Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band.Nachdem Jacob Grimm in den Jahren 1846 in Frankfurt und 47 in Lü¬ Trotz der politischen Aufregungen und Zerstreuungen des Jahres 1848 Von nun an gehörte Grimms ganze Thätigkeit den Vorbereitungen zum Grenzboten IV. 1863. - 38
Nachdem Jacob Grimm in den Jahren 1846 in Frankfurt und 47 in Lü¬ Trotz der politischen Aufregungen und Zerstreuungen des Jahres 1848 Von nun an gehörte Grimms ganze Thätigkeit den Vorbereitungen zum Grenzboten IV. 1863. - 38
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Nachdem Jacob Grimm in den Jahren 1846 in Frankfurt und 47 in Lü¬
beck den Versammlungen der Germanisten präsidire hatte, denen damals, wo
es- in Deutschland noch kein öffentliches politisches Leben gab, eine höhere Be¬
deutung zukam als gegenwärtig den gelehrten Wanderversammlungen, ward er
im Jahre 1848 nach Frankfurt ins Parlament gewählt, auch in Gotha tagte
er mit 1849. Zu einem politischen Auftreten war er indeß nicht geschaffen.
Schon sein Organ eignete ihn nicht zum Redner; dabei war sein Wesen zu
eigenthümlich individuell, seiner Erfahrung lag die politische und sociale Welt
mit ihren Bedingungen und Forderungen zu ferne, als daß er eine hervor¬
ragende Rolle hätte spielen können. Dennoch ist er mehrfach aufgetreten, hat
selbst eigene Anträge gestellt und vertheidigt, die von der lautersten Vaterlands¬
liebe und dem edelsten Streben sür Recht und Freiheit zeugten.
Trotz der politischen Aufregungen und Zerstreuungen des Jahres 1848
vollendete er in eben diesem Jahre noch eines seiner Hauptwerke, die „Ge¬
schichte der deutschen Sprache", deren Dedication an Gervinus in Frank¬
furt geschrieben ist. Sie erschien in zwei Bänden, eine zweite, unveränderte
Auflage folgte 1853 in einem Bande. Dies Werk ist nicht, wie der Name zu¬
nächst vermuthen ließe, eine vollständige Geschichte der deutschen Sprache bis aus
unsere Zeit, sondern es ist mehr eine Vorgeschichte der deutschen Sprache, eine zusam¬
menfassende Erörterung der allgemeinen Grundlagen und Gesetze unserer Sprache,
ihrer Stellung zu den urverwandten und ihrer eigenen Spaltung in verschiedene
Sprachzweige und Dialekte. Dieses Werk liefert in manchen Punkten den Be¬
weis, daß Jacob Grimm seiner Freude und Lust an kühnen Combinationen, die
ihm meist so glänzend gelungen waren, im Alter anfing die Zügel schießen zu
lassen; die Jdentificirung der Gothen mit den Geten, auf die es ihm in die¬
sem Buche hauptsächlich ankam, ist von der Wissenschaft fast einstimmig
zurückgewiesen, und auch noch sonst findet sich im Einzelnen des Bedenklichen
nicht wenig, auch von Neuem jene Neigung zu einer isolirenden Richtung in
der Entwicklung und Begründung der deutschen Spracherscheinungen, trotz der
ununterbrochenen Rücksichtnahme auf die urverwandten Sprachen. Aber bei
alledem ist es ein erstaunliches Werk, und nicht sein geringster Werth beruht
darin, daß es zuerst lehrte, der Sprache Aufschlüsse abzugewinnen über die
fernstliegenden Geheimnisse der Culturgeschichte. In dieser Hinsicht darf es
wohl wiederum als epochemachend bezeichnet werden. — Im Jahre 1850 er¬
schien noch die umfängliche Vorrede zu Merkels I.ex Siüiea,, die die malber-
gische Glosse zum Gegenstande hatte und ihren deutschen Ursprung in umfas¬
sender und scharfsinniger Weise zu erhärten suchte. Mit Recht durfte diese
Vorrede „ein selbständiges Werk" genannt werden. ^
Von nun an gehörte Grimms ganze Thätigkeit den Vorbereitungen zum
„Deutschen Wörterbuche", das er mit seinem Bruder gemeinsam auszu-
Grenzboten IV. 1863. - 38
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