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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band.

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nischen Sybille in das Schattenreich hinab. Noch Hannibal brachte am See
Avernus den Unterirdischen ein Opfer dar und ließ sich vielleicht von den
Priestern die unterirdischen Gänge der Kimmerier zeigen. Auch Cicero gedenkt
des dortigen Todtenorakcls, "wo/' wie er aus einem Dichter citirt, "die Seelen
aus dunkelm Schatten herausgerufen werden, aus der offenen Pforte des tiefen
Acheron, gefälschten Blutes, Bilder der Todten." Doch hatte wohl zu seiner
Zeit das Orakel schon aufgehört; denn Strabon spricht von der Einrichtung
als einer "ehemaligen". Den letzten Rest der Romantik raubte aber Agrippa
der Gegend, indem er den düstern Forst abtreiben, an seiner Stelle Häuser
und Felder anlegen und durch den Ingenieur Koccejus einen Tunnel durch
den Berg bis nach Kuma hin graben ließ.

Der Geisterzwang wurde aber auch ohne die Autorität anerkannter Heilig-
thümer vielfach als freie Kunst von Zauberern getrieben, die an jedem be¬
liebigen Orte die Seelen Verstorbener citiren zu können vorgaben. Schon zu
Platons Zeit trieben die Bettelpriester verschiedener Gottheiten, welche die
Thüren der Reichen belagerten, alle dieses Geschäft. Hatte doch, wie Plinius
der Aeltere erwähnt, der berühmte Magier Asthanes schon zu Xerxes Zeit
Schriften über die Zauberkunst und Nekromantie verabfaßt. In besonderer
Blüthe stand der Aberglaube und die Zauberei in Thessalien, und so erklärt es
sich, warum die thessalischen Geisterbeschwörer und Hexen von jeher in Griechen¬
land in großem Ansehen standen. Als das Gespenst des Pausanias im Tempel,
wo er gestorben war, umging und die Besucher erschreckte, ließen die Spartaner,
wie Plutarch berichtet, Geisterbanner aus Thessalien kommen, die auch den
Geist zur Ruhe brachten. Auch in der "Alkestis" des Euripides antwortet
Herakles dem thessalischen König Admetos, welchem er die geliebte Gattin aus
dem Hades wieder zuführte, auf den Ausruf: "O wärs ein Luftgebilde nicht
aus Hades Reich!" mit den Worten: "Nicht einen Zauberer machtest Du zum
Freunde Dir!" Bei der Beschwörung wurden hauptsächlich die Mond- und
Zaubergöttin Hekate. die Patronin alles geisterhaften Spuks, und der Seelen-
Hirt Hermes neben Pluton und Persephone um Beistand angerufen. ' In den
"Persern" des Aeschylos singt der Chor: "Ihr heiligen Grabgottheiten zumal,
Hermes, Gäa, Du der Unteren Fürst, o sendet den Geist nun empor an das
Licht! Er allein sagt es aus, wo ein Ziel ist." Das Graben der Grube und
das Hineinlaufenlassen des Blutes war auch später eine Hauptbedingung des
Gelingens. Lukian beschreibt so die Anstalten des Babyloniers Mithrobarzanes,
der dann die Straf- und Rachegöttinnen, die nächtliche Hekate, die schreckliche
Persephone ansieht, zugleich einige barbarische, viersilbige und unverständliche
Worte ausstoßend; und ebenso heißt es in den Satiren des Horaz: "Ich sah
in schwarzes Gewand gehüllt unter Geheul sich nahen Kanidia nebst der
älteren Sagana, mit bloßen Füßen und gelöstem Haar (auch dies war ein


Grenzboten IV. 1863. 34

nischen Sybille in das Schattenreich hinab. Noch Hannibal brachte am See
Avernus den Unterirdischen ein Opfer dar und ließ sich vielleicht von den
Priestern die unterirdischen Gänge der Kimmerier zeigen. Auch Cicero gedenkt
des dortigen Todtenorakcls, „wo/' wie er aus einem Dichter citirt, „die Seelen
aus dunkelm Schatten herausgerufen werden, aus der offenen Pforte des tiefen
Acheron, gefälschten Blutes, Bilder der Todten." Doch hatte wohl zu seiner
Zeit das Orakel schon aufgehört; denn Strabon spricht von der Einrichtung
als einer „ehemaligen". Den letzten Rest der Romantik raubte aber Agrippa
der Gegend, indem er den düstern Forst abtreiben, an seiner Stelle Häuser
und Felder anlegen und durch den Ingenieur Koccejus einen Tunnel durch
den Berg bis nach Kuma hin graben ließ.

Der Geisterzwang wurde aber auch ohne die Autorität anerkannter Heilig-
thümer vielfach als freie Kunst von Zauberern getrieben, die an jedem be¬
liebigen Orte die Seelen Verstorbener citiren zu können vorgaben. Schon zu
Platons Zeit trieben die Bettelpriester verschiedener Gottheiten, welche die
Thüren der Reichen belagerten, alle dieses Geschäft. Hatte doch, wie Plinius
der Aeltere erwähnt, der berühmte Magier Asthanes schon zu Xerxes Zeit
Schriften über die Zauberkunst und Nekromantie verabfaßt. In besonderer
Blüthe stand der Aberglaube und die Zauberei in Thessalien, und so erklärt es
sich, warum die thessalischen Geisterbeschwörer und Hexen von jeher in Griechen¬
land in großem Ansehen standen. Als das Gespenst des Pausanias im Tempel,
wo er gestorben war, umging und die Besucher erschreckte, ließen die Spartaner,
wie Plutarch berichtet, Geisterbanner aus Thessalien kommen, die auch den
Geist zur Ruhe brachten. Auch in der „Alkestis" des Euripides antwortet
Herakles dem thessalischen König Admetos, welchem er die geliebte Gattin aus
dem Hades wieder zuführte, auf den Ausruf: „O wärs ein Luftgebilde nicht
aus Hades Reich!" mit den Worten: „Nicht einen Zauberer machtest Du zum
Freunde Dir!" Bei der Beschwörung wurden hauptsächlich die Mond- und
Zaubergöttin Hekate. die Patronin alles geisterhaften Spuks, und der Seelen-
Hirt Hermes neben Pluton und Persephone um Beistand angerufen. ' In den
„Persern" des Aeschylos singt der Chor: „Ihr heiligen Grabgottheiten zumal,
Hermes, Gäa, Du der Unteren Fürst, o sendet den Geist nun empor an das
Licht! Er allein sagt es aus, wo ein Ziel ist." Das Graben der Grube und
das Hineinlaufenlassen des Blutes war auch später eine Hauptbedingung des
Gelingens. Lukian beschreibt so die Anstalten des Babyloniers Mithrobarzanes,
der dann die Straf- und Rachegöttinnen, die nächtliche Hekate, die schreckliche
Persephone ansieht, zugleich einige barbarische, viersilbige und unverständliche
Worte ausstoßend; und ebenso heißt es in den Satiren des Horaz: „Ich sah
in schwarzes Gewand gehüllt unter Geheul sich nahen Kanidia nebst der
älteren Sagana, mit bloßen Füßen und gelöstem Haar (auch dies war ein


Grenzboten IV. 1863. 34
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[0273] nischen Sybille in das Schattenreich hinab. Noch Hannibal brachte am See Avernus den Unterirdischen ein Opfer dar und ließ sich vielleicht von den Priestern die unterirdischen Gänge der Kimmerier zeigen. Auch Cicero gedenkt des dortigen Todtenorakcls, „wo/' wie er aus einem Dichter citirt, „die Seelen aus dunkelm Schatten herausgerufen werden, aus der offenen Pforte des tiefen Acheron, gefälschten Blutes, Bilder der Todten." Doch hatte wohl zu seiner Zeit das Orakel schon aufgehört; denn Strabon spricht von der Einrichtung als einer „ehemaligen". Den letzten Rest der Romantik raubte aber Agrippa der Gegend, indem er den düstern Forst abtreiben, an seiner Stelle Häuser und Felder anlegen und durch den Ingenieur Koccejus einen Tunnel durch den Berg bis nach Kuma hin graben ließ. Der Geisterzwang wurde aber auch ohne die Autorität anerkannter Heilig- thümer vielfach als freie Kunst von Zauberern getrieben, die an jedem be¬ liebigen Orte die Seelen Verstorbener citiren zu können vorgaben. Schon zu Platons Zeit trieben die Bettelpriester verschiedener Gottheiten, welche die Thüren der Reichen belagerten, alle dieses Geschäft. Hatte doch, wie Plinius der Aeltere erwähnt, der berühmte Magier Asthanes schon zu Xerxes Zeit Schriften über die Zauberkunst und Nekromantie verabfaßt. In besonderer Blüthe stand der Aberglaube und die Zauberei in Thessalien, und so erklärt es sich, warum die thessalischen Geisterbeschwörer und Hexen von jeher in Griechen¬ land in großem Ansehen standen. Als das Gespenst des Pausanias im Tempel, wo er gestorben war, umging und die Besucher erschreckte, ließen die Spartaner, wie Plutarch berichtet, Geisterbanner aus Thessalien kommen, die auch den Geist zur Ruhe brachten. Auch in der „Alkestis" des Euripides antwortet Herakles dem thessalischen König Admetos, welchem er die geliebte Gattin aus dem Hades wieder zuführte, auf den Ausruf: „O wärs ein Luftgebilde nicht aus Hades Reich!" mit den Worten: „Nicht einen Zauberer machtest Du zum Freunde Dir!" Bei der Beschwörung wurden hauptsächlich die Mond- und Zaubergöttin Hekate. die Patronin alles geisterhaften Spuks, und der Seelen- Hirt Hermes neben Pluton und Persephone um Beistand angerufen. ' In den „Persern" des Aeschylos singt der Chor: „Ihr heiligen Grabgottheiten zumal, Hermes, Gäa, Du der Unteren Fürst, o sendet den Geist nun empor an das Licht! Er allein sagt es aus, wo ein Ziel ist." Das Graben der Grube und das Hineinlaufenlassen des Blutes war auch später eine Hauptbedingung des Gelingens. Lukian beschreibt so die Anstalten des Babyloniers Mithrobarzanes, der dann die Straf- und Rachegöttinnen, die nächtliche Hekate, die schreckliche Persephone ansieht, zugleich einige barbarische, viersilbige und unverständliche Worte ausstoßend; und ebenso heißt es in den Satiren des Horaz: „Ich sah in schwarzes Gewand gehüllt unter Geheul sich nahen Kanidia nebst der älteren Sagana, mit bloßen Füßen und gelöstem Haar (auch dies war ein Grenzboten IV. 1863. 34

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115927/273>, abgerufen am 15.01.2025.