so bald<lb/> wieder ein Gelehrter, der für die Behandlung jener Fragen so großartige und<lb/> weitumfassende Gesichtspunkte, einen so feinen Spürsinn und ein so immenses<lb/> Wissen hinzu bringen wird, wie Jacob Grimm dies gethan haben würde. Un¬<lb/> gedruckt geblieben ist auch eine im Jahre 1824 geschriebene, historisch-gramma¬<lb/> tische Abhandlung „über die deutschen Adjectiva", die von de'r königl. deutschen<lb/> Gesellschaft in Königsberg gekrönt worden war. Anfangs wollte sie Grimm<lb/> erweitern mit Benutzung der inzwischen erschienenen neuen altdeutschen Quellen.<lb/> Später wird er die Resultate in den folgenden Bänden seiner Grammatik und<lb/> in der Geschichte der deutschen Sprache veröffentlicht haben, so daß er von dem<lb/> Drucke ganz absah.</p><lb/> <p xml:id="ID_1039"> Wer zuerst hinantritt an die Massenhaftigkeit des Materials, das in Grimms<lb/> Werken zusammengetragen und aufgespeichert ist,' oft mit fast lexikalischer Voll¬<lb/> ständigkeit, dem möchte es auf den ersten Blick scheinen, als überwuchere dies<lb/> die geistige Arbeit. Und doch wäre kein Urtheil ungerechter. Gerade die gei¬<lb/> stige Verarbeitung ist es, die den gewaltigen Reiz ausübt, welchen das Studium<lb/> aller Werke Grimms gewährt, gerade die Eigenschaft derselben, daß wir in<lb/> ihnen, auch fast erdrückt von der Last des gelehrten Materials, doch keinen<lb/> Augenblick das Gefühl verlieren, daß es, vollständig beherrscht, nur als Bau¬<lb/> stein im Gedankengange des Autors verwendet wird. Keine Erscheinung, auf<lb/> welchem Gebiete immer, auch die äußerlichste nicht, der nicht Grimm ein Motiv,<lb/> eine seelische Natur abzugewinnen wüßte, oder für die er nicht wenigstens einen,<lb/> schlagenden Ausdruck, ein poetisches Bild zur Hand hätte. So reißen seine<lb/> Arbeiten hin, und die vielen dicken Bände seiner Werke sind eine Fundgrube<lb/> der reinsten Erquickung.</p><lb/> <p xml:id="ID_1040"> Grimms Prosa gehört ohne Frage zu dem Besten, was in deutscher<lb/> Sprache geschrieben ist. Kurz, gedankenvoll und dabei nie abstract, überall eine<lb/> lebhafte Empfindung und einen frischen sinnlichen Ausdruck derselben gewährend,<lb/> weiß sie auch dem Einfachsten den Stempel seines großen Geistes aufzudrücken.<lb/> Wir weisen hin auf die Vorreden zu den verschiedenen Bänden der Grammatik,<lb/> zu den Rechtsalterthümern, zu der Mythologie, Namentlich in der zweiten Auf¬<lb/> lage derselben, und auf die Schrift über seine Entlassung. Ganz besonders aber<lb/> möchten wir die Erinnerung an eine kleine Gelegenheitsschrift, die fast vergessen<lb/> zu sein scheint, auffrischen, wir meinen die Schilderung „italienischer und skan¬<lb/> dinavischer Eindrücke". Sie vor Allem verdiente in einer Sammlung seiner klei¬<lb/> nern Schriften ausgenommen zu werden.</p><lb/> <p xml:id="ID_1041" next="#ID_1042"> Jacob Grimm war nie verheirathet. Es liegt Ernst in dem scherzenden</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> 38"</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0307]
geblieben und auch nicht einmal Andeutungen über Gang und Ziel der Unter¬
suchungen sollen sich in seinem Nachlasse vorgefunden haben, wie denn Grimm,
durch ein außerordentliches Gedächtniß unterstützt, stets erst für den Druck nie¬
derzuschreiben Pflegte. Der Verlust ist groß; denn schwerlich findet sich so bald
wieder ein Gelehrter, der für die Behandlung jener Fragen so großartige und
weitumfassende Gesichtspunkte, einen so feinen Spürsinn und ein so immenses
Wissen hinzu bringen wird, wie Jacob Grimm dies gethan haben würde. Un¬
gedruckt geblieben ist auch eine im Jahre 1824 geschriebene, historisch-gramma¬
tische Abhandlung „über die deutschen Adjectiva", die von de'r königl. deutschen
Gesellschaft in Königsberg gekrönt worden war. Anfangs wollte sie Grimm
erweitern mit Benutzung der inzwischen erschienenen neuen altdeutschen Quellen.
Später wird er die Resultate in den folgenden Bänden seiner Grammatik und
in der Geschichte der deutschen Sprache veröffentlicht haben, so daß er von dem
Drucke ganz absah.
Wer zuerst hinantritt an die Massenhaftigkeit des Materials, das in Grimms
Werken zusammengetragen und aufgespeichert ist,' oft mit fast lexikalischer Voll¬
ständigkeit, dem möchte es auf den ersten Blick scheinen, als überwuchere dies
die geistige Arbeit. Und doch wäre kein Urtheil ungerechter. Gerade die gei¬
stige Verarbeitung ist es, die den gewaltigen Reiz ausübt, welchen das Studium
aller Werke Grimms gewährt, gerade die Eigenschaft derselben, daß wir in
ihnen, auch fast erdrückt von der Last des gelehrten Materials, doch keinen
Augenblick das Gefühl verlieren, daß es, vollständig beherrscht, nur als Bau¬
stein im Gedankengange des Autors verwendet wird. Keine Erscheinung, auf
welchem Gebiete immer, auch die äußerlichste nicht, der nicht Grimm ein Motiv,
eine seelische Natur abzugewinnen wüßte, oder für die er nicht wenigstens einen,
schlagenden Ausdruck, ein poetisches Bild zur Hand hätte. So reißen seine
Arbeiten hin, und die vielen dicken Bände seiner Werke sind eine Fundgrube
der reinsten Erquickung.
Grimms Prosa gehört ohne Frage zu dem Besten, was in deutscher
Sprache geschrieben ist. Kurz, gedankenvoll und dabei nie abstract, überall eine
lebhafte Empfindung und einen frischen sinnlichen Ausdruck derselben gewährend,
weiß sie auch dem Einfachsten den Stempel seines großen Geistes aufzudrücken.
Wir weisen hin auf die Vorreden zu den verschiedenen Bänden der Grammatik,
zu den Rechtsalterthümern, zu der Mythologie, Namentlich in der zweiten Auf¬
lage derselben, und auf die Schrift über seine Entlassung. Ganz besonders aber
möchten wir die Erinnerung an eine kleine Gelegenheitsschrift, die fast vergessen
zu sein scheint, auffrischen, wir meinen die Schilderung „italienischer und skan¬
dinavischer Eindrücke". Sie vor Allem verdiente in einer Sammlung seiner klei¬
nern Schriften ausgenommen zu werden.
Jacob Grimm war nie verheirathet. Es liegt Ernst in dem scherzenden
38"
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