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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band.

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historischen Commission (Beilage zu v. Sybels historischer Zeitschrift) und zwar
im zweiten Stück des ersten Jahrgangs, im ersten Stück des zweiten Jahr¬
gangs und im dritten Stück des dritten Jahrgangs. Alle Preisarbeiten sind
an das Secretariat der historischen Commission bei der königl. bayrischen
Akademie der Wissenschaften in München einzusenden.




Die Woche der Thronreden.

Der Beginn des Winters erregt in den meisten Staaten Europas die Wir"
bel einer politischen Bewegung, welche zur Zeit unserer Großväter fast unbe¬
kannt war; die hochgesteigerten Ansprüche der Gegenwart haben auch unseren
Souveränen eine Last ausgelegt, welche zahlreichen höchstseligen Herren un¬
erträglich erschienen wäre: die Thronreden.

Uns interessiren von diesen feierlichen Lebensäußerungen der höchsten Staats¬
gewalt vor andern zwei, die Thronreden von Preußen und Frankreich. Kaum
ist ein größerer Gegensatz denkbar als zwischen diesen beiden Ansprachen. Wäh¬
rend in unserem gesetzlich und parlamentarisch regierten Preußen die Ansprache
des Souveräns an seinen Landtag verräth, daß man dort in dieser Hinsicht
sehr constitutionell verfährt und den Ministern die Sorge für Stil und Perioden¬
bau überläßt, ist die französische Thronrede immer die eigene und originelle
Arbeit des Kaisers selbst, darauf berechnet, nicht nur Frankreich und das Aus¬
land, sondern zuweilen selbst die eigenen Minister zu überraschen.

Und allerdings haben die Thronreden des Kaisers fast immer einen eigen¬
thümlichen Inhalt, sie werden einst als besonders charakteristische und in vieler
Hinsicht sehr offenherzige Lebensäußerungen eines Mannes betrachtet werden,
der seine Zeitgenossen, wie ein nicht zu lösendes Räthsel, Jahr aus Jahr ein
beschäftigt und ein stehender Mittelpunkt für die Speculationen sorgender und
hoffnungsvoller Politiker geworden ist. Auch die letzte Rede hat Staunen,
Schrecken, unsichere Erwartung hervorgerufen, man war auf etwas Ungewöhn¬
liches gesaßt, aber die Gefühle und Pläne, welche der Kaiser diesmal ausspricht,
kamen dem Publicum Europas doch sehr unerwartet.

Es ziemt uns Deutschen, die Lebensäußerungen eines mächtigen Souveräns,
der unser Nachbar ist, ein gefährlicher Feind sein würde und unter Umständen


historischen Commission (Beilage zu v. Sybels historischer Zeitschrift) und zwar
im zweiten Stück des ersten Jahrgangs, im ersten Stück des zweiten Jahr¬
gangs und im dritten Stück des dritten Jahrgangs. Alle Preisarbeiten sind
an das Secretariat der historischen Commission bei der königl. bayrischen
Akademie der Wissenschaften in München einzusenden.




Die Woche der Thronreden.

Der Beginn des Winters erregt in den meisten Staaten Europas die Wir«
bel einer politischen Bewegung, welche zur Zeit unserer Großväter fast unbe¬
kannt war; die hochgesteigerten Ansprüche der Gegenwart haben auch unseren
Souveränen eine Last ausgelegt, welche zahlreichen höchstseligen Herren un¬
erträglich erschienen wäre: die Thronreden.

Uns interessiren von diesen feierlichen Lebensäußerungen der höchsten Staats¬
gewalt vor andern zwei, die Thronreden von Preußen und Frankreich. Kaum
ist ein größerer Gegensatz denkbar als zwischen diesen beiden Ansprachen. Wäh¬
rend in unserem gesetzlich und parlamentarisch regierten Preußen die Ansprache
des Souveräns an seinen Landtag verräth, daß man dort in dieser Hinsicht
sehr constitutionell verfährt und den Ministern die Sorge für Stil und Perioden¬
bau überläßt, ist die französische Thronrede immer die eigene und originelle
Arbeit des Kaisers selbst, darauf berechnet, nicht nur Frankreich und das Aus¬
land, sondern zuweilen selbst die eigenen Minister zu überraschen.

Und allerdings haben die Thronreden des Kaisers fast immer einen eigen¬
thümlichen Inhalt, sie werden einst als besonders charakteristische und in vieler
Hinsicht sehr offenherzige Lebensäußerungen eines Mannes betrachtet werden,
der seine Zeitgenossen, wie ein nicht zu lösendes Räthsel, Jahr aus Jahr ein
beschäftigt und ein stehender Mittelpunkt für die Speculationen sorgender und
hoffnungsvoller Politiker geworden ist. Auch die letzte Rede hat Staunen,
Schrecken, unsichere Erwartung hervorgerufen, man war auf etwas Ungewöhn¬
liches gesaßt, aber die Gefühle und Pläne, welche der Kaiser diesmal ausspricht,
kamen dem Publicum Europas doch sehr unerwartet.

Es ziemt uns Deutschen, die Lebensäußerungen eines mächtigen Souveräns,
der unser Nachbar ist, ein gefährlicher Feind sein würde und unter Umständen


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[0285] historischen Commission (Beilage zu v. Sybels historischer Zeitschrift) und zwar im zweiten Stück des ersten Jahrgangs, im ersten Stück des zweiten Jahr¬ gangs und im dritten Stück des dritten Jahrgangs. Alle Preisarbeiten sind an das Secretariat der historischen Commission bei der königl. bayrischen Akademie der Wissenschaften in München einzusenden. Die Woche der Thronreden. Der Beginn des Winters erregt in den meisten Staaten Europas die Wir« bel einer politischen Bewegung, welche zur Zeit unserer Großväter fast unbe¬ kannt war; die hochgesteigerten Ansprüche der Gegenwart haben auch unseren Souveränen eine Last ausgelegt, welche zahlreichen höchstseligen Herren un¬ erträglich erschienen wäre: die Thronreden. Uns interessiren von diesen feierlichen Lebensäußerungen der höchsten Staats¬ gewalt vor andern zwei, die Thronreden von Preußen und Frankreich. Kaum ist ein größerer Gegensatz denkbar als zwischen diesen beiden Ansprachen. Wäh¬ rend in unserem gesetzlich und parlamentarisch regierten Preußen die Ansprache des Souveräns an seinen Landtag verräth, daß man dort in dieser Hinsicht sehr constitutionell verfährt und den Ministern die Sorge für Stil und Perioden¬ bau überläßt, ist die französische Thronrede immer die eigene und originelle Arbeit des Kaisers selbst, darauf berechnet, nicht nur Frankreich und das Aus¬ land, sondern zuweilen selbst die eigenen Minister zu überraschen. Und allerdings haben die Thronreden des Kaisers fast immer einen eigen¬ thümlichen Inhalt, sie werden einst als besonders charakteristische und in vieler Hinsicht sehr offenherzige Lebensäußerungen eines Mannes betrachtet werden, der seine Zeitgenossen, wie ein nicht zu lösendes Räthsel, Jahr aus Jahr ein beschäftigt und ein stehender Mittelpunkt für die Speculationen sorgender und hoffnungsvoller Politiker geworden ist. Auch die letzte Rede hat Staunen, Schrecken, unsichere Erwartung hervorgerufen, man war auf etwas Ungewöhn¬ liches gesaßt, aber die Gefühle und Pläne, welche der Kaiser diesmal ausspricht, kamen dem Publicum Europas doch sehr unerwartet. Es ziemt uns Deutschen, die Lebensäußerungen eines mächtigen Souveräns, der unser Nachbar ist, ein gefährlicher Feind sein würde und unter Umständen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115927/285>, abgerufen am 15.01.2025.