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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band.

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Seligkeit mußte hier der besonnenen, praktischen Verständigkeit weichen, Resolu¬
tionen und Adressen helfe" nichts in der Sache, sie bleiben leere Phrasen.
Nützen kann der Verein nichts, wohl aber viel schaden, wie jeder, der sich aus
seiner Sphäre in fremdes Gebiet verirrt; und in das Gebiet des Vereins ge¬
hört diese Schleswiger Sache ebensowenig, wie etwa die gedrückte Lage, in
der sich große Gebiete der evangelischen Kirche Deutschlands gegenüber unions¬
feindlichen Konsistorien oder Trauung verweigernden Geistlichen befinden. Will
der Verein anfangen, alle solche kirchlichen Nothstände in den Bereich seiner
Berathung zu ziehen, so variirt er sich in eine erfolglose Vielgeschäftigkeit, die
Alles anfaßt und dabei zuletzt nichts in der Hand behält. Eines schickt sich
nicht für Alle. Wenn jeder sich streng an die Verfolgung des Zieles hält, das
ihm gesteckt ist, und diesem Ziel mit ganzer Kraft zustrebt, so wird auf allen
Gebieten Tüchtiges erreicht. Daran hielt sich denn die Versammlung und
beschloß, "weil der Verein sich innerhalb der statutarischen Grenzen seiner Auf¬
gabe halten müsse", nicht weiter in die Sache einzutreten. Und wie schwer es
auch Vielen fallen mochte, diese einmal angeregte Angelegenheit so mit Still¬
schweigen zu begraben, gewiß hatte die Versammlung das Rechte gewählt mit
diesem Beschluß einer Selbstbeschränkung, der übrigens von den anwesenden
Schleswig-Holstcinern vollständig gebilligt ward.

Derselbe besonnene Sinn zeigte sich in der Leitung der Verhandlungen,
die durch Kirchenrath Hoffmann Von Leipzig in trefflicher Weise erfolgte. Mit
Festigkeit und freundlichem Wohlwollen wußte er überall, wo sich Reden,
Mahnungen oder Wünsche auf angrenzende Gebiete oder in das Allgemeine zu
verlieren drohten, den Zügel leise anzuziehen, der in das begrenzte Gebiet der
Vereinsthätigkeit wieder zurückführte. Der Ginblick in dies praktisch verständige
Treiben einer vielgegliederten, über ganz Deutschland verbreiteten und ganz seiner
eignen Selbstregierung überlassenen Genossenschaft machte einen ungemein wohl¬
thuenden Eindruck. Es steckt doch ein recht respectables Theil praktischen Sinnes
in diesem Volk, wenn man es selbst gewähren läßt, wenn man es nicht irre
und wirre macht mit allerhand Maßregelungen, Bevormundungen und polizei¬
lichen Einschnürungen. Wenn man uns in dieser Hinsicht immer und immer
wieder das Lob der Engländer singt, so sei es erlaubt zu sagen: in ihren kirch¬
lichen Associationen bewähren die Engländer viel weniger praktischen Sinn als wir
Deutschen. Sie würden allerdings in einem so großen Verein mehr Geld auf¬
bringen, aber sie würden auch viel mehr Geld an barocke Experimente vergeu¬
den; abgesehen von ihren Bibel- und Missivnsgcsellschaftcn haben die zahl¬
reichen Versammlungen ihrer kirchlichen Genossenschaften Viel mehr Phrase auf¬
zuweisen und Viel weniger Resultate als die unsern.

Die praktischen Resultate der letztjährigen Vereinsthätigkeit waren nieder¬
gelegt in dem in der Versammlung vorgetragenen Geschäftsbericht des Central-


Seligkeit mußte hier der besonnenen, praktischen Verständigkeit weichen, Resolu¬
tionen und Adressen helfe» nichts in der Sache, sie bleiben leere Phrasen.
Nützen kann der Verein nichts, wohl aber viel schaden, wie jeder, der sich aus
seiner Sphäre in fremdes Gebiet verirrt; und in das Gebiet des Vereins ge¬
hört diese Schleswiger Sache ebensowenig, wie etwa die gedrückte Lage, in
der sich große Gebiete der evangelischen Kirche Deutschlands gegenüber unions¬
feindlichen Konsistorien oder Trauung verweigernden Geistlichen befinden. Will
der Verein anfangen, alle solche kirchlichen Nothstände in den Bereich seiner
Berathung zu ziehen, so variirt er sich in eine erfolglose Vielgeschäftigkeit, die
Alles anfaßt und dabei zuletzt nichts in der Hand behält. Eines schickt sich
nicht für Alle. Wenn jeder sich streng an die Verfolgung des Zieles hält, das
ihm gesteckt ist, und diesem Ziel mit ganzer Kraft zustrebt, so wird auf allen
Gebieten Tüchtiges erreicht. Daran hielt sich denn die Versammlung und
beschloß, „weil der Verein sich innerhalb der statutarischen Grenzen seiner Auf¬
gabe halten müsse", nicht weiter in die Sache einzutreten. Und wie schwer es
auch Vielen fallen mochte, diese einmal angeregte Angelegenheit so mit Still¬
schweigen zu begraben, gewiß hatte die Versammlung das Rechte gewählt mit
diesem Beschluß einer Selbstbeschränkung, der übrigens von den anwesenden
Schleswig-Holstcinern vollständig gebilligt ward.

Derselbe besonnene Sinn zeigte sich in der Leitung der Verhandlungen,
die durch Kirchenrath Hoffmann Von Leipzig in trefflicher Weise erfolgte. Mit
Festigkeit und freundlichem Wohlwollen wußte er überall, wo sich Reden,
Mahnungen oder Wünsche auf angrenzende Gebiete oder in das Allgemeine zu
verlieren drohten, den Zügel leise anzuziehen, der in das begrenzte Gebiet der
Vereinsthätigkeit wieder zurückführte. Der Ginblick in dies praktisch verständige
Treiben einer vielgegliederten, über ganz Deutschland verbreiteten und ganz seiner
eignen Selbstregierung überlassenen Genossenschaft machte einen ungemein wohl¬
thuenden Eindruck. Es steckt doch ein recht respectables Theil praktischen Sinnes
in diesem Volk, wenn man es selbst gewähren läßt, wenn man es nicht irre
und wirre macht mit allerhand Maßregelungen, Bevormundungen und polizei¬
lichen Einschnürungen. Wenn man uns in dieser Hinsicht immer und immer
wieder das Lob der Engländer singt, so sei es erlaubt zu sagen: in ihren kirch¬
lichen Associationen bewähren die Engländer viel weniger praktischen Sinn als wir
Deutschen. Sie würden allerdings in einem so großen Verein mehr Geld auf¬
bringen, aber sie würden auch viel mehr Geld an barocke Experimente vergeu¬
den; abgesehen von ihren Bibel- und Missivnsgcsellschaftcn haben die zahl¬
reichen Versammlungen ihrer kirchlichen Genossenschaften Viel mehr Phrase auf¬
zuweisen und Viel weniger Resultate als die unsern.

Die praktischen Resultate der letztjährigen Vereinsthätigkeit waren nieder¬
gelegt in dem in der Versammlung vorgetragenen Geschäftsbericht des Central-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115927/30>, abgerufen am 15.01.2025.