Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band.Patroklos mit Händen zu greisen; sie versinkt. Dennoch erregt die Bewegung Die homerischen Vorstellungen vom Geisterreich blieben im Ganzen auch Patroklos mit Händen zu greisen; sie versinkt. Dennoch erregt die Bewegung Die homerischen Vorstellungen vom Geisterreich blieben im Ganzen auch <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0264" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/116192"/> <p xml:id="ID_928" prev="#ID_927"> Patroklos mit Händen zu greisen; sie versinkt. Dennoch erregt die Bewegung<lb/> der Seelen ein Geräusch. Denn nicht nur beim Verschwinden des Patroklos er¬<lb/> wähnt Homer desselben, sondern auch, als Hermes, der Geleiter der Todten<lb/> nach ihrem letzten Bestimmungsorte, die Seelen der getödteten Freier auf dunkeln<lb/> Wegen mit seinem goldenen Stäbe hinter sich herzieht, da zirpen und schwirren<lb/> sie ihm nach, wie Nachtvögel, die von der Felsendecke einer Höhle herabfallend<lb/> hin und her flattern, und das massenhafte Herandrängen der Schatten am Ein¬<lb/> gange des Hades zu Odysseus verursacht „ein entsetzliches Getöse". Trotz ihrer<lb/> Unfcißbarkeit besitzen sie serner eine Scheu vor den Werkzeugen der Gewalt,<lb/> lassen sich von Odysseus durch das gezückte Schwert vom Opferblut abhalten<lb/> und verscheuchen und haben Furcht vor dem Wache haltenden Hund Kerberos.<lb/> Anet behalten sie ihre irdische Gestalt und ihre früheren Gesichtszüge; denn<lb/> Odysseus erkennt sofort alle seine Freunde und Bekannten wieder. Dagegen<lb/> sind sie ihrem geistigen Zustande nach ohne klare Besinnung, gedankenlos, nur<lb/> mit einer dunkeln Erinnerung ihres früheren Zustandes versehen. Am deut¬<lb/> lichsten kennzeichnet Homer dieses Verhältniß, indem er der Zauberin Kirke, die<lb/> dem Odysseus räth, den Seher Teiresias im Hades zu fragen, die Worte in<lb/> den Mund legt: „Seine Geisteskraft isf ungeschwächt; ihm hat auch im Tode<lb/> das Erkenntnißvermögen verliehen Persephone. Die Anderen flattern als Schatten<lb/> umher". naiver Weise glaubte man nun, daß den Seelen die volle Besinnung<lb/> nebst der Sprache wiederkehrte, wenn der fehlende körperliche Bestandtheil ihres<lb/> Wesens ihnen beigebracht werden könnte, und darum wurde das Blut geschlach¬<lb/> teter Opferthiere schon im heroischen Zeitalter als der untrüglichste Köder ane<lb/> gesehen, um die Schatten an die Oberwelt zu locken. Odysseus verrichtet-<lb/> übrigens seine bekannte Tvdtcnbeschwörung an dem im fernsten Westen der Erd¬<lb/> scheibe jenseits des Wcltstromes Okeanos im finstern Lande der Kimmerier ge¬<lb/> legenen Eingang zur Unterwelt, und schon daraus, daß er eine so weite Reise<lb/> machen mußte, sieht man, daß in der homerischen Welt die Geister noch nicht<lb/> an jedem beliebigen Orte sich einer Citation zu gehorchen bequemten. Auch<lb/> von freiwilliger Wiederkehr der gespenstigen Schatten ist noch keine Rede, und<lb/> nur des Patroklos Geist erscheint dem Myrmidonenfürsten im Traume. Aber<lb/> nachdem er den Freund um Beschleunigung seines Begräbnisses gebeten, setzt<lb/> er das Versprechen hinzu: „Ich werde später nicht wieder aus dem Hades zu¬<lb/> rückkehren, wenn ihr mich des Feuers theilhaftig habt werden lassen."</p><lb/> <p xml:id="ID_929" next="#ID_930"> Die homerischen Vorstellungen vom Geisterreich blieben im Ganzen auch<lb/> in der späteren Zeit im Volke herrschend, nur daß sie sich allmälig durch die<lb/> Darstellungen der Dichter und Künstler und durch die Reflexionen der Philo¬<lb/> sophen erweiterten und gestaltenreicher wurden, sowie auch die Psyche selbst nach<lb/> und nach dem Körper gegenüber zu höherer Geltung gelangte und die Idee des<lb/> Todtengerichts mit den darauffolgenden Strafen und Belohnungen mehr in den</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0264]
Patroklos mit Händen zu greisen; sie versinkt. Dennoch erregt die Bewegung
der Seelen ein Geräusch. Denn nicht nur beim Verschwinden des Patroklos er¬
wähnt Homer desselben, sondern auch, als Hermes, der Geleiter der Todten
nach ihrem letzten Bestimmungsorte, die Seelen der getödteten Freier auf dunkeln
Wegen mit seinem goldenen Stäbe hinter sich herzieht, da zirpen und schwirren
sie ihm nach, wie Nachtvögel, die von der Felsendecke einer Höhle herabfallend
hin und her flattern, und das massenhafte Herandrängen der Schatten am Ein¬
gange des Hades zu Odysseus verursacht „ein entsetzliches Getöse". Trotz ihrer
Unfcißbarkeit besitzen sie serner eine Scheu vor den Werkzeugen der Gewalt,
lassen sich von Odysseus durch das gezückte Schwert vom Opferblut abhalten
und verscheuchen und haben Furcht vor dem Wache haltenden Hund Kerberos.
Anet behalten sie ihre irdische Gestalt und ihre früheren Gesichtszüge; denn
Odysseus erkennt sofort alle seine Freunde und Bekannten wieder. Dagegen
sind sie ihrem geistigen Zustande nach ohne klare Besinnung, gedankenlos, nur
mit einer dunkeln Erinnerung ihres früheren Zustandes versehen. Am deut¬
lichsten kennzeichnet Homer dieses Verhältniß, indem er der Zauberin Kirke, die
dem Odysseus räth, den Seher Teiresias im Hades zu fragen, die Worte in
den Mund legt: „Seine Geisteskraft isf ungeschwächt; ihm hat auch im Tode
das Erkenntnißvermögen verliehen Persephone. Die Anderen flattern als Schatten
umher". naiver Weise glaubte man nun, daß den Seelen die volle Besinnung
nebst der Sprache wiederkehrte, wenn der fehlende körperliche Bestandtheil ihres
Wesens ihnen beigebracht werden könnte, und darum wurde das Blut geschlach¬
teter Opferthiere schon im heroischen Zeitalter als der untrüglichste Köder ane
gesehen, um die Schatten an die Oberwelt zu locken. Odysseus verrichtet-
übrigens seine bekannte Tvdtcnbeschwörung an dem im fernsten Westen der Erd¬
scheibe jenseits des Wcltstromes Okeanos im finstern Lande der Kimmerier ge¬
legenen Eingang zur Unterwelt, und schon daraus, daß er eine so weite Reise
machen mußte, sieht man, daß in der homerischen Welt die Geister noch nicht
an jedem beliebigen Orte sich einer Citation zu gehorchen bequemten. Auch
von freiwilliger Wiederkehr der gespenstigen Schatten ist noch keine Rede, und
nur des Patroklos Geist erscheint dem Myrmidonenfürsten im Traume. Aber
nachdem er den Freund um Beschleunigung seines Begräbnisses gebeten, setzt
er das Versprechen hinzu: „Ich werde später nicht wieder aus dem Hades zu¬
rückkehren, wenn ihr mich des Feuers theilhaftig habt werden lassen."
Die homerischen Vorstellungen vom Geisterreich blieben im Ganzen auch
in der späteren Zeit im Volke herrschend, nur daß sie sich allmälig durch die
Darstellungen der Dichter und Künstler und durch die Reflexionen der Philo¬
sophen erweiterten und gestaltenreicher wurden, sowie auch die Psyche selbst nach
und nach dem Körper gegenüber zu höherer Geltung gelangte und die Idee des
Todtengerichts mit den darauffolgenden Strafen und Belohnungen mehr in den
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