Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band.Apollons schlafenden Eumeniden zur Verfolgung Orests aufzustacheln, während Recht genau beschreibt eine Spukgeschichte der jüngere Plinius in einem 33"
Apollons schlafenden Eumeniden zur Verfolgung Orests aufzustacheln, während Recht genau beschreibt eine Spukgeschichte der jüngere Plinius in einem 33"
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Apollons schlafenden Eumeniden zur Verfolgung Orests aufzustacheln, während
sie von ihrem Zustande sagt: „Weil ich ja gemordet habe, verläßt mich die
Schande nimmermehr, im Todtenreich irre ich schmachbedeckt umher." Auch die
weitschweifende Jo läßt der Dichter vom Gespenste des von Hermes erschlagenen
Argos gejagt werden, „den auch erschlagen nicht der Erde Gruft birgt". Ja,
im Satyrdrama „Sisyphos" kam dieser schlaueste aller Betrüger mit Erlaubniß
der unterweltlichen Regierung wieder herauf, angeblich, um sich selbst zu be¬
graben und seine Frau zur Strafe für Vernachlässigung seines Begräbnisses
mit in den Orkus zu nehmen, eigentlich aber, um dem „Allerseelenwirth" Hades
ein Schnippchen zu schlagen. Allein der Todtenexccutor holte den Ausreißer
wieder mitten vom herrlichen Gastmahle weg und führte ihn zu den finsteren
Gesellen, „die keine Stimme, keine lebensfrohe Kraft, die keiner blutdurchströmten
Ader Puls belebt". Auch in der „Hekabe" von Euripides tritt der vom treu¬
losen Gastfreund gemordete Sohn Priams Polydoros als Geist auf und zeigt
sich seiner Mutter im Traum. Dasselbe Sujet brachte in Rom Patuvius auf
die Bühne, und bei Aufführung des Stückes konnte einst der Geist die wirklich
schlafende und berauschte Mutter zum großen Ergötzen des Publicums nicht er¬
wecken! Cicero schreibt in den „Tuskulanischen Untersuchungen" mißbilligend
über diese Vorführungen von Schattenbildern: „Die Dichter haben die Irr¬
thümer des Volksglaubens noch vermehrt. Denn das zahlreiche Theaterpublicum,
unter welchem sich auch Frauen und Kinder befinden, wird gerührt beim An¬
hören so großartiger Phrasen aus dem Munde der Geister: „Hier bin ich, und
komme vom Acheron kaum noch aus weitem und steilem Pfade, durch Klüfte,
aus rauhen Felsen gewölbt, hoch herab den Einsturz drohend, wo starr gelagert
steht die dichte Finsterniß der Unterirdischen;" und so viel hat der Irrthum
vermocht, der mir wenigstens bereits gehoben zu sein scheint, daß man wohl
wußte, daß die Körper verbrannt seien, aber dennoch sich einbildete, es geschähe
in der Unterwelt irgend etwas, das ohne Körper weder geschehen noch gedacht
werden konnte."
Recht genau beschreibt eine Spukgeschichte der jüngere Plinius in einem
Briefe an seinen Freund sera. Sie mag hier folgen, als ein Beweis von
der merkwürdigen Uebereinstimmung des antiken Gespenstergiaubens mit dem
modernen. „Zu Athen war ein großes und geräumiges, aber verrufenes und
Unheil bringendes Haus. In der Stille der Nacht hörte man Eisen klirren,
und wenn man genauer horchte, Ketten rasseln, zuerst in der Ferne, dann in
der Nähe. Bald erschien eine abgehärmte, häßlich abgezehrte Greisengestalt mit
langem Barte und struppigen Haaren, welche an Händen und Füßen Fesseln
und Ketten trug und schüttelte. Die Bewohner durchwachten daher traurige
und schreckliche Nächte; auf das Wachen folgte Krankheit und bei zunehmender
Angst der Tod. Denn auch bei Tage, wenn das Gespenst verschwunden war,
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