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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band.

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Es reizt, den ersten Aeußerungen eines bedeutenden Mannes nachzugehen,
die Spuren der späteren Größe in den unscheinbaren Anfängen aufzusuchen.

Die Ersti ingsfrüchte seiner Arbeiten finden wir in zwA Zeit¬
schriften niedergelegt, die wir die Organe jener beiden Kreise nennen können,
welche wir oben an der Wiege der jungen Wissenschaft stehen sahen. Der
"Neue Litterarische Anzeiger" sammelte um sich unter B. Dvcens so wichtig¬
thuender wie gcheimnißträmcrischer Leitung die gelehrten Nvtizenkrämer,
Achin von Arnims "Zeitung für Einsiedler" (dann als "Trosteinsamkeit"
herausgegeben) diente der mehr in der Tiefe suchenden, freilich oft noch recht
unklaren und embryvnenhaften Richtung der romantischen Schule. Daß Jacob
Grimm an beiden sich betheiligte, war schon bezeichnend für seine universellere
Stellung; seine Aufsätze zeigen überdies, daß er in jedem Kreise mit ganz
anderer Ausrüstung und Vorbereitung, mit ganz anderen Ansprüchen an sich
und seine Wissenschaft auftrat als die übrigen Theilnehmer. Nächst kleinen
Notizen, z. B. den Berichtigungen zu F. Adelungs Nachrichten von altdeutschen
Handschriften, betraf die erste Abhandlung "des Herrn Kriegs-Secretärs Grimm"
im Anzeiger "das Nibelungenlied" (N. L. A. 1807. Ur. 13 u. 16). Zum
ersten Male ward hier die Forderung streng philologischer Behandlung auch
deutscher Texte laut und zugleich der Beweis schon aufgewandten philologischen
Studiums geliefert. Denn Jacob Grimm war der Erste, der entdeckte, daß die
Myllerfche Ausgabe des Nibelungenliedes arglos aus zwei ganz verschiedenen
Recensionen zusammengedruckt sei; er vermochte auch schon Andeutungen aus
dem Gebiete der höheren Kritik zu geben, indem er, auf Beobachtungen über
Sprache, Stil und Darstellung gestützt, die Unmöglichkeit behauptete, daß das
Nibelungenlied und die "Klage" von Konrad v. Würzburg herrühren könnten,
dem man damals, aus Mißverständniß der Schlußworte der "Klage", jene beiden
Gedichte beilegte. Auch die nordischen Quellen waren bereits herbeigezogen;
kurz es war hier zum ersten Male eine wirkliche Untersuchung geliefert. Der
zweite Aufsatz handelte über "den Meister- und Minnegesang" (ebenda Ur. 23
und Ur. 43). Auch hier verrieth sich der scharfe und geübte Blick. Die un¬
klare Ansicht von der naiven For.in der mittelhochdeutschen Lyrik ward bekämpft,
vielmehr auf die Künstlichkeit derselben und auf deren Gemeinsamkeit im sogenann¬
ten Minne- und Meistergesänge hingewiesen. Docens und später auch v. d. Ha-
gens Widersprüche, so wenig scharf gefaßt und bedeutend sie. waren, zwangen
doch Jacob Grimm, seine Beweisführung auszudehnen, und so entstand daraus
ein eigenes Buch "Ueber den altdeutschen Meistergesang", (Göttingen 1811), in
welchem zuerst die Dreitheiligkeit im Bau der mittelhochdeutschen Strophe nach¬
gewiesen ward, eine für die Kenntniß der altdeutschen Poesie und selbst ihres
Verhältnisses zur proper^ausehen und französischen sehr wichtige Entdeckung.
Eine kleine Notiz "Von der Uebereinstimmung der alten Sagen" (ebenda


Es reizt, den ersten Aeußerungen eines bedeutenden Mannes nachzugehen,
die Spuren der späteren Größe in den unscheinbaren Anfängen aufzusuchen.

Die Ersti ingsfrüchte seiner Arbeiten finden wir in zwA Zeit¬
schriften niedergelegt, die wir die Organe jener beiden Kreise nennen können,
welche wir oben an der Wiege der jungen Wissenschaft stehen sahen. Der
„Neue Litterarische Anzeiger" sammelte um sich unter B. Dvcens so wichtig¬
thuender wie gcheimnißträmcrischer Leitung die gelehrten Nvtizenkrämer,
Achin von Arnims „Zeitung für Einsiedler" (dann als „Trosteinsamkeit"
herausgegeben) diente der mehr in der Tiefe suchenden, freilich oft noch recht
unklaren und embryvnenhaften Richtung der romantischen Schule. Daß Jacob
Grimm an beiden sich betheiligte, war schon bezeichnend für seine universellere
Stellung; seine Aufsätze zeigen überdies, daß er in jedem Kreise mit ganz
anderer Ausrüstung und Vorbereitung, mit ganz anderen Ansprüchen an sich
und seine Wissenschaft auftrat als die übrigen Theilnehmer. Nächst kleinen
Notizen, z. B. den Berichtigungen zu F. Adelungs Nachrichten von altdeutschen
Handschriften, betraf die erste Abhandlung „des Herrn Kriegs-Secretärs Grimm"
im Anzeiger „das Nibelungenlied" (N. L. A. 1807. Ur. 13 u. 16). Zum
ersten Male ward hier die Forderung streng philologischer Behandlung auch
deutscher Texte laut und zugleich der Beweis schon aufgewandten philologischen
Studiums geliefert. Denn Jacob Grimm war der Erste, der entdeckte, daß die
Myllerfche Ausgabe des Nibelungenliedes arglos aus zwei ganz verschiedenen
Recensionen zusammengedruckt sei; er vermochte auch schon Andeutungen aus
dem Gebiete der höheren Kritik zu geben, indem er, auf Beobachtungen über
Sprache, Stil und Darstellung gestützt, die Unmöglichkeit behauptete, daß das
Nibelungenlied und die „Klage" von Konrad v. Würzburg herrühren könnten,
dem man damals, aus Mißverständniß der Schlußworte der „Klage", jene beiden
Gedichte beilegte. Auch die nordischen Quellen waren bereits herbeigezogen;
kurz es war hier zum ersten Male eine wirkliche Untersuchung geliefert. Der
zweite Aufsatz handelte über „den Meister- und Minnegesang" (ebenda Ur. 23
und Ur. 43). Auch hier verrieth sich der scharfe und geübte Blick. Die un¬
klare Ansicht von der naiven For.in der mittelhochdeutschen Lyrik ward bekämpft,
vielmehr auf die Künstlichkeit derselben und auf deren Gemeinsamkeit im sogenann¬
ten Minne- und Meistergesänge hingewiesen. Docens und später auch v. d. Ha-
gens Widersprüche, so wenig scharf gefaßt und bedeutend sie. waren, zwangen
doch Jacob Grimm, seine Beweisführung auszudehnen, und so entstand daraus
ein eigenes Buch „Ueber den altdeutschen Meistergesang", (Göttingen 1811), in
welchem zuerst die Dreitheiligkeit im Bau der mittelhochdeutschen Strophe nach¬
gewiesen ward, eine für die Kenntniß der altdeutschen Poesie und selbst ihres
Verhältnisses zur proper^ausehen und französischen sehr wichtige Entdeckung.
Eine kleine Notiz „Von der Uebereinstimmung der alten Sagen" (ebenda


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[0292] Es reizt, den ersten Aeußerungen eines bedeutenden Mannes nachzugehen, die Spuren der späteren Größe in den unscheinbaren Anfängen aufzusuchen. Die Ersti ingsfrüchte seiner Arbeiten finden wir in zwA Zeit¬ schriften niedergelegt, die wir die Organe jener beiden Kreise nennen können, welche wir oben an der Wiege der jungen Wissenschaft stehen sahen. Der „Neue Litterarische Anzeiger" sammelte um sich unter B. Dvcens so wichtig¬ thuender wie gcheimnißträmcrischer Leitung die gelehrten Nvtizenkrämer, Achin von Arnims „Zeitung für Einsiedler" (dann als „Trosteinsamkeit" herausgegeben) diente der mehr in der Tiefe suchenden, freilich oft noch recht unklaren und embryvnenhaften Richtung der romantischen Schule. Daß Jacob Grimm an beiden sich betheiligte, war schon bezeichnend für seine universellere Stellung; seine Aufsätze zeigen überdies, daß er in jedem Kreise mit ganz anderer Ausrüstung und Vorbereitung, mit ganz anderen Ansprüchen an sich und seine Wissenschaft auftrat als die übrigen Theilnehmer. Nächst kleinen Notizen, z. B. den Berichtigungen zu F. Adelungs Nachrichten von altdeutschen Handschriften, betraf die erste Abhandlung „des Herrn Kriegs-Secretärs Grimm" im Anzeiger „das Nibelungenlied" (N. L. A. 1807. Ur. 13 u. 16). Zum ersten Male ward hier die Forderung streng philologischer Behandlung auch deutscher Texte laut und zugleich der Beweis schon aufgewandten philologischen Studiums geliefert. Denn Jacob Grimm war der Erste, der entdeckte, daß die Myllerfche Ausgabe des Nibelungenliedes arglos aus zwei ganz verschiedenen Recensionen zusammengedruckt sei; er vermochte auch schon Andeutungen aus dem Gebiete der höheren Kritik zu geben, indem er, auf Beobachtungen über Sprache, Stil und Darstellung gestützt, die Unmöglichkeit behauptete, daß das Nibelungenlied und die „Klage" von Konrad v. Würzburg herrühren könnten, dem man damals, aus Mißverständniß der Schlußworte der „Klage", jene beiden Gedichte beilegte. Auch die nordischen Quellen waren bereits herbeigezogen; kurz es war hier zum ersten Male eine wirkliche Untersuchung geliefert. Der zweite Aufsatz handelte über „den Meister- und Minnegesang" (ebenda Ur. 23 und Ur. 43). Auch hier verrieth sich der scharfe und geübte Blick. Die un¬ klare Ansicht von der naiven For.in der mittelhochdeutschen Lyrik ward bekämpft, vielmehr auf die Künstlichkeit derselben und auf deren Gemeinsamkeit im sogenann¬ ten Minne- und Meistergesänge hingewiesen. Docens und später auch v. d. Ha- gens Widersprüche, so wenig scharf gefaßt und bedeutend sie. waren, zwangen doch Jacob Grimm, seine Beweisführung auszudehnen, und so entstand daraus ein eigenes Buch „Ueber den altdeutschen Meistergesang", (Göttingen 1811), in welchem zuerst die Dreitheiligkeit im Bau der mittelhochdeutschen Strophe nach¬ gewiesen ward, eine für die Kenntniß der altdeutschen Poesie und selbst ihres Verhältnisses zur proper^ausehen und französischen sehr wichtige Entdeckung. Eine kleine Notiz „Von der Uebereinstimmung der alten Sagen" (ebenda

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115927/292>, abgerufen am 15.01.2025.