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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band.

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man jetzt Freund Hein abbildet, als Klapperbeine. Besonders in den Todten-
gesprächen Lukians wird öfter die große Ähnlichkeit unter den Gestorbenen
hervorgehoben, verursacht durch den nackten Schädel und die bloßen Knochen.
Auch Seneka scheint an Gesellen zu denken, wie sie im goetheschen "Todtentanz"
auftreten, wenn er sagt: "Niemand ist so kindisch, daß erden Cerberus fürchtet
und die Finsterniß und das gespenstige Aeußere aus zusammenhängenden Knochen
gebildeter Gestalten;" und beim Petronschen Gastmahl Trimalchios bringt ein
Sklave ein silbernes Skelett mit beweglichen Gliedern und Wirbeln, bei dessen
Anblick der Hausherr ausruft: "Ach wir Unglückliche! Wie ist doch das ganze
Menschlein nichts! So werden wir Alle sein, nachdem uns der Tod hinweg¬
gerafft hat." Am gewöhnlichsten aber war, wie bereits erwähnt, die spätere
Vorstellung der homerischen gleich, und Virgil und Ovid lassen ihre Geister in
die Luft zerfließen.

Die Zeit ferner, in welcher die Geister ihre freiwilligen Besuche machten,
war stets die Nacht. "In der Nacht schweifen wir umher," sagt die dem Pro-
perz erscheinende Geliebte, "die Nacht befreit die eingeschlossenen Schatten, und
Cerberus selbst geht um, wann der Riegel fällt." Meist als Traumbilder
nähern sie sich dem Lager des Lebendigen, sowie überhaupt das Traumleben
den Glauben an das Erscheinen der Todten l zu allen Zeiten befördert haben
mag; ja bisweilen scheint der Glaube über das Vorkommen von Geister-
crscheinungen im Schlafe nicht hinausgegangen zu fein. So antwortet im
plautinischen Hausgespenst Tranio dem Alten, der immer ängstlich fragt, ob
sich der Geist seinem Sohn im Schlafe oder im wachen Zustand gezeigt habe:
"Freilich konnte er es dem Wachenden nicht sagen, er, der vor so und so viel
Jahren getödtet worden ist!" Das Morgengrauen erst, noch nicht das Ende
der Mitternachtsstunde, verscheucht die Nachtgespenster. Ausdrücklich heißt es
bei Quintilian: "Nur erst mit Anbruch des Tages und nachdem die Sterne er¬
blichen waren, entschwand der Jüngling ungern aus den Augen, oft noch ste¬
hen bleibend, oft zurückblickend und für die nächste Nacht seine Wiederkunft
versprechend." Auch bei Properz sagt der Geist: "Am Morgen befehlen uns
die Gesetze zum Lethefluß zurückzukehren. Bei der Ueberfahrt mustert der Ferge
die herübergebrachte Fracht."

Hinsichtlich der Oertlichkeiten, an denen sich am liebsten der Gespenster¬
spuk zeigt, stimmt das Heidenthum jener Zeit mit dem heutigen Aberglauben
vollkommen überein. Es waren die Grabstätten der Verstorbenen, weil man
annahm, daß da die Seelen ans Licht stiegen und am liebsten verweilten, wo
ihre irdischen Ueberreste ruhten. Appulejus wünscht in seiner Vertheidigungs-
rede gegen den Vorwurf der Zauberei seinem Ankläger Aemilianus "alle
Erscheinungen der Todten, Gespenster und bösen Geister" auf den Hals,
"alle Begegnisse der Nacht, alle Schrecknisse der Gräber, alles Phantome


man jetzt Freund Hein abbildet, als Klapperbeine. Besonders in den Todten-
gesprächen Lukians wird öfter die große Ähnlichkeit unter den Gestorbenen
hervorgehoben, verursacht durch den nackten Schädel und die bloßen Knochen.
Auch Seneka scheint an Gesellen zu denken, wie sie im goetheschen „Todtentanz"
auftreten, wenn er sagt: „Niemand ist so kindisch, daß erden Cerberus fürchtet
und die Finsterniß und das gespenstige Aeußere aus zusammenhängenden Knochen
gebildeter Gestalten;" und beim Petronschen Gastmahl Trimalchios bringt ein
Sklave ein silbernes Skelett mit beweglichen Gliedern und Wirbeln, bei dessen
Anblick der Hausherr ausruft: „Ach wir Unglückliche! Wie ist doch das ganze
Menschlein nichts! So werden wir Alle sein, nachdem uns der Tod hinweg¬
gerafft hat." Am gewöhnlichsten aber war, wie bereits erwähnt, die spätere
Vorstellung der homerischen gleich, und Virgil und Ovid lassen ihre Geister in
die Luft zerfließen.

Die Zeit ferner, in welcher die Geister ihre freiwilligen Besuche machten,
war stets die Nacht. „In der Nacht schweifen wir umher," sagt die dem Pro-
perz erscheinende Geliebte, „die Nacht befreit die eingeschlossenen Schatten, und
Cerberus selbst geht um, wann der Riegel fällt." Meist als Traumbilder
nähern sie sich dem Lager des Lebendigen, sowie überhaupt das Traumleben
den Glauben an das Erscheinen der Todten l zu allen Zeiten befördert haben
mag; ja bisweilen scheint der Glaube über das Vorkommen von Geister-
crscheinungen im Schlafe nicht hinausgegangen zu fein. So antwortet im
plautinischen Hausgespenst Tranio dem Alten, der immer ängstlich fragt, ob
sich der Geist seinem Sohn im Schlafe oder im wachen Zustand gezeigt habe:
„Freilich konnte er es dem Wachenden nicht sagen, er, der vor so und so viel
Jahren getödtet worden ist!" Das Morgengrauen erst, noch nicht das Ende
der Mitternachtsstunde, verscheucht die Nachtgespenster. Ausdrücklich heißt es
bei Quintilian: „Nur erst mit Anbruch des Tages und nachdem die Sterne er¬
blichen waren, entschwand der Jüngling ungern aus den Augen, oft noch ste¬
hen bleibend, oft zurückblickend und für die nächste Nacht seine Wiederkunft
versprechend." Auch bei Properz sagt der Geist: „Am Morgen befehlen uns
die Gesetze zum Lethefluß zurückzukehren. Bei der Ueberfahrt mustert der Ferge
die herübergebrachte Fracht."

Hinsichtlich der Oertlichkeiten, an denen sich am liebsten der Gespenster¬
spuk zeigt, stimmt das Heidenthum jener Zeit mit dem heutigen Aberglauben
vollkommen überein. Es waren die Grabstätten der Verstorbenen, weil man
annahm, daß da die Seelen ans Licht stiegen und am liebsten verweilten, wo
ihre irdischen Ueberreste ruhten. Appulejus wünscht in seiner Vertheidigungs-
rede gegen den Vorwurf der Zauberei seinem Ankläger Aemilianus „alle
Erscheinungen der Todten, Gespenster und bösen Geister" auf den Hals,
„alle Begegnisse der Nacht, alle Schrecknisse der Gräber, alles Phantome


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[0270] man jetzt Freund Hein abbildet, als Klapperbeine. Besonders in den Todten- gesprächen Lukians wird öfter die große Ähnlichkeit unter den Gestorbenen hervorgehoben, verursacht durch den nackten Schädel und die bloßen Knochen. Auch Seneka scheint an Gesellen zu denken, wie sie im goetheschen „Todtentanz" auftreten, wenn er sagt: „Niemand ist so kindisch, daß erden Cerberus fürchtet und die Finsterniß und das gespenstige Aeußere aus zusammenhängenden Knochen gebildeter Gestalten;" und beim Petronschen Gastmahl Trimalchios bringt ein Sklave ein silbernes Skelett mit beweglichen Gliedern und Wirbeln, bei dessen Anblick der Hausherr ausruft: „Ach wir Unglückliche! Wie ist doch das ganze Menschlein nichts! So werden wir Alle sein, nachdem uns der Tod hinweg¬ gerafft hat." Am gewöhnlichsten aber war, wie bereits erwähnt, die spätere Vorstellung der homerischen gleich, und Virgil und Ovid lassen ihre Geister in die Luft zerfließen. Die Zeit ferner, in welcher die Geister ihre freiwilligen Besuche machten, war stets die Nacht. „In der Nacht schweifen wir umher," sagt die dem Pro- perz erscheinende Geliebte, „die Nacht befreit die eingeschlossenen Schatten, und Cerberus selbst geht um, wann der Riegel fällt." Meist als Traumbilder nähern sie sich dem Lager des Lebendigen, sowie überhaupt das Traumleben den Glauben an das Erscheinen der Todten l zu allen Zeiten befördert haben mag; ja bisweilen scheint der Glaube über das Vorkommen von Geister- crscheinungen im Schlafe nicht hinausgegangen zu fein. So antwortet im plautinischen Hausgespenst Tranio dem Alten, der immer ängstlich fragt, ob sich der Geist seinem Sohn im Schlafe oder im wachen Zustand gezeigt habe: „Freilich konnte er es dem Wachenden nicht sagen, er, der vor so und so viel Jahren getödtet worden ist!" Das Morgengrauen erst, noch nicht das Ende der Mitternachtsstunde, verscheucht die Nachtgespenster. Ausdrücklich heißt es bei Quintilian: „Nur erst mit Anbruch des Tages und nachdem die Sterne er¬ blichen waren, entschwand der Jüngling ungern aus den Augen, oft noch ste¬ hen bleibend, oft zurückblickend und für die nächste Nacht seine Wiederkunft versprechend." Auch bei Properz sagt der Geist: „Am Morgen befehlen uns die Gesetze zum Lethefluß zurückzukehren. Bei der Ueberfahrt mustert der Ferge die herübergebrachte Fracht." Hinsichtlich der Oertlichkeiten, an denen sich am liebsten der Gespenster¬ spuk zeigt, stimmt das Heidenthum jener Zeit mit dem heutigen Aberglauben vollkommen überein. Es waren die Grabstätten der Verstorbenen, weil man annahm, daß da die Seelen ans Licht stiegen und am liebsten verweilten, wo ihre irdischen Ueberreste ruhten. Appulejus wünscht in seiner Vertheidigungs- rede gegen den Vorwurf der Zauberei seinem Ankläger Aemilianus „alle Erscheinungen der Todten, Gespenster und bösen Geister" auf den Hals, „alle Begegnisse der Nacht, alle Schrecknisse der Gräber, alles Phantome

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115927/270>, abgerufen am 15.01.2025.