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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band.

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ein fördernder Bundesgenosse sein kann, ohne Voreingenommenheit zu beur¬
theilen. Dafür aber ist wünschenswerth, Wesen und Charakter des eigenthüm¬
lichen Mannes ,in Rechnung zu bringen. Uns Deutschen wird dies leichter mög¬
lich als einem andern'Volk, die Franzosen nicht ausgenommen. Denn der
Kaiser hat nicht nur durch Erziehung und Bildung einige Besonderheit der
deutschen Art erhalten, es ist auch in seiner Natur etwas, das -- mit Respect
vor dem gescheuten Herrn sei diese Artigkeit ausgesprochen -- ihn einem deutschen
Professor ähnlicher macht als irgend einem andern Herrscher aus den alten und
neuen Familien, welche jemals die Geschichte Frankreichs gelenkt haben.

Es wird in Deutschland Wenige geben, welche den Kaiser für einen warm¬
herzigen, begeisterten und selbstlosen Freund der Volksfreiheit und idealer Em¬
pfindungen halten werden. Zuverlässig inen diejenigen aber ebensosehr, welche
in ihm einen kalten, egoistischen, praktischen Verstandesmenschen fürchten. Wenn
er weder ganz das Eine wie das Andere ist, so wurde sein Wesen doch aus
einer seltsamen Mischung beider Empsindungsweiscn zusammengewebt. In dem
abenteuernden Leben seiner Jugend, worin tausend Andere untergegangen wären,
hat ihn eine begeisterte und phantastische Ueberzeugung von seiner hohen Be¬
stimmung vor dem Untergange geschützt, im Verkehr mit verzweifelten und ge¬
setzlosen Genossen hat er nicht nur ein ernstes Interesse an systematischer Arbeit
sich bewahrt, sondern selbst mit einem ausgezeichneten Jnstinct für wissenschaft¬
liche Methode sich als einen nicht unbedeutenden Schriftsteller erwiesen. Er
liebt es, sich auch für Projecte, bei denen gemeiner Verstand praktische und
egoistische Motive sehr leicht findet, die höchsten Gesichtspunkte zu stellen. Die
Selbstsucht eines despotischen Aufklärers ist in ihm mit dem tiefen Bedürfniß
eines gemüthlichen Einvernehmens mit Andern verbunden. Niemand versteht
besser Menschen zu verpflichten, im persönlichen Verkehr einen wohlthuenden Ein¬
druck zu machen. Er, der für so schweigsam gilt, kann, wo er angeregt wird,
durch Offenheit und Hingebung erwärmen, und derselbe Mann, dem man die
größte Verschlagenheit zutraut, erweist sich bei dem einzelnen Geschäft ehrlicher
und zuverlässiger als die Leute, denen Gutherzigkeit als hervorragende Eigen¬
schaft nachgerühmt wird. Der innere Widerspruch ist nun freilich scheinbar, die
Vermittelung dieser Gegensätze wird bei ihm aber nicht vorzugsweise durch kluge
Berechnung bewirkt. Daß er seine persönlichen Forderungen an die Welt als
einen großen Beruf auffaßte, und daß er die Kraft besaß, in einigen großen
nationalen Interessen, was erden Franzosen für Vortheilhaft hielt, sogar gegen
die herrschende Stimmung durchzusetzen, das hat ihm jetzt auch in den Augen
seines Volkes einen Werth gegeben, der ihn von einem gewaltthätigen Usur¬
pator wesentlich unterscheidet.

Oft ist seine Methode, eine wichtige Frage anzugreifen, dargestellt worden,
wie er langsam, schwerflüssig, schweigend sich selbst eine Sache einbildet, wie


ein fördernder Bundesgenosse sein kann, ohne Voreingenommenheit zu beur¬
theilen. Dafür aber ist wünschenswerth, Wesen und Charakter des eigenthüm¬
lichen Mannes ,in Rechnung zu bringen. Uns Deutschen wird dies leichter mög¬
lich als einem andern'Volk, die Franzosen nicht ausgenommen. Denn der
Kaiser hat nicht nur durch Erziehung und Bildung einige Besonderheit der
deutschen Art erhalten, es ist auch in seiner Natur etwas, das — mit Respect
vor dem gescheuten Herrn sei diese Artigkeit ausgesprochen — ihn einem deutschen
Professor ähnlicher macht als irgend einem andern Herrscher aus den alten und
neuen Familien, welche jemals die Geschichte Frankreichs gelenkt haben.

Es wird in Deutschland Wenige geben, welche den Kaiser für einen warm¬
herzigen, begeisterten und selbstlosen Freund der Volksfreiheit und idealer Em¬
pfindungen halten werden. Zuverlässig inen diejenigen aber ebensosehr, welche
in ihm einen kalten, egoistischen, praktischen Verstandesmenschen fürchten. Wenn
er weder ganz das Eine wie das Andere ist, so wurde sein Wesen doch aus
einer seltsamen Mischung beider Empsindungsweiscn zusammengewebt. In dem
abenteuernden Leben seiner Jugend, worin tausend Andere untergegangen wären,
hat ihn eine begeisterte und phantastische Ueberzeugung von seiner hohen Be¬
stimmung vor dem Untergange geschützt, im Verkehr mit verzweifelten und ge¬
setzlosen Genossen hat er nicht nur ein ernstes Interesse an systematischer Arbeit
sich bewahrt, sondern selbst mit einem ausgezeichneten Jnstinct für wissenschaft¬
liche Methode sich als einen nicht unbedeutenden Schriftsteller erwiesen. Er
liebt es, sich auch für Projecte, bei denen gemeiner Verstand praktische und
egoistische Motive sehr leicht findet, die höchsten Gesichtspunkte zu stellen. Die
Selbstsucht eines despotischen Aufklärers ist in ihm mit dem tiefen Bedürfniß
eines gemüthlichen Einvernehmens mit Andern verbunden. Niemand versteht
besser Menschen zu verpflichten, im persönlichen Verkehr einen wohlthuenden Ein¬
druck zu machen. Er, der für so schweigsam gilt, kann, wo er angeregt wird,
durch Offenheit und Hingebung erwärmen, und derselbe Mann, dem man die
größte Verschlagenheit zutraut, erweist sich bei dem einzelnen Geschäft ehrlicher
und zuverlässiger als die Leute, denen Gutherzigkeit als hervorragende Eigen¬
schaft nachgerühmt wird. Der innere Widerspruch ist nun freilich scheinbar, die
Vermittelung dieser Gegensätze wird bei ihm aber nicht vorzugsweise durch kluge
Berechnung bewirkt. Daß er seine persönlichen Forderungen an die Welt als
einen großen Beruf auffaßte, und daß er die Kraft besaß, in einigen großen
nationalen Interessen, was erden Franzosen für Vortheilhaft hielt, sogar gegen
die herrschende Stimmung durchzusetzen, das hat ihm jetzt auch in den Augen
seines Volkes einen Werth gegeben, der ihn von einem gewaltthätigen Usur¬
pator wesentlich unterscheidet.

Oft ist seine Methode, eine wichtige Frage anzugreifen, dargestellt worden,
wie er langsam, schwerflüssig, schweigend sich selbst eine Sache einbildet, wie


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115927/286>, abgerufen am 15.01.2025.