Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

ist, und von dem er im Wesentlichen getragen wird. Es könnte Wunder nehmen,
wie eine Genossenschaft, die sich nur die einfache Aufgabe gestellt hat, die in anders¬
gläubiger Umgebung lebenden Protestanten für ihre kirchlichen Bedürfnisse zu
unterstützen, die also eigentlich nur in der Reihe der vielen Wohlthätigkeits¬
vereine steht, sich nicht nur so lange Jahre bei frischem Leben hat erhalten
können, sondern allmälig sogar zu einer Macht geworden ist. Diese unleug¬
bare Thatsache erklärt sich indes; daraus, daß der Verein nicht blos in dem
Boden kirchlichen Wohlthätigkeitssinnes wurzelt, sondern auch stärkern Antrieben
und Bedürfnissen entgegenkommt und Ausdruck verleiht. Es bewährt sich an
ihm der alte Ausspruch, daß der hadernde Gegensatz und die Zerrissenheit in
der protestantischen Kirche noch am ehesten Ausgleichung finden kann, wenn
man sich auf dem Gebiete der helfenden Liebe begegnet. Mit theologischen
Haarspaltereien kommen wir nimmer zum Ziele; der religiöse Disputirteufcl steckt
so tief in manchen Naturen, daß wir uns mit ihm auch heute noch bis zu
Verketzerungen erhitzen können, wenn wir über <i"in und yuoä oder über das
Jota im "^c>-vo"7los getheilter Ansicht sind, und unsere Theologen greifen aus
Luthers großer und reicher Natur am liebsten seinen unseligen Starrsinn bei dem
marburger Gespräch als Vorbild für sich heraus. Aber auf dem neutralen Gebiet der
Fürsorge für die Glaubensgenossen konnte man sich die Hände reichen, und es ist
das Verdienst des Gustav-Adolf-Vereins, daß dies wirklich geschehen ist --
eine Thatsache, die zur Ausgleichung der Gegensätze innerhalb der protestan¬
tischen Kirche sehr wesentlich beigetragen hat, und die auch sür das Gesammt-
leben der Nation mehr und mehr ihre gute Wirkung äußern wird. Wer dazu
beiträgt, unsre confessionellen Spaltungen auszugleichen, der leistet zugleich
unsrer politischen Einigung einen Dienst, der stärkt außer der Kirche auch die
Nation.

Daß der Gustav-Adolf-Verein in dieser Beziehung bereits ausgleichend
und versöhnend gewirkt hat, daß er dem in der protestantischen Kirche in ähnlicher
Weise wie im deutschen Volke erwachten lebhaften Drange nach Einigung ent¬
gegengekommen ist, das ist sein Verdienst und zugleich der Grund seines kräf¬
tigen Aufblühens. Je entschiedener er seit seinem Entstehen betonte, daß er in
seinen gebenden und empfangenden Gliedern alle Theile der evangelischen Kirche,
lutherische, reformirte und unirte umfassen wolle, desto mehr hatte er die Feind¬
schaft derer zu erwarten, denen das Sonderbekenntniß noch über die Kirche geht,
und die den religiösen Inhalt des Lebens gering achten gegen die Aufrechthal¬
tung theologischer Spitzfindigkeiten. An dieser Feindschaft hat es denn dem
Verein nicht gefehlt. Hengstenberg in Berlin erklärte bei Begründung desselben
jede Gabe für Gift, die eine "gläubige" Gemeinde aus solcher Hand empfange --
nach allen bisherigen Erfahrungen scheint es aber ein recht heilendes Gift zu
sein -- und in ähnlicher Weise stellte sich die gesammte hochkirchliche Partei


3"

ist, und von dem er im Wesentlichen getragen wird. Es könnte Wunder nehmen,
wie eine Genossenschaft, die sich nur die einfache Aufgabe gestellt hat, die in anders¬
gläubiger Umgebung lebenden Protestanten für ihre kirchlichen Bedürfnisse zu
unterstützen, die also eigentlich nur in der Reihe der vielen Wohlthätigkeits¬
vereine steht, sich nicht nur so lange Jahre bei frischem Leben hat erhalten
können, sondern allmälig sogar zu einer Macht geworden ist. Diese unleug¬
bare Thatsache erklärt sich indes; daraus, daß der Verein nicht blos in dem
Boden kirchlichen Wohlthätigkeitssinnes wurzelt, sondern auch stärkern Antrieben
und Bedürfnissen entgegenkommt und Ausdruck verleiht. Es bewährt sich an
ihm der alte Ausspruch, daß der hadernde Gegensatz und die Zerrissenheit in
der protestantischen Kirche noch am ehesten Ausgleichung finden kann, wenn
man sich auf dem Gebiete der helfenden Liebe begegnet. Mit theologischen
Haarspaltereien kommen wir nimmer zum Ziele; der religiöse Disputirteufcl steckt
so tief in manchen Naturen, daß wir uns mit ihm auch heute noch bis zu
Verketzerungen erhitzen können, wenn wir über <i»in und yuoä oder über das
Jota im »^c>-vo«7los getheilter Ansicht sind, und unsere Theologen greifen aus
Luthers großer und reicher Natur am liebsten seinen unseligen Starrsinn bei dem
marburger Gespräch als Vorbild für sich heraus. Aber auf dem neutralen Gebiet der
Fürsorge für die Glaubensgenossen konnte man sich die Hände reichen, und es ist
das Verdienst des Gustav-Adolf-Vereins, daß dies wirklich geschehen ist —
eine Thatsache, die zur Ausgleichung der Gegensätze innerhalb der protestan¬
tischen Kirche sehr wesentlich beigetragen hat, und die auch sür das Gesammt-
leben der Nation mehr und mehr ihre gute Wirkung äußern wird. Wer dazu
beiträgt, unsre confessionellen Spaltungen auszugleichen, der leistet zugleich
unsrer politischen Einigung einen Dienst, der stärkt außer der Kirche auch die
Nation.

Daß der Gustav-Adolf-Verein in dieser Beziehung bereits ausgleichend
und versöhnend gewirkt hat, daß er dem in der protestantischen Kirche in ähnlicher
Weise wie im deutschen Volke erwachten lebhaften Drange nach Einigung ent¬
gegengekommen ist, das ist sein Verdienst und zugleich der Grund seines kräf¬
tigen Aufblühens. Je entschiedener er seit seinem Entstehen betonte, daß er in
seinen gebenden und empfangenden Gliedern alle Theile der evangelischen Kirche,
lutherische, reformirte und unirte umfassen wolle, desto mehr hatte er die Feind¬
schaft derer zu erwarten, denen das Sonderbekenntniß noch über die Kirche geht,
und die den religiösen Inhalt des Lebens gering achten gegen die Aufrechthal¬
tung theologischer Spitzfindigkeiten. An dieser Feindschaft hat es denn dem
Verein nicht gefehlt. Hengstenberg in Berlin erklärte bei Begründung desselben
jede Gabe für Gift, die eine „gläubige" Gemeinde aus solcher Hand empfange —
nach allen bisherigen Erfahrungen scheint es aber ein recht heilendes Gift zu
sein — und in ähnlicher Weise stellte sich die gesammte hochkirchliche Partei


3"
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0027" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/115955"/>
          <p xml:id="ID_53" prev="#ID_52"> ist, und von dem er im Wesentlichen getragen wird. Es könnte Wunder nehmen,<lb/>
wie eine Genossenschaft, die sich nur die einfache Aufgabe gestellt hat, die in anders¬<lb/>
gläubiger Umgebung lebenden Protestanten für ihre kirchlichen Bedürfnisse zu<lb/>
unterstützen, die also eigentlich nur in der Reihe der vielen Wohlthätigkeits¬<lb/>
vereine steht, sich nicht nur so lange Jahre bei frischem Leben hat erhalten<lb/>
können, sondern allmälig sogar zu einer Macht geworden ist. Diese unleug¬<lb/>
bare Thatsache erklärt sich indes; daraus, daß der Verein nicht blos in dem<lb/>
Boden kirchlichen Wohlthätigkeitssinnes wurzelt, sondern auch stärkern Antrieben<lb/>
und Bedürfnissen entgegenkommt und Ausdruck verleiht. Es bewährt sich an<lb/>
ihm der alte Ausspruch, daß der hadernde Gegensatz und die Zerrissenheit in<lb/>
der protestantischen Kirche noch am ehesten Ausgleichung finden kann, wenn<lb/>
man sich auf dem Gebiete der helfenden Liebe begegnet. Mit theologischen<lb/>
Haarspaltereien kommen wir nimmer zum Ziele; der religiöse Disputirteufcl steckt<lb/>
so tief in manchen Naturen, daß wir uns mit ihm auch heute noch bis zu<lb/>
Verketzerungen erhitzen können, wenn wir über &lt;i»in und yuoä oder über das<lb/>
Jota im »^c&gt;-vo«7los getheilter Ansicht sind, und unsere Theologen greifen aus<lb/>
Luthers großer und reicher Natur am liebsten seinen unseligen Starrsinn bei dem<lb/>
marburger Gespräch als Vorbild für sich heraus. Aber auf dem neutralen Gebiet der<lb/>
Fürsorge für die Glaubensgenossen konnte man sich die Hände reichen, und es ist<lb/>
das Verdienst des Gustav-Adolf-Vereins, daß dies wirklich geschehen ist &#x2014;<lb/>
eine Thatsache, die zur Ausgleichung der Gegensätze innerhalb der protestan¬<lb/>
tischen Kirche sehr wesentlich beigetragen hat, und die auch sür das Gesammt-<lb/>
leben der Nation mehr und mehr ihre gute Wirkung äußern wird. Wer dazu<lb/>
beiträgt, unsre confessionellen Spaltungen auszugleichen, der leistet zugleich<lb/>
unsrer politischen Einigung einen Dienst, der stärkt außer der Kirche auch die<lb/>
Nation.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_54" next="#ID_55"> Daß der Gustav-Adolf-Verein in dieser Beziehung bereits ausgleichend<lb/>
und versöhnend gewirkt hat, daß er dem in der protestantischen Kirche in ähnlicher<lb/>
Weise wie im deutschen Volke erwachten lebhaften Drange nach Einigung ent¬<lb/>
gegengekommen ist, das ist sein Verdienst und zugleich der Grund seines kräf¬<lb/>
tigen Aufblühens. Je entschiedener er seit seinem Entstehen betonte, daß er in<lb/>
seinen gebenden und empfangenden Gliedern alle Theile der evangelischen Kirche,<lb/>
lutherische, reformirte und unirte umfassen wolle, desto mehr hatte er die Feind¬<lb/>
schaft derer zu erwarten, denen das Sonderbekenntniß noch über die Kirche geht,<lb/>
und die den religiösen Inhalt des Lebens gering achten gegen die Aufrechthal¬<lb/>
tung theologischer Spitzfindigkeiten. An dieser Feindschaft hat es denn dem<lb/>
Verein nicht gefehlt. Hengstenberg in Berlin erklärte bei Begründung desselben<lb/>
jede Gabe für Gift, die eine &#x201E;gläubige" Gemeinde aus solcher Hand empfange &#x2014;<lb/>
nach allen bisherigen Erfahrungen scheint es aber ein recht heilendes Gift zu<lb/>
sein &#x2014; und in ähnlicher Weise stellte sich die gesammte hochkirchliche Partei</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> 3"</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0027] ist, und von dem er im Wesentlichen getragen wird. Es könnte Wunder nehmen, wie eine Genossenschaft, die sich nur die einfache Aufgabe gestellt hat, die in anders¬ gläubiger Umgebung lebenden Protestanten für ihre kirchlichen Bedürfnisse zu unterstützen, die also eigentlich nur in der Reihe der vielen Wohlthätigkeits¬ vereine steht, sich nicht nur so lange Jahre bei frischem Leben hat erhalten können, sondern allmälig sogar zu einer Macht geworden ist. Diese unleug¬ bare Thatsache erklärt sich indes; daraus, daß der Verein nicht blos in dem Boden kirchlichen Wohlthätigkeitssinnes wurzelt, sondern auch stärkern Antrieben und Bedürfnissen entgegenkommt und Ausdruck verleiht. Es bewährt sich an ihm der alte Ausspruch, daß der hadernde Gegensatz und die Zerrissenheit in der protestantischen Kirche noch am ehesten Ausgleichung finden kann, wenn man sich auf dem Gebiete der helfenden Liebe begegnet. Mit theologischen Haarspaltereien kommen wir nimmer zum Ziele; der religiöse Disputirteufcl steckt so tief in manchen Naturen, daß wir uns mit ihm auch heute noch bis zu Verketzerungen erhitzen können, wenn wir über <i»in und yuoä oder über das Jota im »^c>-vo«7los getheilter Ansicht sind, und unsere Theologen greifen aus Luthers großer und reicher Natur am liebsten seinen unseligen Starrsinn bei dem marburger Gespräch als Vorbild für sich heraus. Aber auf dem neutralen Gebiet der Fürsorge für die Glaubensgenossen konnte man sich die Hände reichen, und es ist das Verdienst des Gustav-Adolf-Vereins, daß dies wirklich geschehen ist — eine Thatsache, die zur Ausgleichung der Gegensätze innerhalb der protestan¬ tischen Kirche sehr wesentlich beigetragen hat, und die auch sür das Gesammt- leben der Nation mehr und mehr ihre gute Wirkung äußern wird. Wer dazu beiträgt, unsre confessionellen Spaltungen auszugleichen, der leistet zugleich unsrer politischen Einigung einen Dienst, der stärkt außer der Kirche auch die Nation. Daß der Gustav-Adolf-Verein in dieser Beziehung bereits ausgleichend und versöhnend gewirkt hat, daß er dem in der protestantischen Kirche in ähnlicher Weise wie im deutschen Volke erwachten lebhaften Drange nach Einigung ent¬ gegengekommen ist, das ist sein Verdienst und zugleich der Grund seines kräf¬ tigen Aufblühens. Je entschiedener er seit seinem Entstehen betonte, daß er in seinen gebenden und empfangenden Gliedern alle Theile der evangelischen Kirche, lutherische, reformirte und unirte umfassen wolle, desto mehr hatte er die Feind¬ schaft derer zu erwarten, denen das Sonderbekenntniß noch über die Kirche geht, und die den religiösen Inhalt des Lebens gering achten gegen die Aufrechthal¬ tung theologischer Spitzfindigkeiten. An dieser Feindschaft hat es denn dem Verein nicht gefehlt. Hengstenberg in Berlin erklärte bei Begründung desselben jede Gabe für Gift, die eine „gläubige" Gemeinde aus solcher Hand empfange — nach allen bisherigen Erfahrungen scheint es aber ein recht heilendes Gift zu sein — und in ähnlicher Weise stellte sich die gesammte hochkirchliche Partei 3"

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115927
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115927/27
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115927/27>, abgerufen am 15.01.2025.