Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

chen bauen, so klein wie Hekates Kapellchen, die aller Orten stehen vor jeder
Thür." Vor diese Hekatcien setzte man auch zu gewissen Zeiten Speisen hin,
die dann auch ihre Liebhaber an Gespenstern mit Fleisch und Bein fanden.
Wenigstens macht Demosthenes dem Koror und Konsorten einen darauf be¬
züglichen Vorwurf.

Die Ansichten der Gebildeteren über die Geisterwelt standen auch im Alter¬
thume zu jeder Zeit in größerem oder geringerem Widerspruche zu dem Glau¬
ben des Volks. Vielen Einfluß hatten in dieser Hinsicht die Lustspieldichter.
Aristophanes karikirt in den "Fröschen" das ganze unterweltliche Leben. Von
einem unbekannten Komiker lautet ein Fragment: "Wenn wirklich Todte, wie
von Manchen geglaubt wird, Empfindung hätten, würd' ich längst mich auf¬
gehängt haben, mir anzusehn nur einmal den Euripides." Ein anderer pa-
rodirte die Anfangsworte des Geistes in der "Hekabe" des Euripides: "Aus
Todesklüften komm ich und des Dunkels Thor herschreitend, wo von Göttern
fern wohnt Erebos", in folgender Weise: "Vom Bäckerladen komm ich das
Thearion herschreitend, wo der Napf' und Kacheln Sammelplatz." Die Zweif¬
ler und Bekämpfer des Volksglaubens mehrten sich noch bei den Römern und
zwar besonders vom epikuräischen und stoischen Standpunkt aus. Ciceros und
Senekas Ueberzeugung ist bereits angedeutet worden. Noch stärker spricht sich
jener in seiner Rede für Kluentius aus, wo er die Vorstellung von dem jen¬
seitigen Strafgerichte "nach jedermanns Urtheil" für falsch erklärt. Der Dich¬
ter Lukrez widmet der Bestreitung der im Volke cursirenden psychologischen
Meinungen zwei Bücher seines Lehrgedichts und schreibt unter Anderem : "Wir
wollen ja nicht glauben, daß die Seelen aus dem Acheron entfliehen oder als
Schatten unter den Lebendigen herumflattern, noch daß ein Theil von uns nach
dem Tode übrig bleiben könne, nachdem der Körper, und die zerstörte Natur
des Geistes sich in ihre Elemente (die Atome) aufgelöst haben." Und während
sich bei Ovid Anklänge an die pythagoräische Umkörperungstheorie finden, heißt
es bei Juvenal geradezu: "Daß kein Märchen die Manen und unterirdischen
Reiche seien und der Fährmann und im stygischen Pfuhle die schwärzlichen
Frösche, daß Ein Kahn mit so vielen Tausenden über die Fluth steuert, das
glaubt nur der Knabe, der noch nicht im Bade bezahlt hat seinen Dreier."
Horaz fragt den Jünger der wahren Weisheit: "Verlachst du Träume, magische
Schrecknisse, Wunder. Hexen, nächtliche Gespenster und thessalischen Zauber?"
Plutarch läßt Brutus über die bekannte Erscheinung seines bösen Genius bei
Philippi von Kasstus getröstet und auf das Trügliche der sinnlichen Eindrücke
hingewiesen werden. Doch er selbst schreibt im Leben Dions: "Da.Dion und
Brutus, die beide ernste Männer und Philosophen waren, über ein Gespenst,
das ihnen erschien, so sehr erschrocken sind, daß sie diese Erscheinung Anderen
erzählt haben, so sehe ich nicht, warum wir nicht der Meinung der Alten, so


chen bauen, so klein wie Hekates Kapellchen, die aller Orten stehen vor jeder
Thür." Vor diese Hekatcien setzte man auch zu gewissen Zeiten Speisen hin,
die dann auch ihre Liebhaber an Gespenstern mit Fleisch und Bein fanden.
Wenigstens macht Demosthenes dem Koror und Konsorten einen darauf be¬
züglichen Vorwurf.

Die Ansichten der Gebildeteren über die Geisterwelt standen auch im Alter¬
thume zu jeder Zeit in größerem oder geringerem Widerspruche zu dem Glau¬
ben des Volks. Vielen Einfluß hatten in dieser Hinsicht die Lustspieldichter.
Aristophanes karikirt in den „Fröschen" das ganze unterweltliche Leben. Von
einem unbekannten Komiker lautet ein Fragment: „Wenn wirklich Todte, wie
von Manchen geglaubt wird, Empfindung hätten, würd' ich längst mich auf¬
gehängt haben, mir anzusehn nur einmal den Euripides." Ein anderer pa-
rodirte die Anfangsworte des Geistes in der „Hekabe" des Euripides: „Aus
Todesklüften komm ich und des Dunkels Thor herschreitend, wo von Göttern
fern wohnt Erebos", in folgender Weise: „Vom Bäckerladen komm ich das
Thearion herschreitend, wo der Napf' und Kacheln Sammelplatz." Die Zweif¬
ler und Bekämpfer des Volksglaubens mehrten sich noch bei den Römern und
zwar besonders vom epikuräischen und stoischen Standpunkt aus. Ciceros und
Senekas Ueberzeugung ist bereits angedeutet worden. Noch stärker spricht sich
jener in seiner Rede für Kluentius aus, wo er die Vorstellung von dem jen¬
seitigen Strafgerichte „nach jedermanns Urtheil" für falsch erklärt. Der Dich¬
ter Lukrez widmet der Bestreitung der im Volke cursirenden psychologischen
Meinungen zwei Bücher seines Lehrgedichts und schreibt unter Anderem : „Wir
wollen ja nicht glauben, daß die Seelen aus dem Acheron entfliehen oder als
Schatten unter den Lebendigen herumflattern, noch daß ein Theil von uns nach
dem Tode übrig bleiben könne, nachdem der Körper, und die zerstörte Natur
des Geistes sich in ihre Elemente (die Atome) aufgelöst haben." Und während
sich bei Ovid Anklänge an die pythagoräische Umkörperungstheorie finden, heißt
es bei Juvenal geradezu: „Daß kein Märchen die Manen und unterirdischen
Reiche seien und der Fährmann und im stygischen Pfuhle die schwärzlichen
Frösche, daß Ein Kahn mit so vielen Tausenden über die Fluth steuert, das
glaubt nur der Knabe, der noch nicht im Bade bezahlt hat seinen Dreier."
Horaz fragt den Jünger der wahren Weisheit: „Verlachst du Träume, magische
Schrecknisse, Wunder. Hexen, nächtliche Gespenster und thessalischen Zauber?"
Plutarch läßt Brutus über die bekannte Erscheinung seines bösen Genius bei
Philippi von Kasstus getröstet und auf das Trügliche der sinnlichen Eindrücke
hingewiesen werden. Doch er selbst schreibt im Leben Dions: „Da.Dion und
Brutus, die beide ernste Männer und Philosophen waren, über ein Gespenst,
das ihnen erschien, so sehr erschrocken sind, daß sie diese Erscheinung Anderen
erzählt haben, so sehe ich nicht, warum wir nicht der Meinung der Alten, so


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0278" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/116206"/>
          <p xml:id="ID_955" prev="#ID_954"> chen bauen, so klein wie Hekates Kapellchen, die aller Orten stehen vor jeder<lb/>
Thür." Vor diese Hekatcien setzte man auch zu gewissen Zeiten Speisen hin,<lb/>
die dann auch ihre Liebhaber an Gespenstern mit Fleisch und Bein fanden.<lb/>
Wenigstens macht Demosthenes dem Koror und Konsorten einen darauf be¬<lb/>
züglichen Vorwurf.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_956" next="#ID_957"> Die Ansichten der Gebildeteren über die Geisterwelt standen auch im Alter¬<lb/>
thume zu jeder Zeit in größerem oder geringerem Widerspruche zu dem Glau¬<lb/>
ben des Volks. Vielen Einfluß hatten in dieser Hinsicht die Lustspieldichter.<lb/>
Aristophanes karikirt in den &#x201E;Fröschen" das ganze unterweltliche Leben. Von<lb/>
einem unbekannten Komiker lautet ein Fragment: &#x201E;Wenn wirklich Todte, wie<lb/>
von Manchen geglaubt wird, Empfindung hätten, würd' ich längst mich auf¬<lb/>
gehängt haben, mir anzusehn nur einmal den Euripides." Ein anderer pa-<lb/>
rodirte die Anfangsworte des Geistes in der &#x201E;Hekabe" des Euripides: &#x201E;Aus<lb/>
Todesklüften komm ich und des Dunkels Thor herschreitend, wo von Göttern<lb/>
fern wohnt Erebos", in folgender Weise: &#x201E;Vom Bäckerladen komm ich das<lb/>
Thearion herschreitend, wo der Napf' und Kacheln Sammelplatz." Die Zweif¬<lb/>
ler und Bekämpfer des Volksglaubens mehrten sich noch bei den Römern und<lb/>
zwar besonders vom epikuräischen und stoischen Standpunkt aus. Ciceros und<lb/>
Senekas Ueberzeugung ist bereits angedeutet worden. Noch stärker spricht sich<lb/>
jener in seiner Rede für Kluentius aus, wo er die Vorstellung von dem jen¬<lb/>
seitigen Strafgerichte &#x201E;nach jedermanns Urtheil" für falsch erklärt. Der Dich¬<lb/>
ter Lukrez widmet der Bestreitung der im Volke cursirenden psychologischen<lb/>
Meinungen zwei Bücher seines Lehrgedichts und schreibt unter Anderem : &#x201E;Wir<lb/>
wollen ja nicht glauben, daß die Seelen aus dem Acheron entfliehen oder als<lb/>
Schatten unter den Lebendigen herumflattern, noch daß ein Theil von uns nach<lb/>
dem Tode übrig bleiben könne, nachdem der Körper, und die zerstörte Natur<lb/>
des Geistes sich in ihre Elemente (die Atome) aufgelöst haben." Und während<lb/>
sich bei Ovid Anklänge an die pythagoräische Umkörperungstheorie finden, heißt<lb/>
es bei Juvenal geradezu: &#x201E;Daß kein Märchen die Manen und unterirdischen<lb/>
Reiche seien und der Fährmann und im stygischen Pfuhle die schwärzlichen<lb/>
Frösche, daß Ein Kahn mit so vielen Tausenden über die Fluth steuert, das<lb/>
glaubt nur der Knabe, der noch nicht im Bade bezahlt hat seinen Dreier."<lb/>
Horaz fragt den Jünger der wahren Weisheit: &#x201E;Verlachst du Träume, magische<lb/>
Schrecknisse, Wunder. Hexen, nächtliche Gespenster und thessalischen Zauber?"<lb/>
Plutarch läßt Brutus über die bekannte Erscheinung seines bösen Genius bei<lb/>
Philippi von Kasstus getröstet und auf das Trügliche der sinnlichen Eindrücke<lb/>
hingewiesen werden. Doch er selbst schreibt im Leben Dions: &#x201E;Da.Dion und<lb/>
Brutus, die beide ernste Männer und Philosophen waren, über ein Gespenst,<lb/>
das ihnen erschien, so sehr erschrocken sind, daß sie diese Erscheinung Anderen<lb/>
erzählt haben, so sehe ich nicht, warum wir nicht der Meinung der Alten, so</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0278] chen bauen, so klein wie Hekates Kapellchen, die aller Orten stehen vor jeder Thür." Vor diese Hekatcien setzte man auch zu gewissen Zeiten Speisen hin, die dann auch ihre Liebhaber an Gespenstern mit Fleisch und Bein fanden. Wenigstens macht Demosthenes dem Koror und Konsorten einen darauf be¬ züglichen Vorwurf. Die Ansichten der Gebildeteren über die Geisterwelt standen auch im Alter¬ thume zu jeder Zeit in größerem oder geringerem Widerspruche zu dem Glau¬ ben des Volks. Vielen Einfluß hatten in dieser Hinsicht die Lustspieldichter. Aristophanes karikirt in den „Fröschen" das ganze unterweltliche Leben. Von einem unbekannten Komiker lautet ein Fragment: „Wenn wirklich Todte, wie von Manchen geglaubt wird, Empfindung hätten, würd' ich längst mich auf¬ gehängt haben, mir anzusehn nur einmal den Euripides." Ein anderer pa- rodirte die Anfangsworte des Geistes in der „Hekabe" des Euripides: „Aus Todesklüften komm ich und des Dunkels Thor herschreitend, wo von Göttern fern wohnt Erebos", in folgender Weise: „Vom Bäckerladen komm ich das Thearion herschreitend, wo der Napf' und Kacheln Sammelplatz." Die Zweif¬ ler und Bekämpfer des Volksglaubens mehrten sich noch bei den Römern und zwar besonders vom epikuräischen und stoischen Standpunkt aus. Ciceros und Senekas Ueberzeugung ist bereits angedeutet worden. Noch stärker spricht sich jener in seiner Rede für Kluentius aus, wo er die Vorstellung von dem jen¬ seitigen Strafgerichte „nach jedermanns Urtheil" für falsch erklärt. Der Dich¬ ter Lukrez widmet der Bestreitung der im Volke cursirenden psychologischen Meinungen zwei Bücher seines Lehrgedichts und schreibt unter Anderem : „Wir wollen ja nicht glauben, daß die Seelen aus dem Acheron entfliehen oder als Schatten unter den Lebendigen herumflattern, noch daß ein Theil von uns nach dem Tode übrig bleiben könne, nachdem der Körper, und die zerstörte Natur des Geistes sich in ihre Elemente (die Atome) aufgelöst haben." Und während sich bei Ovid Anklänge an die pythagoräische Umkörperungstheorie finden, heißt es bei Juvenal geradezu: „Daß kein Märchen die Manen und unterirdischen Reiche seien und der Fährmann und im stygischen Pfuhle die schwärzlichen Frösche, daß Ein Kahn mit so vielen Tausenden über die Fluth steuert, das glaubt nur der Knabe, der noch nicht im Bade bezahlt hat seinen Dreier." Horaz fragt den Jünger der wahren Weisheit: „Verlachst du Träume, magische Schrecknisse, Wunder. Hexen, nächtliche Gespenster und thessalischen Zauber?" Plutarch läßt Brutus über die bekannte Erscheinung seines bösen Genius bei Philippi von Kasstus getröstet und auf das Trügliche der sinnlichen Eindrücke hingewiesen werden. Doch er selbst schreibt im Leben Dions: „Da.Dion und Brutus, die beide ernste Männer und Philosophen waren, über ein Gespenst, das ihnen erschien, so sehr erschrocken sind, daß sie diese Erscheinung Anderen erzählt haben, so sehe ich nicht, warum wir nicht der Meinung der Alten, so

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115927
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115927/278
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115927/278>, abgerufen am 15.01.2025.